Kapitel 6

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Emilies Sicht:

Ich klopfte leise gegen Katharinas Zimmertür. Da ich keine Antwort bekam, ging ich leise rein und schloss die Tür hinter mir. Tobias hatte nur gesagt, dass es Katharina nicht gut ginge, doch als ich sie anschaute, erstarrte ich kurz. Ihre Augen waren rot und angeschwollen; sie hatte anscheinend sehr viel geweint. Obwohl sie schlief, sah sie sehr unruhig aus.

Ich hatte keine Ahnung was hier los gewesen war. Vor zwei Stunden standen wir noch alle glücklich vor dem großen Weihnachtsbaum und jetzt verhielten sich Markus und Katharina so, als ob ihre ganze Familie plötzlich gestorben wäre. Als ich mich aus meiner Starre gelöst hatte, ging ich auf Katharina zu und setzte mich neben ihr aufs Bett. Ich fühlte ihre Stirn – sie war heiß, hatte sie Fieber? – und strich ihr ein paar Haarsträhnen aus dem Gesicht. Als ich mir Katharina so ansah, fühlte ich mich fast wie ihre Mutter, da Katharina so hilflos im Bett lag. Sie wurde langsam wach. Als sie ihre Augen aufschlug und mich anschaute, traf mich ihr trauriger Blick sofort mitten ins Herz.

„Kann ich etwas für dich tun?", frage ich sie vorsichtig, doch sie schüttelt den Kopf und meint: „Ich glaube, ich will nur noch schlafen und mich verkriechen." „Soll ich später nochmal kommen?", fragte ich sie deshalb. Es war zwar erst 23 Uhr, aber ich sah wie dringend Katharina jetzt Schlaf brauchte. „Kann ich dich dann rufen?", fragte sie und ich sagte ihr, sie solle mich einfach anrufen, auch wenn es mitten in der Nacht wäre. „Oder soll ich gleich bei dir bleiben?", fragte ich sicherheitshalber noch nach, aber sie schüttelte den Kopf und sagte: „Geh du ruhig zu Tobias." Ich konnte ein kleines Lächeln auf ihrem Mund sehen, aber in ihre Augen war alles andere als Fröhlichkeit. Katharina drehte sich um und legte sich wieder schlafen. Ich verließ leise ihr Zimmer und gesellte mich zu den anderen ins Wohnzimmer.

Katharinas Sicht:

Nachdem mich Tobias in eines der Gästezimmer gebracht hatte und ich versuchte zu schlafen, schweiften meine Gedanken immer wieder ab; zu dem Mann den ich einst so sehr geliebt hatte, wie mein eigenes Leben: Andreas!

Er war immer für mich da gewesen, hatte mir immer geholfen und er hatte mich nie alleine gelassen. Zumindest nicht bis zu dem Zeitpunkt, als Markus in mein Leben kam. Ich dachte an unseren letzten gemeinsamen Rettungseinsatz, bei dem auch Markus dabei war. Als ich Markus das erste Mal in der Hütte sah, dachte ich, dass er ein starker, ehrlicher und hilfsbereiter Mann war. Er wirkte so selbstsicher, selbst als seine damalige Freundin zu sterben drohte. Ich hatte das Gefühl, dass er immer wusste was zu tun war. Damals war es mir noch gar nicht aufgefallen, aber jetzt wurde mir bewusst, wie ähnlich sich Markus und Andreas doch waren. Vielleicht fiel es mir deshalb auch so schwer meine Gedanken und Gefühle zu ordnen, weil ich nicht wusste, ob sie für Andreas waren oder doch für Markus. Meine Sehnsucht nach Andreas war immer noch unendlich groß, aber seit den letzten Wochen fragte ich mich, ob ich auch für Markus so eine Sehnsucht verspürte. Mit Andreas hatte ich einen Mann gefunden, der mir immer eine stützende Schulter gegeben hatte. Nach dieser Schulter sehnte ich mich seit Andreas' Tod. Und genau Markus war derjenige, der sie mir gegeben hat.

Irgendwann muss ich wohl eingeschlafen sein, denn plötzlich fühlte ich eine Hand auf meiner Stirn. Verwundert öffnete ich meine Augen und sah Emilie neben mir auf dem Bett sitzen. Mir schossen sofort wieder unzählige Gedanken über Markus und Andreas durch den Kopf und ich musste mich konzentrieren um zu verstehen, was Emilie sagte. Sie fragte mich, ob sie etwas für mich tun könnte und ob sie bei mir bleiben sollte, doch ich verneinte beides und drehte mich um, um meinen Gedanken wieder freien Lauf zu lassen.

Ich war aber so müde und erschöpft, dass meine Augen immer wieder zu fielen und ich schließlich ganz einschlief. Es war ein unruhiger Schlaf, ich fand keine Ruhe und wälzte mich die ganze Zeit herum. Plötzlich merkte ich wie meine Tür erneut geöffnet wurde und jemand in mein Zimmer kam. Doch da es dunkel war, sah ich nicht wer es war und meine nassen Augen waren auch keine Hilfe. Ich tat so als würde ich schlafen, um ein Gespräch zu vermeiden.


Die Bergretter - Lieber Nähe als Distanz?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt