Kapitel 16

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Michis Sicht:

Nachdem Verena Tobias und mir gesagt hatte, was mit Markus los war, sprang er auf und lief aus dem Zimmer. Ich wollte ihm hinterher gehen, doch Verena packte mich am Arm und sagte mit beruhigender Stimme: „Lass ihn, er bracht jetzt Ruhe. Er war bei dem Unfall mit dabei. Es belastet ihn sehr, ihr muss in nächster Zeit gut auf ihn aufpassen; er ist zurzeit emotional instabil. Am besten rede ich auch nochmal mit Emilie." „Aber warum?", ich setzte mich langsam wieder hin und schaute Verena an. „Ich glaube, ihm wird es gerade alles zu viel: Er hatte sich solche Sorgen um Katharina gemacht, als sie in der Höhle war, außerdem wäre Katharina gestern fast vor seinen Augen zusammengebrochen, so wie ich das mitbekommen habe. Ihr geht es im Moment auch nicht so gut. Ich glaube, das spürt er; die zwei sind nun mal echte Geschwister."

Ich merkte, dass Verena immer noch meinen Arm mit ihrer Hand festhielt. Sie schaute bei der Erklärung durch den Raum und blickte mir wieder in die Augen: „Und natürlich lastet jetzt auch eine gewisse Verantwortung auf Tobias, seit er geheiratet hat." Als sie diesen Satz sagte, konnte ich etwas Sehnsucht in ihren Augen erkennen. Sie wünschte sich wahrscheinlich auch eine Familie. Doch war ich der Richtige dafür?

Bei meiner ersten Frau scheiterte die Ehe nach sechs Jahren, aber vielleicht wird es mit Verena ja ganz anders... Ich konzentrierte mich wieder auf Verena. Ihr Blick wurde immer intensiver und emotionaler. Meine Haut begann wie wild zu kribbeln und der Abstand zwischen uns wurde immer kleiner. Ich legte meine andere Hand, die nicht von Verena festgehalten wurde, an ihren Kopf und zog sie sanft zu mir. Meine Augen schlossen sich automatisch und kurz darauf spürte ich ihre Lippen auf meinen.

Katharinas Sicht:

Sobald ich vor dem Haus stand, wehte mir ein ziemlich kalter Wind entgegen, doch ich ließ mich davon nicht einschüchtern und lief voller Vorfreude los. Ich ging an ein paar Feldern entlang, die unter einer dicken, unberührten Schneedecke lagen. Ich bekam gleich das Gefühl von Freiheit und Ruhe, das ich schon lange nicht mehr gespürt hatte. Hier war alles so befreiend, dass meine ganzen angestauten Gedanken Flügel bekamen und davon flogen.

Auf einmal erschien ein Lächeln in meinem Gesicht. Hier wirkte nichts mehr so beschwerend, ich hatte ganz vergessen wie schön so ein Spaziergang war. Mir hatte in den letzten Wochen einfach die Zeit dazu gefehlt. Alles war so hektisch: Emilies Weihnachtsvorbereitungen, immer wieder Einsätze wegen verletzten Skifahrern, kaum Ruhe zum Verschnaufen.

Plötzlich tauchte der Kirchturm in meinem Augenwinkel auf. Dort war ich auch schon lange nicht mehr. Ich ging nun zielstrebig auf die Kirche zu; ich musste einfach mal wieder mit Andreas reden. Auch wenn er nicht mehr auf Erden ist, so glaube ich, dass er mich vom Himmel aus beschützt.

In der Kirche angekommen, zündete ich erstmal ein Licht für Andreas an und setzte mich in die erste Bankreihe. Ich schloss meine Augen und erzählte Andreas in Gedanken, was in den letzten Wochen alles passiert war. Es kam mir so vor, als würde mich Andreas verstehen und mir helfen, denn danach ging es mir meistens viel besser. Ich erzählte Andreas heute auch von Markus und dass ich nicht wusste, wie ich mich ihm gegenüber verhalten soll. Als ich Andreas frage, ob es richtig sein würde, wenn ich mich auf Markus einlasse, wurde mir auf einmal ganz warm im Inneren. Da wurde mir bewusst, dass Andreas immer das Beste für mich wollte; auch jetzt wo er nicht mehr für mich da sein konnte. Er hatte Markus nicht ohne Grund auserwählt...

Nach einigen Minuten ging ich schweren Herzens aus der Kirche. Mir fehlte Andreas mehr als ich gedacht hatte, aber ich konnte nichts dagegen tun...!

Die Bergretter - Lieber Nähe als Distanz?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt