Kapitel 5

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Emilies Sicht:

Tobias wollte gerade die anderen aus dem Wohnzimmer holen, als Markus niedergeschlagen in mein Esszimmer schlich und sich auf einen Stuhl fallen ließ. Was ist dem denn für eine Laus über die Leber gelaufen?, frage ich mich, doch ließ Markus lieber in Ruhe. Langsam trudelten auch die anderen ein. Sie betrachten Markus nur mit einem mitfühlenden Blick, den dieser jedoch gar nicht bemerkt, da er auf sein Glas starrt. „Wo bleibt denn Tobias?", frage ich in die Runde doch alle wussten nicht wo er war. „Er hat uns nicht geholt, wir haben ihn gar nicht gesehen", meint Ben daraufhin. In mir kroch langsam wieder einmal die Angst hoch, so wie immer wenn ich nicht wusste wo Tobias war. Doch dann bemerkte ich, dass auch Katharina fehlte und ich wusste, dass ihm nichts passieren konnte. Also stellte ich das Essen schon mal auf den Tisch und wir warteten auf die beiden. Als Tobias kurz darauf ohne seine Schwester kam, erklärte er mir, wo sie sei und dass ich später nochmal zu ihr gehen sollte.

 Während des Essens beobachte ich Markus immer wieder. Er macht mir den Eindruck als sei jemand gestorben oder als ob er tot krank sei. Um ihn endlich mal aus seiner Starre zu holen, frage ich ihn: „Schmeckt es dir nicht, Markus?" Langsam hob er den Kopf und sein tiefer trauriger Blick ließ mir eine Gänsehaut über den Rücken laufen. Er blickte sich kurz um und antwortete mir: „Doch es ist sehr lecker. Aber...ich habe gerade nicht so großen Hunger..." Seine Stimme brach mehrmals und ich merkte, dass er nicht gerne reden wollte und beließ es deshalb dabei.

Als alle fertig gegessen hatten, sich die Männer ins Wohnzimmer zurückgezogen hatten und die restlichen Frauen mir halfen die Küche wieder in den Normalzustand zu bringen, beschloss ich nach Katharina zu sehen. Wir gingen in das Wohnzimmer zu den Männern und ich ließ mir von Tobias die richtige Zimmernummer sagen und machte mich auf den Weg zu dem Gästezimmer Nr. 5.

Markus' Sicht:

Ich war mit der Entscheidung, dass Katharina und ich uns aus dem Weg gehen sollten, mehr als unzufrieden. Ich war so traurig und fühlte mich hilflos. Ich hatte plötzlich das Gefühl, dass ich ohne Katharina nicht mehr richtig atmen konnte; geschweige denn ohne sie leben konnte. Von einem auf den anderen Moment verwandelte sich die bezaubernde Gegend um mich herum zu einer trostlosen Wüste. Ich hatte einen großen Kloß im Hals, der jegliche Worte zu verschlucken drohte. Ich hätte gerne meinen Tränen freien Lauf gelassen - auch wenn ein Mann das eigentlich nicht tat – doch ich konnte nicht! Der Kloß stoppte jegliche Träne die versuchte an die Oberfläche zu gelangen. Es schien mir, als bremste er mich und fraß meine Gefühle und Reaktionen. Gleichzeitig fühlte ich, wie ein großes schwarzes Loch dem Kloß half alle Gefühle zu verschlingen. Nur die Traurigkeit blieb zurück. Auch meine ganze Kraft sog dieses schwarze Loch aus mir heraus und es blieb nur die Traurigkeit in mir zurück.

Ich merkte, dass es mir von Sekunde zu Sekunde schlechter ging und versuchte deshalb meine Kraft wieder aufzufüllen. Das einzige, was mir in den Sinn kam, war etwas Essen zu mir zu nehmen. Doch so oft ich es auch versuchte, der große Kloß ließ es nicht zu. Appetitlos stocherte ich mit leerem Blick in meinem Essen herum. Das was um mich herum geschah, nahm ich nur flüchtig mit. Ich schleppte mich einfach nur hinter den anderen her und versuchte jedem Blickkontakt und jedem Gespräch auszuweichen. Schließlich saß ich auf dem großen Sofa von Emilie und Tobias, als ein weiteres Gefühl an die Oberfläche kam: Es war Sorge! Die Sorge um Katharina! Mir fiel auf, dass ich sie nicht mehr gesehen hatte seitdem wir draußen gewesen waren. Sie war nicht zum Essen erschienen, was sehr untypisch für sie war. Nachdem ich mich mehrfach im Wohnzimmer umgesehen hatte, Katharina aber nicht sehen konnte, tippte ich Tobias, der neben mir saß, auf die Schulter. Er drehte sich um und ich konnte die Verwunderung in seinen Augen sehen. Er hatte wohl nicht damit gerechnet, dass ich mich aus meinem Trauerzustand erhob und meinem Umfeld wieder etwas Beachtung schenkte. Eigentlich hätte ich das auch nicht gemacht, aber die Sorge um Katharina war viel stärker als der Kloß in meinem Hals. Also fragte ich Tobias mit zittriger Stimme: „Wo ist Katharina?" Ich merkte, dass er etwas trauriger wurde als er an sie dachte: „Ich habe sie in ein Gästezimmer gebracht, damit sie sich beruhigen kann und etwas schläft. Sie sah sehr mittgenommen aus." Das er mit seinen letzten Worten einen Funken Hoffnung aufblitzen ließ, was ihm wahrscheinlich nicht bewusst. Ich merkte, dass der Kloß immer kleiner wurde, jedoch ging er nicht weg, aber das Atmen fiel mir schon viel leichter.


Die Bergretter - Lieber Nähe als Distanz?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt