Kapitel 11

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Tobias' Sicht:

Circa eine Stunde nachdem Emilie aufgestanden war um für die Urlauber, die bei uns übernachten, Frühstück vorzubereiten, beschloss ich noch mal nach meiner Schwester zu schauen.

Ich streckte mich kurz, gähnte noch einmal und schwang mich dann aus dem Bett. Wahrscheinlich schläft sie noch, dachte ich mir, weil es in ihrem Zimmer ganz still war. Ich klopfte kurz, öffnete dann aber ohne auf eine Antwort zu warten die Tür. Im Zimmer war es relativ hell und ich merkte nach einem Blick auf das Bett, dass Katharina hier nicht war. War sie etwa schon aufgestanden? Sie ist doch sonst voll der Morgenmuffel...

Ich überlegte nicht lange, sondern machte mich gleich auf den Weg zu Emilie in die Küche. Vor lauter Spannung wie Katharina heute wohl aussehen würde und wie es ihr ginge, eilte ich um die Ecke. Ich sah gerade noch den gedankenverlorenen Blick von Markus, bevor ich mit ihm zusammenstieß. Von dem Aufprall wurde er ein wenig zurückgeschleudert und krachte mit seinem Hinterkopf gegen die Wand. Sekunden später brach sein Körper unter ihm zusammen und er lag reglos vor mir auf dem Boden.

Ich war vollkommen überfordert mit der Situation, schüttelte meinen Kopf und kehrte wieder in die Wirklichkeit. Schnell kniete ich mich neben ihn und fühlte seinen Puls: Er hatte einen leicht erhöhten Puls. Gott sei Dank! Dann überlegte ich, was ich jetzt am besten tat. „Emilie! Emilie du muss ganz schnell her kommen!", schrie ich aufgebracht durch unser Haus und keine halbe Minute später kam sie leicht genervt um die nächste Ecke. Als sie Markus neben mir liegen sah, wurde sie kreide bleich und flüsterte: „W...Was ist mit ihm? Geht es ihm gut?" „Ja er hat nur einen leichterhöhten Puls und ist bewusstlos; aber sonst müsste es ihm gut gehen. Kannst du die Katharina mal schnell aus der Küche holen? Dann kann sie sich gleich um ihn kümmern." „Katharina schläft noch, ich hab sie heute noch nicht gesehen! Ich kann sie aber wecken", informierte mich Emilie. Jetzt war ich verwirrt: Sie war nicht in ihrem Zimmer und sie war noch nicht in der Küche gewesen. Wo verdammt nochmal war sie? „Sie ist nicht in ihrem Zimmer, da war ich eben!" „Wo ist sie denn dann?", sprach Emilie die Frage aus, die im Raum stand. Ich zuckte nur mit den Achseln und sagte: „Bevor wir noch mehr Zeit verlieren und nach Katharina suchen, lasse ich Markus lieber von einem Krankenwagen abholen!" Sie nickte und eilte zum Telefon. Ich blieb bei Markus und fühlte erneut seinen Puls: Er war jetzt normal und gleichmäßig. Sehr gut! Einen schwerverletzten Bergretter können wir uns jetzt nicht leisten. Schlimm genug, dass Katharina schon so zerstreut ist und Michi nur noch im siebten Himmel fliegt, dachte ich mir.

Emilies Sicht:

Kaum hatte ich das Telefon erreicht, tippte ich hektisch die Handynummer von Verena ein. Sie hatte heute frei und mir war es lieber, wenn sie sich um Markus kümmert, da sie weiß was auf dem Spiel steht! Nach langem Warten hörte ich ihre verschlafenen Stimme: „Emilie was willst du denn schon so früh? Es ist gerade mal kurz nach 8." „Komm bitte sofort her, Markus liegt bewusstlos im Flur!" „WAS?!", brüllte eine erschrockene Stimme in mein Ohr: „Scheiße, wie geht es ihm? Ich mach mich jetzt gleich auf den Weg!" „Tobias sagt er hat einen leicht erhöhten Puls, aber sonst geht es ihm gut, aber wir bekommen ihn nicht wach!" „Okay, versucht ihn stabil zu halten, ich bin so schnell wie möglich da!" Dann war die Leitung still. Schnell eilte ich zu Tobias und sagte: „Verena fährt sofort los, sie müsste so in 10 Minuten da sein." „Gut, ich hoffe sie beeilt sich, ich glaube nämlich Markus geht es immer schlechter..." Tobias fühlte wieder den Puls und sein Blick trübte sich: „Sein Puls wird immer schwacher... Ich glaube, es wäre besser, wenn wir ihn in die stabile Seitenlage legen bis Verena da ist."

Gesagt, getan: Tobias drehte Markus vorsichtig auf die Seite, legte Arme und Beine in die richtige Position und wand sich dann an seinen Kopf. „Er hat eine große Platzwunde am Hinterkopf!", schrie Tobias aufgebracht. Ich ging ein paar Schritte auf die Beiden zu, um mir Markus' Kopf ebenfalls anzugucken, als plötzlich eine Gestalt um die Ecke kam. „Verena, du bist schon da? Wie hast du es so schnell hier her geschafft?", wollte ich irritiert und glücklich zugleich wissen. „Das spielt doch jetzt gar keine Rolle! Ich bin hier um Markus zu retten; also macht mal etwas Platz", sagte Verena etwas gereizt. Wir machten ihr Platz und Verena sagte mehr zu sich selbst als zu uns: „Große Platzwund – muss genäht werden, sehr niedriger Puls – könnte ein Problem werden...", sie drehte sich zu mir und fragte: „Sagtest du nicht, dass er einen leicht erhöhten Puls hat?" „Doch, aber-" „Egal. Rapide fallender Puls – sehr schlecht", schnitt sie mir das Wort ab. Verena drehte sich wieder zu uns und sagte: „Ich werde Markus jetzt in die Klinik bringen, Tobias, du kommst mit. Emilie, ich rufe dich an, sobald wir etwas Neues wissen." Ich nickte etwas enttäuscht und ging hinter Verena her, die sich in Bewegung setzte. Sie ging raus und ich hielt Ausschau nach ihrem Auto, doch ich konnte es nirgends sehen: „Wie bist du überhaupt hier her gekommen?" Verena blickte mich an und sagte nach kurzem Überlegen: „Privattaxi!" Da nicht mehr aus ihr raus kam und ich keine Lust hatte, ihr alles aus der Nase zu ziehen, beließ ich es dabei. Währenddessen schaute Verena immer wieder in den Himmel, als ob sie etwas suchte – und keine 5 Sekunden später wusste ich, was sie erwartete: Den Hubschrauber!

Verena lief sofort los, um bereit zu sein, wenn der Hubschrauber hinter dem Haus auf der Wiese landet. Sobald er stand, rannte sie zur hinteren Tür und holte eine Trage heraus. Michi, der nun auch aus dem Hubschrauber stieg, hatte nur Augen für Verena. Und auch Verena wirkte wie erfroren, als sie seinen Blick aufnahm.

Soso, die Beiden, dachte ich mir und schmunzelte. Ich beobachtete den Moment ein wenig und versuchte dann auf mich aufmerksam zu machen, da es hier um Markus' Leben ging! „Verena kommst du? Markus braucht dich jetzt!", rief ich ihr zu und kurzer Hand starrten mich zwei entgeisterte Gesichter an. Verena fasste sich aber schnell wieder und hastete, mit der Trage im Schlepptau, auf mich zu. Als sie verschwunden war, lächelte ich Michi zu und sagte: „Pass aber schön auf sie auf, hörst du!" Er sah mich geschockt an: „Woher weißt du das? Ich meine wir sind doch eh erst seit ein paar Tagen zusammen..." „Das sieht man einfach, selbst ein Blinder mit Krückstock würde es merken!", lachte ich ihm zu und meinte dann ernst: „Aber keine Sorge ich verrate es nicht." Damit schien er zufrieden und stieg wieder in denen Heli, da Markus auf der Trage angeliefert wurde.

Als Markus verstaut war und Tobias und Verena im Heli saßen, rief mir Verena noch zu, dass ich mit meinen Kindern nachkommen könne. Sie schloss die Tür und der Heli erhob sich langsam und flog schnell Richtung Schladming davon.


Die Bergretter - Lieber Nähe als Distanz?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt