8. Florence - Maries Eltern

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Wir erstarrten und meine Augen weiteten sich vor Schreck. Was war hier grade passiert? Ich hatte das Gefühl, aus einem Traum herausgerissen zu werden. Ich sah wie auf Maries Gesicht der Ausdruck puren Entsetzens erschien und die Röte in ihr hochstieg. Ich nahm meine Hand von ihrem Nacken und legte sie auf das Buch, das in meinem Schoß lag, während Marie aufsprang und einen Schritt vom Bett weg trat. 

"Jaaa ich bin oben" rief sie mit belegter Stimme. 

Ich hörte Schritte auf der Treppe. Marie sah sich panisch um, strich sich durch die Haare, ich glaubte ihre Hand zittern zu sehen. 

Ich war noch vollkommen perplex von dem, was eben passiert war, aber Marie schien es vollkommen von den Beinen gerissen zu haben. 

War ich übergriffig gewesen? Hatte ich sie gegen ihren Willen geküsst? Ich weiß gar nicht, warum ich sie überhaupt geküsst hatte. Es war einfach so über mich gekommen. Und ihre Lippen hatten sich so weich angefühlt. So gut. Und ich hatte das Gefühl, ihr hätte es auch gefallen. Oder?

Als die Tür aufging, setzte Marie sich schnell auf ihren Schreibtischstuhl und nahm einen Collegeblock in die Hand. Ihre Wangen waren immer noch gerötet. 

Eine blonde Frau mit strengem Pferdeschwanz stand im Türrahmen und sah mich überrascht an. Ihre Brauen zogen sich zusammen und sie spitzte die rot geschminkten Lippen. 

"Guten Morgen, Frau von Behrens? Meine Name ist Florence, Marie hat ihnen sicher von mir erzählt, wir arbeiten zusammen an dem Deutschprojekt. Schön sie kennen zu lernen." 

Es fühlte sich komisch an, mit Maries Mutter zu reden, zwei Minuten, nachdem ich Marie geküsst hatte. Mein Herz schlug auch kaum merklich schneller und ich fühlte, dass meine Handflächen etwas schwitzig waren. 

Maries Mutter ließ ihren Blick von mir zu Marie und wieder zurück wandern, sagte "Aha. Ja"

Danach herrschte Schweigen und die Situation wurde immer unangenehmer. Ich suchte verzweifelt Maries Blick, doch sie wich meinem aus.

Irgendwann sagte Maries Mutter endlich: "Gut. In etwa einer halben Stunde gibt es Essen. Kommt ihr dann bitte auch runter?"

Ich nickte und Marie sagte: "Ja Mutter" Das 'Mutter' sagte sie leicht ironisch, was ihrer Mutter nicht entging, da sie ganz leicht eine Augenbraue hochzog, sich aber sofort umdrehte und nach unten marschierte. Dann waren Marie und ich wieder allein und um eine angespannte, unangenehme Stille zu verhindern fragte ich vorsichtig: "Wollen wir jetzt wirklich Deutsch machen?" 

Das 'wirklich' betonte ich ein wenig, um die Stimmung ein wenig aufzulockern, doch Marie blickte weiter befangen auf den Boden und sagte: "Ok, lass uns anfangen."

Wir arbeiteten, bis es Essen gab, es herrschte eine merkwürdige Stimmung zwischen uns und wir lasen uns auch fast die ganze Zeit nur Arbeitsblätter und Ausschnitte aus Theaterstücken durch, um so wenig wie möglich mit einander zu reden.

Es gefiel mir nicht, wenn wir so distanziert zu einander waren, ich wollte, dass es zwischen uns so war wie vorher, aber das ging irgendwie nicht. Wir konnten einfach nicht mehr normal mit einander reden.

Als Maries Vater uns schließlich zum Essen rief, waren wir dankbar, dass wir nach unten gehen und dieser unangenehmen Situation fliehen konnten.

Wir saßen an einem riesigen Tisch, wir, das hieß Marie, ihre Mutter, ihr Vater und ich. Der Tisch war reich gedeckt mit köstlich duftendem Essen auf sehr hübschen Porzellangeschirr. Ich glaube ich hatte noch nie so edel Mittag gegessen.

Zur Vorspeise gab es Datteln in gegartem Blattspinat, zur Hauptspeise Wachteln mit Salzkartoffeln. Ich saß steif auf meinem Stuhl und traute mich nicht einen Ton von mir zu geben. Alle anderen aßen auch schweigend. Immer wieder versuchte ich Blickkontakt zu Marie auf zu nehmen, aber sie ignorierte mich stur. Die ganze Situation war mir unglaublich unangenehm.

Schließlich legte Maries Mutter ihr Besteck beiseite, tupfte ihren Mund mit ihrer Servierte ab und sah mich an. "Florence ... Du gehst also auch in Maries Klasse?"

Mir entging keineswegs der leicht abfällige Tonfall.

"Ja. Wir sitzen zur Zeit neben einander."

"Ich weiß", erwiderte sie mit spitzer Stimme. "Darf ich fragen, woher du diesen Namen und dein Aussehen her hast? Bist du Französin?"

Was für eine merkwürdige Frage.

"Hm meine Mutter ist Französin, mein Vater ist Portugiese. Sie haben sich in Portugal kennengelernt, wo ich auch geboren bin, aber vor 10 Jahren oder so sind wir dann nach Deutschland gezogen."

"Und sprechen deine Eltern Deutsch?"

"Natürlich!", erwiderte ich leicht empört.  Das stimmte nicht ganz, mein Vater hatte manchmal schon seine Probleme, aber er sprach trotzdem gut genug. Ich fand die Art, wie Maries Mutter mich befragte nicht sehr nett. Ein Seitenblick auf Marie zeigte mir, dass auch sie leicht gequält das Gesicht verzog, während sie auf ihren Teller starrte. 

"Und als was sind deine Eltern tätig, wenn ich fragen darf?"

"Wir haben ein Restaurant unter unserer Wohnung, ein Familienbetrieb. Es läuft sehr gut."

"Aha und musst du dort auch mitarbeiten?"

"Ja ich und meine Geschwister helfen oft mit, bei sämtlichen Arbeiten, die anfallen. Aber das machen wir sehr gerne, es ist ja schließlich ein Familienbetrieb." Naja gerne war übertrieben, aber ich ließ doch jetzt meine Eltern nicht so stehen, als ob sie ihre Kinder zur Arbeit zwangen.

"Geschwister? Wie viele Kinder seid ihr denn?"

"5. Ich habe drei große Brüder und eine kleine Schwester."

"So viele?" Maries Mutter verzog herablassend die Augen und nippte an ihrem Wasserglas. Sie war mir wirklich unsympathisch. 

Als das Essen endlich vorbei war, hoffte ich, dass Marie und ich schnell wieder in ihr Zimmer gehen würden und vielleicht sogar die komische Situation zwischen uns klären konnten. Aber als ich auf die Treppe zugehen wollte sagte sie, noch immer ohne mich anzusehen, "Ich glaube du solltest jetzt gehen, Florence."

Verunsichert blieb ich stehen und sah zwischen Florence und ihrer Mutter hin und her, die mich aufmerksam beobachtete. Ihr Vater war direkt nach dem Essen wortlos verschwunden.

"Ähhhh ja klar, nagut, kein Problem", stammelte ich und drehte mich zur Garderobe, um meine Jacke zu nehmen. Ich fühlte den bohrenden Blick von Maries Mutter auf mir, während ich mich anzog und meinen Rucksack wieder aufsetzte und verabschiedete mich knapp, als auch schon die Haustür hinter mir ins Schloss fiel. 

Das war alles sehr unangenehm gewesen. 

Ich schloss mein Fahrrad auf und fuhr zögernd über die lange Auffahrt vom Grundstück. 

Das war ein sehr verwirrender Vormittag gewesen.

RomeA and JulietWo Geschichten leben. Entdecke jetzt