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Bild: Stelle am Bach

"Ich werde bei dir bleiben."

Ich fuhr mit meiner Hand hinter sein Ohr und schloss dann schließlich beide Arme um seinen Hals. Als ich ihm so nah war und mich in sein erstaunlich weiches Fell drückte, merkte ich erst, wie sehr ich ihn das ganze Wochenende vermisst hatte. Mom hatte recht. Es war wirklich einfacher, sobald ich es akzeptierte. Mit einmal verschwand sein Fell und zwei starke Arme waren hinter meinem Rücken gekreuzt. "Du weißt gar nicht, wie schwer es war zu warten.", hörte ich Dylan mit rauer Stimme in meine Haare murmeln. Ein kleines Grinsen stahl sich auf meine Lippen und ich nickte. "Doch, dass weiß ich." Dylan ließ mich los und schaute mir in die Augen. Ich lächelte zu ihm hoch, was er erwiederte. Grinsend nahm er meine Hand und zog mich hinter sich her. Mir stieg die Hitze in die Wangen, als ich bemerkte, dass er oberkörperfrei war. Ich hatte ihn eben umarmt?! Dem Drang wiederstehend, mir die Hand an die Stirn zu klatschen, folgte ich ihm einfach ungeschickt. "W-wo gehen wir denn jetzt hin?", fragte ich ihn nervös und versuchte so wenig wie möglich auf seinen muskulösen Rücken zu starren, während er vor mir herlief. Dylan unterdrückte ein Lachen. "Wirst du gleich sehen."

Nachdem wir etwa sechs Minuten durchs Unterholz gestreift waren, wobei ich etwa zehntausend Mal gestolpert war, wurde der Waldboden und die Bäume lichter und mehr steiniger. Ich fragte mich wirklich, wo wir hingingen. In diesem Teil des Waldes war ich nämlich noch nie. Heißt, wenn Dylan mich jetzt hier sitzen lassen würde, wäre ich nicht mehr nach Hause gekommen. Er ließ meine Hand los und sprang gekonnt über eine kleine Klufft zwischen zwei Felsen. Und dort stand er jetzt, halbnackt mit einem schelmischen Grinsen auf den Lippen, und reichte mir seine Hand. Ich spürte wie mir wieder die Hitze ins Gesicht schoss und meine Wangen anfingen zu kribbeln, als ich ihm meine Hand zu streckte. Kaum hatte ich das getan, wurde ich förmlich auf die andere Seite gerissen, natürlich etwas sanfter als es sich anhörte, und wurde dort von Dylan aufgefangen. Grinsend strich er mir mit seinem Finger über die Wange, während seine andere Hand auf meiner Hüfte lag. "Süß.", flüsterte er und schaute dabei auf meine geröteten Wangen, die dadurch noch mehr an Farbe zulegten. Ich nahm seine Hand von meiner Wange weg und schaute nach rechts, wo sich unter uns der Bach langzog. Dylan setzte sich auf die Kante des kleinen Felsens und ich setzte mich neben ihn. "Also.", fing er an und drehte sich mehr zu mir. "Erzähl mir von deiner Familie." Lächelnd sah ich ihn an. Ich rechnete ihm hoch an, dass er nicht direkt mit dem Beziehungsding anfing. Meinen Blick wieder auf den Bach schwenkend holte ich tief Luft und fing an zu erzählen. "Also ... du musst wissen, ich wurde nicht hier geboren. Bis ich dreizehn war wohnten ich und meine Familie in Maine. Mein Bruder Wesley wollte aber noch seinen achtzehnten Geburtstag dort feiern, also taten wir das auch. Er war ziemlich beliebt an unserer Schule, deshalb wurde es eine große Feier. Und er sah dort dann auch tatsächlich Roxanne, in der er seine Mate fand.", sagte ich und lächelte bei der Erinnerung daran. "Warte. Dein Bruder ist ein Werwolf?!", fragte Dylan mich ungläubig. Ich grinste über seine Reaktion. "Ja.", fuhr ich fort. "Mein Dad auch. Nur meine Mom und ich sind Menschen. Wie dem auch sei, Wes hatte also seine Mate gefunden, aber in zwei Tagen sollten wir schon umziehen. Meine Eltern sahen, dass er totunglücklich darüber war, deswegen sagten sie ihm, er könnte dort bleiben, wenn er wolle, immerhin war er ja volljährig. Natürlich tat er das, aber ich hab es ihm ziemlich übel genommen. Ich wusste ja nicht, was es tatsächlich für ihn bedeutete. Aber mit der Zeit hatte ich immer mehr Verständnis für ihn und jetzt besuchen wir ihn in den Ferien immer und telefonieren oft, um die Distanz etwas zu überbrücken. Trotzdem vermisse ich ihn oft, immerhin ist er mein Bruder." Ich sah auf meine Hände und dachte kurz an den schweren Abschied von damals. Schnell schob ich den Gedanken beiseite und sah zu Dylan, der die ganze Zeit förmlich an meinen Lippen hing. "Und wie ist es bei dir? Wie ist deine Familie so?", fragte ich ihn und schubste mit meiner Schulter gegen seinen Oberarm. Zuerst grinste er, doch das verschwand ziemlich schnell wieder. "In meiner Familie waren es schon immer nur Werwölfe. Allerdings ist mein Rudel für mich meine Familie, also ..." Ich hatte das Gefühl, dass es ihm schwer fiel darüber zu reden. Darum nahm ich seine Hand und verschränkte unsere Finger miteinander. "Dylan, wenn du nicht darüber reden willst, dann ist das okay für mich.", sagte ich ihm und strich mit meinem Daumen über seinen Handrücken. Aber er schüttelte nur seinen Kopf. "Nein, ich möchte es dir erzählen. Also ... wenn man davon ausgeht, sich nur auf die Blutverwandschaft zu konzentrieren, dann sind es nur mein Dad und ich. Meine Mom wurde von einem anderen Rudel umgebracht, als ich zwölf war. Ihr Alpha hatte damals ein Auge auf meine Mom geworfen, aber sie hatte ja schließlich in Dad ihren Mate gefunden ... irgendwann haben sich die Rudel dann wieder getroffen und es kam zu einem Kampf, in dem er dann meine Mom aus Eifersucht umbrachte.", erzählte er, wobei seine Stimme am Ende des Satzes abbrach. Ich lehnte meinen Kopf gegen seine Schulter und schloss die Augen. "Das tut mir leid Dylan.", meinte ich und betrachtete den plätschernden Bach unter unseren Füßen. Ich schaute zu Dylan hoch, der mich anlächelte. Allerdings wechselte es von einem traurigen zum schelmischen Lächeln, weshalb ich ihn verwirrt anschaute. Mit einmal fasste er mich an der Schulter und schubste mich vom Felsen. Mit einem lauten Quieken fiel ich mit meinem Hintern zuerst ins Wasser. Es stand zwar nicht hoch, aber immerhin ging es mir im Sitzen bis zum Bauchnabel. Ungläubig schaute ich zu Dylan, der sich auf dem Felsen halb schlapp lachte. "Ja mir auch!", rief er und bekam sich gar nicht mehr ein. Beleidigt verschränkte ich die Arme vor der Brust und schmollte. Dylan sprang elegant vom Felsen runter und stellte sich vor mich. Er half mir hoch und hielt mich wieder an der Hüfte fest. "Geh mit mir am Dienstag was Essen.", sagte er und strich mir eine nasse Haarsträhne von der Stirn. Zuerst runzelte ich meine Stirn darüber, wie schnell er das Thema wechselte, aber anscheint machte er das mit Absicht. "Klar, warum nicht?", sagte ich. "Gut. Dann komm, ich bringe dich nach Hause. Wird schon spät.", meinte Dylan, während er einen großen Sprung aus dem Bach ins gegenüberliegende Gebüsch machte. Mich ließ er natürlich dabei im Wasser zurück. "Blöder Angeber ...", murmelte ich, konnte das Grinsen aber nicht unterdrücken. Ich watete durch das seichte Wasser und schüttete an Land erst einmal meine Schuhe aus. Die und meine Hosen waren zwar nicht mehr zu retten, aber dann müsste ich wenigstens nicht mit einem Pool unter den Füßen nach Hause latschen. Ich wollte gerade meine Schuhe zu binden, da wurde ich von hinten am T-Shirt nach oben geworfen. Zuerst wollte ich ja schreien, aber dann merkte ich, dass Dylan wieder ein Wolf war und mich auf seinen Rücken gesetzt hatte. "Ehm ... ich bin mir ziemlich sicher, dass wir so schneller Zuhause sind, aber ...", fing ich an zu protestieren, doch Dylan rannte schon los. Undzwar, für meinen Geschmack, viel zu schnell. Ich krallte mich an seinem Nackenfell fest und drückte mein Gesicht nach unten. Die ganze Zeit hatte ich das Gefühl runter zu fallen, aber Gott sei Dank waren wir nach einer Minute auch schon bei mir Zuhause. Von seinem Rücken rutschend schwankte ich etwas und hielt mich am Baum fest. "Mach das ... nicht nochmal, verstanden?", fragte ich ihn und hob warnend meinen Zeigefinger. Eigentlich wollte ich ihm auf seine Wolfsnase stupsen, stattdessen piekste ich gegen seine, zugegebenermaßen ziemlich durchtrainierte, Brust. Sofort nahm ich meinen Finger weg und schaute anklagend in Dylans Gesicht. Dieser lachte mich, mal wieder, aus. Tut mir leid, dass ich den Umgang mit Jungen, die nicht mein Bruder waren, nicht gewohnt war. Erst recht nicht, wenn diese auch noch halbnackt waren ... Dylan brachte mich noch zur Tür, um sich da von mir zu verabschieden. Ich biss mir auf die Lippe und umarmte ihn einfach. "Danke für den Tag Dylan.", nuschelte ich und spürte wie er seine Arme ebenfalls um mich legte. "Das werden wir auf jeden Fall wiederholen. Versprochen.", sagte er und löste sich aus der Umarmung. "Ich sag dir morgen Bescheid, wann ich dich abholen werde. Machs gut.", sagte er, drückte mir einen Kuss auf die Wange und verschwand wieder in den Wald. Ich schloss die Tür und fuhr mit den Fingern über die Wange, die er eben geküsst hatte. "Machs besser Dylan."

Luna - Das Herz des RudelsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt