Ich wachte mit einer eher bedrückteren Stimmung auf. Mein Bruder hatte mir und meiner Familie gestern gesagt, dass sein Flug wohl nicht geflogen wäre, beziehungsweise er die Verspätung verpasst hätte, und somit heute sein letzter Tag bei uns sein würde. Man sah meinem Bruder an, dass er zwiegespalten war: Auf der einen Seite freute er sich sehr seine Familie zu sehen, aber auf der anderen Seite litt er wirklich sehr unter dem Trenungsschmerz von Roxy. Wesley war ein harter Kerl, aber wenn man es ihm schon ansah, dann wollte ich gar nicht wissen wie es Roxy ging.
Nach dem Früchstück hatten wir beschlossen, - Mom und Dad waren schon wieder auf der Arbeit, weil sie ja dachten Wes wäre heute schon wieder weg. - dass wir den Tag zusammen draußen verbringen würden. Also machte ich uns beiden Lunchpakete, bei Wes packte ich viel mehr rein als bei mir, nahm mir ein paar Decken und stopfte schließlich alles in einen Rucksack. Da Wes das Transportmittel war, konnte er leider nichts nehmen. Mit einem Grinsen im Gesicht folgte ich dann meinem Bruder in den Wald und hüpfte auf seinen Rücken, nachdem er sich verwandelt hatte. Mittlerweile hatte ich sogar einen ganz guten Schwung und eine Tatktik, wie ich besser auf die Wölfe kam, immerhin waren sie ein gutes Stück größer als ein mittelgroßes Pferd. Wes streckte seine Nase nach oben, während ich ihm durch sein zerzaustes hellbraunes Fell fuhr. Es war ungewohnt so helles Fell zwischen den Fingern zu sehen. Und dann sprintete mein Bruder urplötzlich los. Ich wäre beinahe runtergefallen, weil er mich nicht gewarnt hatte. Der Klang, der aus seiner Kehle kam, hörte sich an wie ein heiseres Husten und ich wusste genau was das war: Er lachte mich aus. Beleidigt schnippste ich ihm gegens Ohr, was ihn aber wenig störte. Ich hielt mich fester an seinem Nackenfell fest und drückte mich näher in sein Fell. Meine Augen ließ ich die ganze Zeit öffen, damit ich meine Umgebung sehen konnte. An den Bäumen hingen schon vereinzelt orangegoldene Blätter, von denen einige schon ausgetrocknet auf dem Boden lagen. Ich konnte den Herbst kaum erwarten; er war meine Lieblingsjahreszeit. Den Weg, den Wes lief kannte ich nicht. Aber er wurde schon langsamer, was hieß, dass wir gleich da sein würden. Wie zu erwarten hielt Wes, kurz nachdem ich meinen Gedanken zuende gedacht hatte, unter einer großen Eiche an. Ich rutschte gekonnt von seinem Rücken und sah skeptisch zu dem wunderschönen Baum, den ich jetzt wiedererkannte. Dylan hatte mir einen Tag mal das ganze Terretorium gezeigt und normalerweise sind hier immer Wassernymphen und Vampire sollen hier auch öfters vorbeikommen, aber vielleicht hatten wir ja Glück. Auf jeden Fall hatte ich keine besondere Lust womöglich auf Miriam zu treffen oder von irgendwelchen Blutsaugern bedroht zu werden. Tatsächlich waren die Vampire, die auf meine Schule gingen, verdammt aggressiv. Aber wenn es hart auf hart kommen sollte, würde Wes und ich einfach fliehen. "Und?", fragte er und ließ sich unter die Eiche fallen. Fragend sah ich zu ihm hin, während ich die Decke rausholte, die ich eingepackt hatte. "Und was?" Wes zog eine Augenbraue hoch und stieß einen langen Seufzer aus. "Naja, du hast doch bald deine Schule fertig. Hast du dir schon überlegt wie du weiter machen möchtest? Studieren, Ausbildung, Ausland ... denn so wie ich meine kleine Schwester kenne, hast du daran nicht einen Gedanken verschwendet." Nachdenklich strich ich die Falten aus der rot-weiß karierten Decke und setzte mich schließlich drauf. "Wahrscheinlich was mit Bio und Chemie, immerhin sind das meine besten Fächer, aber ... du hast recht, einen Plan hab ich noch nicht.", meinte ich und schaute hoch in den Himmel. "Mach dir mal keine Sorgen.", sagte Wes und griff in den Rucksack nach einem Brötchen. "Du wirst das schon packen, immerhin bist du meine Schwester."
Tatsächlich kamen keine Vampire oder Wassernymphen vorbei, was ich sehr begrüßt hatte. Wes und hatten viel über unbedeutendes und bedeutendes Zeugs geredet, aber die Zeit verging viel zu schnell. Gegen halb sieben mussten wir schon wieder zusammenpacken und uns auf den Weg machen. Gerade als ich die Decke wieder zusammenlegte, sah ich drei Personen auf der anderen Seite des Baches, der an der Eiche vorbei lief. Eigentlich wollte ich mich wieder wegdrehen, als ich zwei Personen erkannte. Jasper und Miriam. Was zum Teufel? Ich lehnte mich mit dem Rücken gegen den Baum und zog meinen Bruder auch ganz sachte neben mich. Mit dem Finger deutete ich ihm sich zu mir runterzubeugen. "Kannst du von hier hören, was die reden?", fragte ich ihn so leise wie möglich. Zuerst sah er mich verwirrt an, aber dann schloss er die Augen und konzentrierte sich. Im allgemeinen war ich eine Person, die viel Wert auf Privatsphäre setzte, aber die beiden waren mir schon in der Schule verdächtig vorgekommen. Klar, Jasper war neu, aber zuerst war er mir gegenüber so anhänglich, dann ließ er mich links liegen und war ständig bei Miriam und erst recht die Szene, die er mit Dylan veranstaltet hatte. Das kam mir alles sehr suspekt vor. Ich wagte einen Blick um den Baum und sah gerade noch wie sie auseinander gingen. Jasper und der Typ in den Wald auf der anderen Seite und Miriam flussabwärts. Gott sei Dank hatte sie uns nicht bemerkt. Auf dem Gesicht meines Bruders lag ein verwirrter Gesichtsausdruck. "Hast du was gehört?", fragte ich ihn und er nickte. "Ja.", meinte er. "Sie haben irgendwas davon geredet, dass es noch vor Freitag passieren muss und irgendwer nicht mehr warten will. Außerdem hat dieses Mädchen ziemlich viel geflucht." Ich sah meinem Bruder dabei zu, wie er die Sachen einpackte und hing meinen Gedanken nach. In meinem magen machte sich ein unwohles Gefühl breit. Die hatten irgendwas vor und ich fürchtete, dass es nichts Gutes war.
Das Schniefen, welches ich neben mir vernahm, gab mir das Signal die Taschentücher rauszukramen. Kaum hatte ich sie draußen, schnappte sich meine Mutter die Packung und hielt sich das Taschentuch unter die gerötete Nase. Mom und Dad hatten heute früher Schluss gemacht, damit sie Wesley mit zum Flughafen bringen konnten. Unter Tränen warf sich meine Mutter also Wes in die Arme und drückte ihn fest. Noch stand ich etwas abseits von ihnen und betrachtete das ganze geschehen. Mir kam das alles wie ein schreckliches De-javú vor, was ich lieber nicht noch einmal erleben wollte. Nachdem mein Vater ihn dann auch nochmal fest gedrückt hatte, war ich dran. Wes breitete seine Arme aus und hatte sein schiefes Lächeln auf den Lippen. Bisher konnte ich die Tränen ganz gut zurückhalten, aber sobald er seine Arme um mich geschlossen hatte, war das vorbei. Ich brach nicht zusammen, so wie bei Lydia, weil ich ja wusste ich würde ihn wieder sehen, aber es war trotzdem ein Abschied. Und wie immer wurde ich durch diese Umarmung in unsere Kindheit zurückversetzt. Wesley und ich hatten schon immer eine feste Bindung zueinander. Er war mein großer Bruder, der mich immer beschütze, weil ich ja nur das kleine Menschenmädchen war. Auch wenn ich mich wehren konnte, gegen Werwölfe oder Vampire hatte, habe und werde ich nie eine Chance haben, wenn mir niemand half. Aber jetzt waren wir beide erwachsen. Ich machte nächste Woche meine Schule fertig und Wes hatte einen Job und eine Freundin, die er hoffentlich bald heiraten würde. "Richte Roxy schöne Grüße von mir aus." Wes strich mir einmal über den Kopf und wir lösten uns aus unserer Umarmung. Ich schniefte einmal, so wie meine Mutter zuvor, und wischte mir mit meinem Ärmel über die Augen. "Mach ich Knirps.", meinte er und stieß mich sachte gegen die Schulter. Mit einem Lächeln auf den Lippen schob ich ihn schließlich beiseite. "Jetzt geh schon, sonst verpasst du wieder deinen Flug!" Grinsend hob er seinen Koffer auf und ging noch einmal zu Mom und Dad. Als er bei mir vorbeiging sah er mir nochmal tief in die Augen. "Pass gut auf dich auf Julia." Erstarrt sah ich ihm nach. Mir lief ein Schauer über den Rücken. So wie er das sagte ... Wes hatte noch was bei dem Gespräch am Fluss gehört, da war ich mir sicher. Und warum er mir sagte, ich solle auf mich aufpassen? Ganz einfach: Ich war in wahrscheinlich großer Gefahr.
![](https://img.wattpad.com/cover/82864981-288-k746337.jpg)
DU LIEST GERADE
Luna - Das Herz des Rudels
WerewolfWir haben schon oft Geschichten gelesen, in denen es um Fabelwesen ging. So welche wie Werwölfe, Vampire oder Meejungfrauen. Aber, was wenn ich euch sage, dass es nicht nur Geschichten sind? Wenn es diese Wesen wirklich gäbe? Ihr glaubt mir nicht? H...