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Kennt ihr das, wenn die Leute aus eurem Umfeld total nervös und angespannt sind, und sie das dann auf euch übertragen? Genau so ging es mir. Wir waren bei der Hälfte der Woche angelangt und noch immer war nichts passiert. Andrew, Jeremy, Hannah, Lucas und Dylan waren die ganze Zeit müde und angespannt, denn entweder würden Jasper und Miriam ihren Plan heute oder morgen durchziehen. Immerhin sollte es ja vor Freitag passieren, und der würde ja schon übermorgen sein.

So kam es, dass ich in der Mittagspause zwischen völlig übermüdeten Werwölfen saß. Dylan schlief schon beinahe im sitzen ein. Vorsichtig tippte ich ihm gegen die Wange und sofort schoss er hoch. "Was?", fragte er und guckte verwirrt um sich. Ich verfolgte das Schauspiel grinsend. "Leute ... ich würde es besser finden, wenn ihr die letzte Stunde schwänzt und euch Zuhause ausruht. Immerhin werdet ihr die Kraft brauchen, ihr wisst schon ...", meinte ich und schaute meine Freunde beunruhigt an. Hannah schüttelte bestimmt mit dem Kopf. "Nein das kannst du- kannst du ..." Sie unterbrach sich selber mit einem Gähnen. "Das kannst du vergessen Julia. Jemand muss auf dich aufpassen - du bist doch unsere Luna ... wir brauchen dich, nicht vorzustellen was wäre, wenn dir was passiert." Einerseits war ich gerührt von ihren Worten, aber andererseits machte ich mir auch Sorgen. Wenn sie tatsächlich der Meinung waren, mich immer beschützen zu müssen, dann würden sie sich früher oder später irgendwie in Gefahr sein, und das wollte ich keinesfalls. "Na gut.", sagte ich. "Dann schwänzen wir zusammen. Morgen bekommen wir die Zeugnisse, da wird eine Stunde nicht von Bedeutung sein." Ich stand auf und schaute geduldig zu den Wölfen runter. Quälend langsam erhoben sie sich von der Sitzbank. Hätte ich nicht so eine Geduld, wäre ich wahrscheinlich ausgetickt. Auf dem Weg zum Parkplatz musste ich Dylan ein paar Mal davor retten der Länge nach auf seine Nase zu fallen, weil er nicht im geringsten darauf achtete wohin er lief. Als er dann noch Anstalten machte, sich auf die Fahrerseite zu setzten, stoppte ich ihn. "Hey Dylan. Es ist besser wenn ich fahre.", meinte ich zu ihm und sah zu, wie er torkelnd zum Beifahrersitz ging. Hannah war die Einzige, die vergleichsweise wach war, weshalb ich mir nicht so große Sorgen machte, ob sie fahren könnten.

Im Rudelhaus angekommen, verfrachtete ich alle in die Schlafzimmer. Ich fühlte mich in etwa wie eine Nanny, die die Kinder zu Bett brachte. Als dann jeder friedlich im Bett lag, gesellte ich mich zu Dylan, der mit dem Gesicht im Kissen lag. Schmunzelnd ging ich aufs Bett zu und drehte seinen Kopf zur Seite. Nachher erstickte er mir noch ... Mit einem kurzen Blick auf die Uhr stellte ich fest, dass es bereits kurz vor eins war. Wenn sie also alle etwa sechs Stunden schlafen würden, dann wären sie noch vor Sonnenuntergang wach. Dylan und Lucas hatten den Verdacht, dass sie, wer auch immer das sein mag, uns aus irgendeinem Grund angreifen wollten. Allerdings wäre es wahrscheinlicher, wenn sie das während es dunkel war tun. Sobald ich mich zu Dylan ins Bett gelegt hatte, wurde ich von ihm prompt als Kuscheltier benutzt. Lächelnd sah ich zu ihm runter und strich ihm durch seine dunkelbraunen Haare. Seine Mundwinkel zuckten nach oben, was mich nur noch mehr zum Grinsen brachte. Wieder einmal ging mir der Gedanke durch den Kopf, was passieren würde, wenn Dylan tatsächlich verletzt werden würde. Die Jungs und Hannah sprachen ständig von einem Kampf, den es geben soll, obwohl sie das ja gar nicht wissen können. Bei ihnen hört sich das immer so an, als würde ein Krieg ausbrechen. Aber das Schlimmste war, ich glaubte ihnen. Und ständig malte ich mir aus, wie ich versteckt zugucken müsste, wie meine Freunde verletzt oder gar getötet werden. Dylan war überhaupt nicht damit einverstanden, dass ich mit dabei sein sollte, wenn es soweit wäre. Aber schließlich wurde er überstimmt. Sie meinten, ich wäre eine moralische Unterstützung und würde ja auch beschützt werden. Und da war es dann wieder - Ich würde beschützt werden. Aber das war es ja, was ich nicht wollte. Da ich körperlich unterlegen war, konnte ich auch nichts ausrichten. Ich hatte mir in den vergangen Tagen oft darüber Gedanken gemacht und war tatsächlich zu einer Möglichkeit gekommen - Silber. Laut Dad war es kein Gerücht oder eine Legende, was ich ihm sofort glaubte. Immerhin lebte ich in einer Welt mit Werwölfen und Nixen und so was. Ich wandt mich vorsichtig aus Dylans Umarmung, darauf bedacht ihn nicht zu wecken, und stand vom Bett auf. Schnell kritzelte ich ihm eine Nachricht auf ein Stück Papier und legte es ihm auf den Nachttisch. Dann ging ich schnell durchs Haus und machte mich auf zur Praxis meiner Eltern.

Während der Fahrt, ich hatte mir Dylans Auto geliehen, trommelte ich nervös auf den Lenkrad rum. Ich hatte keine Ahnung wie Mom auf meine Frage reagieren würde, aber ich musste es wagen. Dad hatte ich gar nicht vor es zu erzählen, der würde wahrscheinlich komplett durchdrehen. Also parkte ich den Wagen und ging schnell an der Rezeption vorbei in Moms Büro. Nachdem ich einmal gekopft hatte, öffnete ich ihre Tür. "Mom ...?" Ich schaute um die Ecke, aber sie war nicht da. Also beschloss ich zu warten und setzte mich hin. Tatsächlich kam sie dann etwa eine viertel Stunde später herein. "Ach, Liebling was machst du denn hier?", fragte sich mich überrascht und umarmte mich. "Das war mehr oder weniger ein spontaner Besuch ... undzwar hab ich eine Frage Mom ...", fing ich an und knetete nervös meine Hände unter dem skeptischen Blick meiner Mutter. "Ich hab dir ja erzählt was momentan bei den Wölfen abläuft ..." Sofort wechselte ihre Miene zu besorgt. "Und es ist glasklar, dass ich den Wölfen körperlich unterlegen bin, weil ich nicht so stark, schnell oder groß bin wie sie. Ich bin machtlos.", meinte ich leise. "Mir ist klar, dass Silber sie ... verletzen kann, aber es ist die einzige Möglichkeit mich zu wehren. Ich möchte einfach nicht immer von Hannah oder Dylan, Jeremy, Lucas oder Andrew beschützt werden!" Mom kam mit einem Seufzen auf mich zu und nahm mich in die Arme. Beruhigend strich sie mir über den Kopf. "Zuhause in meinem Schlafzimmer. Der rechte Nachttisch, unter dem Boden der untersten Schublade. Gehe vorsichtig damit um und sag deinem Vater nichts davon!" Ihr Name erklang durch die Lautsprecher. Sie gab mir einen Kuss auf die Stirn und stürmte aus ihrem Büro. "Tut mir leid Liebling, aber ich muss. Ich hoffe es hilft dir!"

Vorsichtig öffnete ich die Tür zum Schlafzimmer meiner Eltern. Ich wusste nicht weshalb ich so bedacht oder zurückhaltend war, aber irgendwie kam es mir suspekt vor. Schnell kniete ich mich zum Nachttisch runter und öffnete die unterste Schublade. Da waren nur diverse Modemagazine meiner Mutter drin, aber es  lag ja unter dem Boden. Also suchte ich nach einer Möglichkeit irgedwie diesen Boden anzuheben, bis ich hinten in der Ecke einen kleinen Faden zu greifen bekam. Sachte zog ich daran und sofort hoben sich die Magazine. Ich legte alles zur Seite und betrachtete das glänzende Silber. Es war ein Silbermesser mit wunderschönen Verzierungen an Griff und Klinge. Obwohl es vom Stil her sehr alt aussah, war es so glänzend wie neu poliert. Vorsichtig nahm ich es und betrachtete es näher, die Lederhülle, die daneben lag, legte ich zuerst zur Seite. Mir fiel auf, dass es sehr leicht war. Bewundernd drehte ich es ein paar mal, bis ich es lächelnd weg legte und den Nachttisch wieder zusammen baute. Ich steckte das Messer in seine Hülle und versteckte es in meinemStiefel. Da es trotz Hülle noch relativ schmal war, konnte ich das auch problemslos tun. Sobal alles verstaut war machte ich mich auf den Weg zurück zum Rudelhaus. Wenn wir jetzt angegriffen werden würden, dann würde ich mich nicht hilflos fühlen. Wahrscheinlich kann und werde ich niemanden töten, aber ich konnte mich verteidigen. Und das war, in meiner jetzigen Situation, ein verdammt gutes Gefühl.

Luna - Das Herz des RudelsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt