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"Heaven is a place on earth with you", Lana Del Rey

Am nächsten Morgen wartete kein Taxi auf mich, sondern Charlotte. Ihre Haare hatte sie zu einem Pferdeschwanz gebunden und einige Strähnen hingen ihr ins Gesicht. Als ich die Autotür öffnete, strahlte sie mich an.

"Wenigstens musste ich dich nicht anrufen, um dich an die Uniform zu erinnern", grinste sie und gab mir einen Kuss auf die Wange. Begrüßte man seine Freunde so, wenn man aus der oberen Schicht kam?

"Haha, Charlotte", sagte ich verdrehte zum Spaß die Augen. "Nein, im Ernst. Ich habe mir gestern Abend eine Notiz an den Spiegel geklebt, damit ich es nicht vergesse."

Während wir zur Schule fuhren, sprach Charlotte über das, was uns heute erwarten würde. Zwei Stunden Mathe, eine qualvolle Stunde Biologie und Geschichte, und zwei Stunden Englisch. Bei Mister Chevalier.

"Worüber hatte er eigentlich gestern beim Sport mit dir gesprochen?", fragte Charlotte. Verflixt. Sie hatte es doch mitgekriegt. Während sie weitersprach, suchte ich nach einer Antwort. "Du hättest mal die Mädels sehen sollen, die waren grün vor Neid, weil Chevalier mit keinem Schüler einzeln spricht, es sei denn es geht um die Noten."

"Er hat gefragt, ob ich vor dem Umzug in einem Sportverein gewesen war", log ich, Charlotte nickte und bog auf den Parkplatz ein. "War ich nicht. Ich bin eine totale Niete in Sport."

"So eine Niete wirst du wohl nicht sein. Wir haben ja immernoch Theresa im Kurs. Wir mussten mal rückwärts durch die Halle laufen, um uns aufzuwärmen. Dabei hat sie sich den Arm gebrochen."

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Mister Ross war genauso, wie man sich einen Mathelehrer vorstellte. Übermotiviert, streng, und vorallem jedes Mal zu Boden enttäuscht, wenn man eine Antwort nicht wusste. Weil er mich nicht einschätzen konnte, und die anderen Schüler schon im Jahr darauf unterrichtet hatte, stellte er mir jedes Mal eine neue Frage, worauf Charlotte, Gott sei Dank, die Antwort wusste und mir zu flüsterte. Er sah zwar, dass ich nicht die Antwort wusste, war aber erfreut, dass wenigstens einer die Frage beantworten konnte.

"Mein Ziel wird es sein, auf ihrem Abschlusszeugnis kein Defizit in Mathematik zu sehen, Miss Montgomery", sagte er, als wir Aufgaben bearbeiteten und er durch die Klasse schlenderte. Irgendwie mochte ich ihn, einfach, weil er mir, trotz meiner sehr beschränkten Mathekenntnisse, nicht das Gefühl gab, komplett bescheuert zu sein.

Miss Ulay, die Biologie und Geschichte unterrichtete, war Mitte dreißig und trug total schräge Klamotten. Charlotte erzählte mir, dass sie letztes Schuljahr ein knallrotes Kleid mit gelbem Unterrock, dazu ein pinker Schal und grüne Boots getragen hatte. Und obwohl sie die schrecklichsten Sachen trug und teilweise aussah wie eine Cartoonfigur, war sie sehr beliebt. Nicht nur, weil sie nahezu keine Hausaufgaben aufgab, sondern weil sie die Themen nicht einfach herunterratterte. Stattdessen ging sie mit ihren Schülern auf Ausflüge in den Stadtzoo oder in Museen, damit der Unterricht nicht nur aus Theorie bestand. Ihre Kurse hatten im Durchschnitt auch die besten Noten.

Und dann kam natürlich Englisch. Mein absolutes Hassfach. Und dass Gabriel auch in diesem Fach mein Lehrer war, machte die ganze Sache natürlich nicht besser. Wahrscheinlich dürfte ich mir in meiner Freizeit auf Gartenparties oder der Heimfahrt anhören, wie schlecht ich im Unterricht mitmachen würde oder was für einen Quatsch ich in den Klausuren fabrizierte.

Ja, ich freute mich w a h n s i n n i g auf den Englischunterricht.

"Also, dieses Jahr fängt mit Shakespeare an", sagte Gabriel und setzte sich vorne auf das Pult. Er trug ein weißes Hemd, eine graue Krawatte und dunkle Jeans. Wie schaffte er es, sich immer so gut anzuziehen, während die Jungs in unserem Alter teilweise in Jogginghose zur Schule kamen?

Mister ChevalierWo Geschichten leben. Entdecke jetzt