"I'm not searching the sky for a reason to live, 'cause I've found beauty right here and the passion to give", The Amity Affliction
▬
Das Lokal war nicht zu groß und nicht zu klein. Im Inneren schlungen sich Pflanzen um unverputzte Steinsäulen, angezündete Kerzen standen auf jeder freien Oberfläche. Ein Kellner empfing uns am Eingang und führte uns zu einem Tisch. Er nahm unsere Getränkebestellung auf und verschwand.
"Du siehst gut aus", lächelte Gabriel und lehnte sich nach vorn. Bevor wir hierher gekommen sind, waren wir in dem Einkaufszentrum bei H&M gewesen, sodass ich mich aus meiner Schuluniform schälen und mir etwas Vernünftiges anziehen konnte. Natürlich hatte Gabriel gezahlt. Der Typ war doch bescheuert.
"Ich glaube immernoch nicht, dass das eine gute Idee ist", sagte ich ehrlich, Gabriel verdrehte die Augen und rieb sich genervt das Gesicht. "Ich weeeeeiß, wir sind Freunde, wie du das nennst, aber was passiert, wenn man uns trotzdem erwischt? Dann sind wir geliefert."
"Mach dir nicht in's neue Hemd, Florence. Man wird uns schon nicht erwischen und es ist ja nicht so, dass wir was am laufen hätten", entgegnete er und dankte dem Kellner, der unsere Getränke brachte. Ich hatte mir ein Wasser bestellt, Gabriel ein Glas Wein.
"Wie kann es eigentlich sein, dass du mit fundundzwanzig Jahren schon ausgebildeter Lehrer bist?", fragte ich ihn nach einer Weile peinlichem Schweigens. Gabriel nahm einen Schluck Wein und leckte sich danach die Lippen. Meine Güte, er hatte mich vollkommen in seinen Bann gezogen.
"Hochintelligent. Hatte mit fünfzehn meinen Highschool-Abschluss in der Tasche und ging danach direkt studieren. Mein Vater finanzierte das Studium", erklärte er und begutachtete die Speisekarte. "Das Steak hier ist echt gut. Ich gehe hier öfters hin."
Ich bestellte mir ein T-Bone Steak in Medium, mit Kroketten und Brokkoli, während Gabriel ein Rumpsteak mit Pommes nahm. Nach einer halben Stunde kam das Essen. Ich hatte so einen Bärenhunger, dass es beinahe peinlich war, wie schnell ich das Essen runterschlang.
Es gab so viele Dinge, die ich Gabriel fragen wollte, aber ich wollte nicht riskieren, dass er erneut wütend würde, mich anbrüllte und stehen ließ. Ich konzentrierte mich auf mein Essen, richtete den Blick auf alles, nur nicht auf ihn, obwohl ich seinen Blick auf mir spürte, und wagte es nicht, irgendetwas zu sagen.
"Meine Mutter hieß Chevalier mit Nachnamen", begann Gabriel und schob sich eine Pommes zwischen die Kiefer. Hieß? "Sie ist gestorben, als ich sechtzehn war. Sie hat sich um mich gekümmert, deswegen interessiert sich mein Vater nicht sonderlich für das, was ich tue. Er weiß nicht mal, dass ich überhaupt das Lehramtstudium beendet habe", erklärte er. Ich fühlte mich komplett überrumpelt. Er hatte mir tatsächlich etwas anvertraut. Wahrscheinlich nur, weil er wegen gestern ein schlechtes Gewissen hatte, aber es zählte trotzdem. Und irgendwie bröckelte seine steinharte, arrogante Fassade ein wenig.
Gabriel bemerkte, wie ich ihn ansah. Mitleidig und gefühlvoll, deswegen setzte er sich auf und sah mich durchdringend an. "Du musst dich in Englisch mehr anstrengen, wenn du auf ein gutes College willst", wechselte er geschickt das Thema.Ich stöhnte.
"Ich hasse Englisch. Ich war noch nie gut darin und werde es auch nie sein. Wofür brauche ich später Gedichtsanalysen oder Shakespeare?", fragte ich ihn, er zuckte die Achseln.
"Kommt drauf an, was du später mal werden möchtest." Und da hatte er mich. Denn ich hatte überhaupt keine Ahnung. Nicht einmal ansatzweise. Null. Nada. Niente.
Ich griff nach einem Stück Brot aus dem Brotkorb, und warf dabei mein Wasserglas um, sodass Gabriel aufsprang. "Mensch, Florence! Musste das jetzt sein? Pass doch mal auf, du -", doch weiter kam er nicht, denn ein Kellner war bereits zur Stelle und beseitigte mein Missgeschick.
"Das kann doch schonmal passieren, Gabriel. Krieg dich wieder ein", sagte ich, doch er dachte gar nicht daran. Sein Gesicht lief rot an, und ich konnte in seinem Gesicht ablesen, was er noch alles sagen wollte. Aber er ließ es bleiben.
"Ich wusste auch nicht, was ich werden wollte, bis ich das Studium angefangen habe", sagte er dann ruhig und nahm einen Schluck Wein.
"Ich will aber nicht irgendetwas anfangen, was ich dann sowieso aufgeben würde, verstehst du?"; fragte ich ihn und er nickte. "Das Leben ist zu kurz, um die Zeit zu verschwenden. Ein Tag hat nur vierundzwanzig Stunden und das sind viel zu wenig, um mit neunzehn Jahren zu wissen, was man für den Rest seines Lebens machen will. Es gibt einfach zu wenige Chancen, das zu machen, was man machen will", plapperte ich drauf los, ohne wirklich zu wissen, was ich sagen wollte. Gabriel griff über den Tisch nach meiner Hand. Seine Berührung brannte wie Feuer auf meiner Haut, und die die Schmetterlinge, die eigentlich überhaupt nicht existieren sollten, machten sich wieder bemerkbar.
Gabriel hob mit der anderen Hand sein Weinglas. "Auf zu wenige Chancen und nur vierundzwanzig Stunden", prostete er mir zu. Erst nach mehreren Minuten ließ er meine Hand los.

DU LIEST GERADE
Mister Chevalier
Teen FictionFlorence ist neu, tollpatschig und unauffällig. Gabriel ist unverschämt, selbstverliebt und verdammt heiß. Und Gabriel ist Florence' Lehrer.