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"Just hold on, in a minute it'll be over and gone" - Miley Cyrus

Gabriel parkte auf einem Parkplatz neben einem Einkaufszentrum. Während ich meine Tasche in die Hand nahm, lief er um das Auto herum und öffnete mir die Wagentür. Ganz der Gentleman.

"Hier im Einkaufszentrum findest du kein Prada oder Gucci oder Armani. Hier gibt's H&M, Hollister und alles, wo eine Jeans keine zweihundert Dollar kostet." Er schloss den Wagen ab, steckte die Hände in die Hosentaschen und lief neben mir her. "Die meisten kommen hier nicht hin, weil sie entweder keine Lust haben oder es sich für die Klamotten sowieso nicht lohnen würde." Wir bogen ab, in die entgegen gesetzte Richtung des Zentrums. Ich sah Gabriel fragend an.

"Wir gehen nicht shoppen. Das kannst du mit Charlotte machen oder sonst wem. Ich habe dir gesagt, ich zeige dir die Stadt. Und dazu gehört natürlich auch ein Park." Als wir um die nächste Ecke bogen, lag uns ein riesiger Park zu Füßen. Der Platz war ummauert und der Eingang war ein ungefähr vier Meter hoher Torbogen. Als wir den Park betraten, musste ich lächeln.

Überall waren Blumen und Bänke, die Wege waren gesäumt von Pflanzen und irgendwo hörte man Wasser plätschern. Es waren viele Menschen unterwegs, sie saßen auf den Wiesen oder den Banken und unterhielten sich, lasen Bücher und Zeitschriften und genossen die Sonne. Der Park war wunderschön, und ich hatte das Gefühl, dass er den Menschen einen kleinen Zufluchtsort bot.

Gabriel lächelte, als die Sonne sein Gesicht berührte. "Das ist der größte Park der Stadt. Er ist ungefähr hundert Jahre alt und jedes Jahr wird hier ein Sommerfest veranstaltet. Bald ist wieder eins. Vielleicht möchtest du ja hingehen", sagte er und sah auf den Boden.

"War das jetzt eine Einladung zu einem Date?", fragte ich und aus einem mir unbekannten Grund war ich auch bereit zuzusagen. Gabriel war heiß und sexy und unverschämt und so wie es mir bekannt war, standen Mädchen auf Arschlöcher. Und ich glaubte, er war einer.

"Nein." Schade.

Gabriel und ich liefen in Richtung des Wasserplätscherns und gelangen an einen kleinen See mit Sprengeranlage. An einem Stand konnte man sich elektrische, ferngesteuerte Boote ausleihen und damit auf dem Wasser fahren. Kinder spielten mit den Booten, während die Eltern in der Nähe auf den Bänken saßen und redeten oder was aßen.

"Warum heißt du mit Nachnamen eigentlich Chevalier und dein Vater Hensley?", fragte ich Gabriel, er blieb stehen und fixierte mich mit seinem Blick.

"Das geht dich nichts an. Misch dich nicht in Sachen ein, von denen du keine Ahnung hast", keifte er und lief vorwärts. Das war mir zu blöd. Ich hatte eine einfache Frage gestellt. Warum tickte er gleich so aus? Ich verdrehte die Augen und machte auf dem Absatz kehrt. Irgendwie würde ich schon nach Hause finden, denn mit dieser Zicke würde ich mit Sicherheit nicht erneut ins Auto steigen.

"Verdammt, Florence! Bleib stehen", rief er und ich hörte, wie er auf mich zukam. Er packte mich am Oberarm und drehte mich so ruckartig um, dass ich mein Gleichgewicht verlor und in seinen starken Armen lag. "Ich habe es deinem Vater versprochen, schon vergessen?", flüsterte er. Ich spürte seinen warmen Atem auf meinem Gesicht und er strich mir eine Haarsträhne hinters Ohr. Für einen kurzen Moment hoffte ich, dass er mich küsste, dass er die Schmetterlinge in Bauch aufflattern ließ und dass sich die Wärme in meinem ganzen Körper ausbreitete. Ich schloss die Augen und wartete.

Und dann war er weg.

-

Als ich aus seinem Auto stieg, verabschiedete ich mich nicht. Den ganzen Rückweg über hatten wir nicht miteinander gesprochen und vor uns hingeschwiegen. Die Schmetterlinge in meinem Bauch waren verschwunden und die Wärme ist einer Eiseskälte gewichen.

Gabriel wollte mich nicht küssen. Nachricht ist angekommen. Mein Stolz war auch nur ein kleines bisschen angekratzt.

Ich knallte die Wagentür hinter mir zu und ging ohne mich umzudrehen zur Haustür. Henriette öffnete mir und genervt ging ich an ihr vorbei und ignorierte ihre Fragen nach dem ersten Schultag und warum ich denn angerufen hatte.

In der Küche ließ ich mich auf einen Stuhl fallen und legte den Kopf auf die Arme. Eigentlich wollte ich nur noch ins Bett oder eine Pizza bestellen, denn ich hatte heute noch nichts gegessen, bis auf dsa Frühstück und mein Magen knurrte wie ein bissiger Hund.

Henriette betrat die Küche und legte eine Broschüre neben mir auf den Tisch. Als ich aufsah, musste ich lächeln. "Mit Salami und Schinken, bitte." Während Henriette die Pizza bestellte, holte ich mein Handy aus der Jackentasche und antwortete Charlotte, die mir heute nachmittag geschrieben hatte.

"Und? Wie sind die anderen Schüler?", fragte Henriette, während sie die Herdplatte putzte. Es schien sie wirklich zu interessieren, denn sie drehte sich kurz zu mir um und legte den Schwamm beiseite.

"Nett. Charlotte aus meiner Klasse ist für mich verantwortlich und ich glaube, wir werden gute Freundinnen", sagte ich und Henriette lächelte.

"Und wie sind die Lehrer?" Achja. Da war ja was.

"Bisher sind alle ganz nett", antwortete ich leise. Natürlich würde ich niemandem erzählen, dass Gabriel mein Lehrer war. Wir würden damit nur Probleme bekommen. Obwohl ... Warum eigentlich? Es war nichts passiert, wir hatten uns nicht geküsst. Gabriel hatte mich nur nach Hause gefahren (und mir die Stadt gezeigt, aber das musste ja keiner wissen). Das war doch nicht so schlimm..

Oder?

Als ich abends im Bett lag, konnte ich nur an den kurzen Moment denken, in dem Gabriel und ich uns fast geküsst hätten. Ich dachte nicht daran, dass Gabriel gut aussah und blöde Sprüche drücken konnte wie ein Weltmeister und eine totale Zicke war. Das einzige, woran ich denken konnte, war, dass ich fast meinen Lehrer geküsst hatte.

Dass ich meinen Lehrer küssen wollte.

Seit wann war ich so abhängig geworden? In meinem ganzen Leben hatte ich noch keinen Jungen gut gefunden, und dann kommt ein unverschämter und gut aussehender und peng? Und dann war er auch noch mein Lehrer? Was war bloß los mit mir?

Ich wälzte mich in meinem Bett hin und her und egal, was ich versuchte, ich konnte einfach nicht einschlafen. Meine Gedanken kreisten die ganze Zeit um Gabriel. Warum war er so ausgetickt? Hatte ich was falsches gesagt? Ich hatte doch nur nachgefragt.

Plötzlich vibrierte mein Handy. Eigentlich wollte ich nicht nachsehen. Ich wollte schlafen. Aber da ich wusste, dass ich in den nächsten Minuten nicht einschlafen würde, nahm ich das Handy von meinem Nachttisch und entsperrte es.

"Tut mir leid, dass ich so scheiße war. - G"

War das Gabriel? Seine Nummer hatte ich nicht eingespeichert und die einzige Person, die in letzter Zeit gemein zu mir gewesen war, war er gewesen. Sollte ich antworten? Und wenn ja, was? Er hätte mich nicht direkt blöd anmachen müssen. Er hätte ja auch einfach sagen können, dass das ein Tabuthema war.

"Wenn du darüber nicht reden willst, schön. Aber mach mich nicht dafür an. Ich kann nichts dafür", schrieb ich zurück, drehte mich auf den Rücken und wartete auf eine Antwort. Es dauerte ungefähr fünf Minuten, bis mein Handy wieder vibrierte, und diesmal zögerte ich nicht nachzusehen.

"Ich weiß. Und es tut mir leid, Flo. Sehen wir uns morgen nach der Schule? Ich kann dich wieder nach Hause bringen."

Ich konnte ein Lächeln nicht unterdrücken. Gabriel wollte mich sehen. Dieser heiße Typ wollte mich sehen! Ich zog die Bettdecke bis an mein Kinn und fing an zu tippen.

"Solange es kein Date zwischen Schüler und Lehrer ist", antwortete ich spielerisch und konnte seine Antwort kaum erwarten. Das war so aufregend! Ich flirtete mit meinem Lehrer! Ob man dafür Ärger bekommen konnte?

"Wer weiß. Schlaf gut, Florence." Du auch, Gabriel. 

Mister ChevalierWo Geschichten leben. Entdecke jetzt