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"Tried to keep you close to me, but life got in between", James Bay

Es dauerte mehrere Wochen, bis ich in die Schule gehen konnte, ohne beinahe in Tränen auszubrechen, wenn ich Gabriel sah. Charlotte sah ihn jedes Mal böse an und irgendwann hatte er auch aufgehört, mich nieder zu machen. Ich glaubte, dass ich ihm einfach nur noch leid tat. Eine Schülerin, die ihrem Lehrer hinterher trauerte, obwohl nicht mal sonderlich viel passiert war. Naja, bis auf diese eine Nacht.

Charlotte war dafür, dass ich eine Typveränderung durchziehen sollte. Für sie hieß das: andere Haarfarbe, andere Frisur, neue Klamotten und andere Einstellung gegenüber Jungs. Aber ich war dagegen. Ich wollte mich nicht verändern, nur weil Gabriel mich verletzt hatte.

Mein Verstand hatte sich teilweise damit abgefunden, dass er eine Freundin hatte, nur mein Herz nicht. Es schmerzte wie Hölle, wenn er mich ignorierte, als wäre nie etwas zwischen uns passiert.

Aber das war ja genau das, was ich gewollt hatte. Ich wollte so tun, als hätten wir nicht miteinander geschlafen. Ich wollte so tun, als hätte ich keine Gefühle für ihn.

Ich wollte so tun, als wäre nie etwas gewesen. Als wären wir nur Schüler und Lehrer.

Mein Vater merkte, dass etwas nicht mit mir stimmte und obwohl ich mich weigerte, mit ihm über alles zu sprechen - was selbstverständlich war - tat er alles, damit ich ein bisschen lächelte. Er backte mit mir Kuchen und Plätzchen, ging mit mir shoppen und verschob sogar seine Schichten, damit er Zeit mit mir verbringen konnte. Es störte ihn auch nicht, dass ich ihm nichts erzählte. "Dafür hast du ja Charlotte", hatte er gesagt.

Als wir Samstag Mittag zusammen in der Küche saßen und Mittag aßen, fiel mir etwas an ihm auf. Er musste heute nicht arbeiten, hatte aber er hatte einen Anzug an, die Haare waren gemacht und er hatte sein bestes Aftershave benutzt.

Und erst da fiel es mir wieder ein. Ich war so damit beschäftigt gewesen, mit meinen eigenen Gefühlen klar zu kommen, dass ich total vergessen hatte, dass mein Vater am Ärzteball eine nette Bekanntschaft gemacht hatte. Die Frau mit dem leichten Überbiss.

"Dad? Warum hast du einen Anzug an?", fragte ich ihn und schob mir grinsend die Gabel in den Mund. Er sah mich an und fing an zu lächeln.

"Ich hatte gehofft, es wäre dir noch nicht aufgefallen", sagte er verlegen und zog die Krawatte zurecht.

"Ist es die Frau vom Ärzteball? Wie heißt sie? Ist sie nett? Wie alt ist sie? Hat sie Kinder?", überhäufte ich ihn mit Fragen, sodass er anfing zu lachen.

Ihr Name war Beth Lewis, sie war zwei Jahre jünger als mein Vater und anscheinend sehr nett. Kinderlos, aber sie hätte gern Kinder gehabt, nur es hatte nie den richtigen Mann gegeben und jetzt fand sie sich zu alt. Wenn mein Vater von ihr sprach, funkelten seine Augen und er hörte gar nicht auf zu lächeln.

Ich kannte sie zwar nicht, aber anscheinend tat sie ihm gut.

Ich lernte sie an einem Samstagabend kennen, als Misses Hostridge, eine liebe alte Dame aus dem Viertel, ein Dinner veranstaltete und dazu einen riesigen Saal gemietet hatte. Es war zwar nicht der Raum, in dem Charlotte ihren Geburtstag gefeiert hatte, aber er war trotzdem groß, geräumig und an die dreihundert Leute passten hinein.

Als Misses Hostridge mich begrüßte, zog sie mich in ihre Arme und sagte, dass ich in meinem dunkelblauen Kleid sehr hübsch aussehen würde. Außerdem sagte sie mir, dass mein Vater und ich in ihrer Nähe sitzen würden, nahe am Büfett, damit wir nicht so weit laufen müssten. Ich mochte sie auf Anhieb.

Mister ChevalierWo Geschichten leben. Entdecke jetzt