Teil 12 (überarbeitet)

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Tessa

Es ist mir schwergefallen, heute Nacht nicht bei Liam zu sein, aber als mich seine Schreie geweckt haben, bin ich dieses Mal nicht in sein Zimmer gestürmt. Ich wollte seinen Wunsch respektieren und ihn nicht wieder verärgern. Also habe ich mein Licht angeknipst, habe an die Decke gestarrt und versucht, mein Herz dazu zu bewegen, nicht so verdammt empfindlich zu reagieren. Es war ein harter Kampf, den ich nur gewinnen konnte, weil Liam schnell wieder ruhig war.

Nachdem wir gestern nach Hause gekommen sind, war die Stimmung zwischen uns irgendwie angespannt. Liam hat sich sehr früh in sein Zimmer zurückgezogen und ich habe mit Trixie im Wohnzimmer an einem Artikel geschrieben. Es fühlt sich komisch an, zu wissen, dass Liam fast aufgegeben und George und mich wieder verlassen hätte, wenn er den alten Mann nicht so sehr lieben würde. Plötzlich ist es schwierig für mich, zu akzeptieren, dass Mark mein Leben noch immer kontrolliert. Vor Liam habe ich kaum wirklich darüber nachgedacht. Wahrscheinlich war ich es erst, die Mark so große Macht über mich gegeben hat, weil ich ihm nie Grenzen aufgezeigt habe.

»Es riecht nach Apfelkuchen«, sagt George zufrieden, als er mittags von draußen reinkommt. Er lässt seine Schuhe wie immer vor der Küchentür stehen, geht zum Wasserhahn, wäscht sich die Hände und setzt sich an den Tisch. »Liam ist noch nicht zurück?«

»Nein, er wollte den Zaun reparieren, wahrscheinlich kommt er erst, wenn er damit fertig ist.« Ich werfe George einen nicht ernstgemeinten vorwurfsvollen Blick zu. »Nachdem du ihm gestern deutlich klargemacht hast, dass er nicht gehen darf, bevor alles erledigt ist, will er sich deinen Befehlen wohl nicht widersetzen.«

»Ein guter Junge«, bestätigt George zufrieden. »Was gibt es zu essen?«

»Gemüseeintopf mit Rindfleisch für dich, Sandwiches für Liam und mich.« Ich zeige auf den Picknickkorb auf dem Tisch.

»Gemüseeintopf, du bist auch ein gutes Mädchen«, sagt er grinsend und schiebt mir seinen leeren Teller zu.

Ich nehme den Teller, fülle ihn und stelle noch einen weiteren Teller mit Apfelkuchen und Sahne vor George. »Lass es dir schmecken, ich nehme Bella.«

Mit dem Picknickkorb in der einen Hand, Bellas Zügeln in der anderen, reite ich im leichten Trab über die erste Koppel, durch das Tor zur zweiten, weit größeren Koppel, an den Bienen vorbei, die mir wie immer einen Schauer über den Rücken jagen, und dann am kleinen Bach entlang weiter bis zu der Stelle, wo der Zaun kaputt ist. Als ich über die Kuppel komme, ist das erste, was mir sofort ins Auge springt, Liams muskulöser Rücken, der in der Sonne glänzt. Er steht vor einem Strauch Brombeeren, dessen lange Ranken durch den Weidezaun hindurch bis auf die Koppel gewachsen sind. Als er das dumpfe Geräusch hört, das Bellas Hufe machen, wenn sie auf die Erde aufschlagen, dreht er sich zu mir um, schirmt seine Augen vor der Sonne ab und lächelt, als ich mit Bella neben Camilla stehenbleibe.

»Ich hab dir Essen mitgebracht«, sage ich, versuche, nicht auf seine nackte Brust zu starren und möglichst elegant von Bellas Rücken zu steigen, trotz des Korbs in meiner Hand.

»Gib mir den Korb«, meint Liam und nimmt ihn mir ab, damit ich besser absteigen kann. »Ich habe eben überlegt, ob ich die Beeren essen soll.«

Ich betrachte die schwarzen prallen Beeren. Überall am Ufer des kleinen Bachs stehen hier Sträucher und sie sind voll mit Früchten, die nur darauf warten, geerntet zu werden. »Ich komm manchmal her und pflücke einen Korb voll.«

»Wir sollten sie alle pflücken, dann kannst du Marmelade daraus machen. Oder Saft«, schlägt Liam vor. »Granny hat sie immer ausgepresst, oder hat die Beeren eingeweckt. Für den Markt in der letzten Sommerwoche.«

The Air we breatheWo Geschichten leben. Entdecke jetzt