Teil 19 (überarbeitet)

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Liam

Besorgt lehne ich am Wagen des Sheriffs, der vor dem Haus steht, und beobachte die Menschen um mich herum, die sich ratlos streiten und von denen jeder eine bessere Lösung für das Problem findet, nur keine würde dazu führen, etwas zu unternehmen. Links von mir stehen Harry und seine Exfrau, oder ist sie vielleicht noch immer seine Frau, und schreien sich an.

»Du hättest mit ihm reden sollen«, wirft sie ihm vor, aber Harry blockt wie immer alles ab. Harry ist ein Mann, der immer recht hat, so war er schon, als wir Kinder waren. Die Welt dreht sich um ihn, und wenn sie es nicht tut, dann zwingt er sie dazu. Und nach allem, was ich jetzt weiß, ist er dafür sogar über Leichen gegangen. Zwar nicht seine Leiche, aber die der Frau, für die er mehr Interesse gezeigt hat, als für seine eigene. Auch wenn er den Mord nicht selbst begangen hat, dass er jahrelang weggesehen und die Gefahr unterschätzt hat, die von seiner Frau ausging, hat ihn zum Mittäter werden lassen. Und statt aus der Situation zu lernen, hat er bei Mark wieder weggesehen, was uns alle genau hierher geführt hat.

»Dem Jungen geht es gut, er ist nicht wie du. Behaupte noch einmal, dass mein Sohn ein Verrückter ist, dann lernst du mich kennen«, schimpft er und ballt die Hände zu Fäusten.

Seine Frau wirft mir einen ratlosen Blick zu. Auf der Fahrt mit dem Bus hat sie mir von ihrer Therapie erzählt, davon, wie sie gelernt hat, mit ihrer Erkrankung umzugehen, und wie schwer es war, diese Erkrankung zu akzeptieren und damit leben zu können, zu wissen, wozu sie fähig sein kann, wenn die Dinge, die sie hört und sieht, außer Kontrolle geraten. Die Krankheit muss nicht den Verlauf nehmen, den sie bei ihr genommen hat, aber unbehandelt kann sie zur Gefahr für den Erkrankten und auch für andere werden, weswegen Marks Mutter darauf bestanden hat, mich zu begleiten.

»Du hast hier nichts zu suchen«, keift Harry jetzt und bemüht sich, leise zu sein, damit nicht alle Umstehenden mitbekommen, worüber sie reden. »Es gibt ein Kontaktverbot.«

»Ein Kontaktverbot?«, schimpft Megan jetzt fassungslos. »Er ist erwachsen, ich kann ihn jetzt sehen, weil er selbst entscheiden kann, ob er Umgang mit mir haben will.«

»Wenn du darauf bestehst, dann wird jeder hier erfahren, was du getan hast. Vom Gefängnis aus kannst du keinen Kontakt mit ihm haben«, wirft Harry jetzt mit einem breiten Grinsen ein.

»Es ist mir egal, ob du mich erpresst. Ich habe mich viel zu lange von dir erpressen lassen«, antwortet sie und wirft mir wieder einen unsicheren Blick zu.

Rechts von mir steht George, der auf den stellvertretenden Sheriff, der jetzt der einzige Sheriff ist, und die drei Deputys einredet, endlich in das Haus zu stürmen, und den Drecksack festzunehmen.

»Das können wir nicht tun, er hat eine Waffe da drin. Die hätte er nicht, wenn Sie nicht ...«

George winkt genervt ab. »Ich weiß, was Sie sagen wollen. Und ich sage, sich zu verteidigen ist das Recht eines jeden Bürger dieses Landes, aber ich habe es verstanden.«

»Gut so«, sagt einer der Deputys.

»Nicht gut so«, sagt der andere. »Hier draußen muss man sich selbst schützen können.«

»Diskutieren wir jetzt Waffenrechte«, werfe ich ungeduldig ein, »oder gehen wir endlich da rein?« Ich löse mich von Auto des Sheriffs. Ich habe die Streitereien und diese Ratlosigkeit satt. Mit jeder Minute, die vergeht, kann ich nur daran denken, was ich tun werde, wenn Tessa irgendetwas zustößt. Und was völlig irre ist, jetzt wo ich weiß, was mit Mark vermutlich nicht stimmt, kann ich nicht mal wütend auf ihn sein. Meine ganze Wut projiziert sich auf den einzig Schuldigen in diesem Spiel, auf Harry.

The Air we breatheWo Geschichten leben. Entdecke jetzt