Liam
In Glenwood ist der Markttag am Ende des Sommers ein Großereignis. Zumindest für Glenwoodverhältnisse, denn sonst ist in dieser Stadt selten etwas los. Deswegen gibt es nicht nur Marktstände heute, sondern auch ein kleines Karussell für die Kinder, Zuckerwatte und Spiele. Wir haben einen Stand neben dem Kinderkarussell bekommen. Eigentlich klingt das positiv, aber irgendwann hat es sich eingebürgert, die Attraktionen für Kinder an den Rand des Marktes zu verlegen, wir sind also der letzte Stand.
Ich helfe Tessa, die Apfel-, Beeren,- und Schokoladenkuchen auf dem Tisch anzurichten. Wir haben auch Marmeladen und ein paar Flaschen von Grannys Apfelwein mitgebracht. Tessa hat ein paar Quiches gebacken und für die Kinder Äpfel kandiert. Aus Bienenhonig von Georges Bienen hat sie Lippenpflege hergestellt. Bisher hält sie sich wacker und lächelt freundlich die irritierten und abfälligen Blicke weg, denen wir begegnen.
Erin Walters aus der Post steht gerade am Nachbarstand, der mit Erzeugnissen der Bennett-Farm gefüllt ist. Den Großteil des Marktes machen die Farmen aus dem Umland aus. Sie präsentieren hier ihre Produkte. Summer gegenüber halten Rinder und bieten Milchprodukte, aber auch Fleischprodukte an. Und hinter dem Stand der Roberts sitzt die alte Dame persönlich. Sie kommt ursprünglich aus Osteuropa und verkauft selbstgemachte Spitzendeckchen. »Wie nennt man das, was sie da macht?«, frage ich Tessa und nicke zu Mrs. Roberts, die nach dem 2. Weltkrieg in die USA kam und irgendwann kurz darauf Farmer Roberts geheiratet haben muss.
Tessa schaut auf und kneift die Augen etwas zusammen. Sie mustert das runde Kissen, das auf vier Holzbeinen liegt. »Ich weiß es nicht, ich habe so etwas noch nicht gesehen.«
Ich grinse. »Sie macht das jedes Jahr, als Kind hab ich immer zugesehen. Ich wusste mal, wie das heißt, hab es vergessen.« Ich lege einen Arm um Tessa, ziehe sie an meine Seite und küsse sie auf den Scheitel.
»Das nennt man Kloppeln oder Klöppeln oder so ähnlich«, sagt Erin mit verbissenem Gesicht. Sie steht jetzt genau zwischen unserem und dem Nachbarstand und mustert argwöhnisch Tessas Kuchen.
»Vielen Dank«, sage ich freundlich. »Klöppeln, das war es.« Ich lege ihr ein Stück Kuchen auf einen Pappteller und halte es ihr hin. »Versuchen Sie!«
Sie kneift die Lippen aufeinander, mustert Tessa, dann wieder den Kuchen. »Deine Granny konnte das immer sehr gut. Ich vermisse ihre Kuchen.«
»Dann probieren Sie diesen«, sage ich und strecke ihr den Teller entgegen. »Sie werden es nicht bereuen.«
»Jetzt mach schon, Erin Walters«, brummt George, der eben von einem Rundgang wiederkommt und einen halben Laib Käse mit sich schleppt.
Erin Walters greift nach dem Teller und lässt sich mit Widerwillen im Gesicht von Tessa eine Serviette und eine Plastikgabel geben. Sie mustert den Beerenkuchen durch ihre Brille sehr genau, schnuppert daran, als könnte er vergiftet sein, dann lädt sie sich etwas auf die Gabel und schiebt es sich zwischen die knallroten Lippen. Ihre Augen weiten sich, dann zieht sie die Brauen hoch und stöhnt leise. »Was ist da drin?«, will sie überrascht wissen. Und schiebt sich ein noch größeres Stück in den Mund.
»Ich habe die Beeren ein paar Stunden in Rum eingelegt und sie dann unter die Schokoladenfüllung gelegt. Die Schokoladenfüllung besteht aus dem Teig für schwedischen Kladdkaka, dunkle Schokolade mit sehr viel Butter«, erklärt Tessa.
»Fühlen sie, wie die Schokolade im Mund zergeht?«, hake ich nach und kann ein zufriedenes Grinsen kaum unterdrücken.
»Ja, unglaublich«, murmelt Erin zufrieden und ringt sich sogar ein Lächeln ab.
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The Air we breathe
RomanceNach einer unschönen Ehe kauft sich Tessa Carmichael eine kleine Farm und lebt dort recht zurückgezogen am Rande einer Kleinstadt. Eines Abends steht ein Soldat vor ihrer Tür und behauptet, diese Farm würde ihm gehören. Liam Thompson hat nicht ganz...