Teil 17 (überarbeitet)

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Tessa

Wahrscheinlich ist es keine gute Idee, wenn man seinen Zorn am Frühstück auslässt, aber ich kann nicht anders. Wütend hantiere ich mit dem Schneebesen in der Schüssel mit Ei, Schnittlauch, Paprika und Tomatenwürfeln und versuche, dem Brief auf dem Tisch keine Beachtung zukommen zu lassen. Aber ich bin machtlos der Anziehung der in dunkelblau geschriebenen Worte ausgeliefert. Es zieht mich immer wieder zu ihnen hin, obwohl ich sie schon zwei Mal gelesen habe. Ich fühle mich von ihnen verraten, dabei sind sie freundlich.

Ich stelle die Schüssel zur Seite und setze mich an den Tisch, nehme das Blatt und beginne zu lesen:

Süße Tessa,

wenn es auf dieser Welt mehr Menschen wie Dich geben würde, bräuchte es weniger Menschen wie mich, die mit einer Waffe in ein fremdes Land ziehen. Als ich vor Deiner Tür stand, hättest Du mir nicht öffnen müssen. Du hättest mich auch nicht aufnehmen müssen. Ich hatte nicht das Recht dazu, Dir zu danken, indem ich zulasse, dass meine Sehnsucht nach Deinen Berührungen über meine Widerstandskraft siegt.

Es soll keine Entschuldigung sein, aber wir wussten beide, dass der Tag kommen würde, an dem ich weggehen werde, weil mein Zuhause jetzt Dein Zuhause ist und ich darin ein Eindringling war. Es ist gut, dass es jetzt Dein Zuhause ist, Du gehörst auf diese Ranch, so wie Granny und Grandpa es getan haben, und ich bin froh, dass Du George hast.

Danke für Deine Nähe, Deine Wärme und dafür, dass Du mir so gut getan hast. Danke für das Video, ich hoffe, die Reporter rufen nicht mehr an und Du musst keine Angst mehr haben, dass George einen von ihnen erschießt. Danke für Deine Freundschaft, von der wir beide wissen, dass sie nur funktionieren kann, wenn das halbe Land zwischen uns ist. Nur eine Meile weniger und ich wäre nicht stark genug, nur Dein Freund zu sein.

Liam

Nein, ich weine nicht, weil er weg ist, oder wegen dem, was er geschrieben hat. Ich weine, weil ich wütend, enttäuscht und traurig bin, und mein Herz so schwerfällig schlägt, als müsste es Brei statt Blut durch meinen Körper pumpen. Ich weine, weil ich mich allein und verlassen fühle, und weil ich ihn nie wiedersehen werde. Ich weine, weil ich die dumme Idee hatte, nur mit ihm befreundet sein zu wollen. Wie blöd war das denn? Es gab seit dem Augenblick, als ich die Tür geöffnet habe und ihn vor mir gesehen habe, keine Sekunde, in der wir nur Freunde waren. Ich zerknülle den Brief endgültig und werfe ihn weg, ohne hinzusehen wohin. Die Hauptsache, er ist weg.

Als ich höre, dass sich die Vordertür öffnet, sehe ich hoffnungsvoll auf, obwohl ich weiß, dass es nur George sein kann, der wegen seines Frühstücks gekommen ist, das ich noch nicht einmal gemacht habe.

»Das Frühstück ist noch nicht fertig«, sage ich ohne aufzusehen und schütte den Inhalt der Schüssel in die Pfanne, die schon auf dem Herd wartet, dann nehme ich den Speck und lege ihn in die zweite Pfanne.

»Er ist also weg.«

Ich zucke zusammen, als ich die Stimme höre und lasse fast den Pfannenwender fallen. »Was machst du hier?«, entfährt es mir und ich sehe Mark fassungslos an, der im Rahmen der Küchentür steht, beide Hände in die Taschen seiner Jeans geschoben.

»Ich weiß es nicht, vielleicht bin ich hier, um mich zu entschuldigen. Vielleicht will ich auch einfach nur, dass wir nochmal anfangen. Ich liebe dich noch immer, Tessa.« Er stößt sich vom Rahmen ab, dabei schwankt er etwas. Erst jetzt fällt mir auf, dass er noch immer die gleichen Sachen wie gestern trägt, zerknittert, als hätte er darin geschlafen. Wahrscheinlich hat er gar nicht geschlafen, sondern die ganze Nacht getrunken, denn seine Augen wirken glasig, sein Haar ist wüst und er riecht stark nach Schweiß und Alkohol. Sein Gesicht hat wahrscheinlich vor einer Woche das letzte Mal einen Rasierer gesehen. So lange ist es her, dass er Liam eingesperrt hatte.

The Air we breatheWo Geschichten leben. Entdecke jetzt