Liam
»Erin, meine Hübsche«, schwärme ich, als ich die Postfiliale betrete und die wie immer stark geschminkte ältere Dame zu mir aufblickt.
Sie schiebt sich ihre Brille zurecht, als sie mich erkennt, verzieht sie erst das Gesicht, doch dann überlegt sie es sich noch einmal anders und schenkt mir ein strahlendes Lächeln. »Liam Thompson, du bist also noch immer in der Stadt?«
Ich lehne mich gegen den Schalter und beuge mich etwas zu Erin nach unten, dann zwinkere ich ihr zu. »Wo sollte ich denn sonst sein?«
»Da hast du wohl recht, nirgendwo gibt es schönere Mädchen als in Glenwood. Hast du meine Tochter Penny schon getroffen?«
Ich presse die Lippen fest aufeinander. »Ich hatte noch nicht das Vergnügen«, gestehe ich ehrlich und lege Bedauern in mein Gesicht. Ich will, dass Erin etwas für mich tut und dafür muss ich ihr Honig um die knallroten Lippen schmieren.
»Bist du gekommen, um in dein Postfach zu schauen?«
»Wieso, ist denn was drin?«
Sie schüttelt den Kopf. »Nichts gekommen für dich.«
»Das macht nichts, ich wollte dich fragen, ob du mir etwas ausdrucken kannst. So an die 50 Mal? Du hast doch noch immer deinen Kopierer?«
Sie zeigt hinter sich. »Der steht hinten im Büro. Penny ist auch hinten, bestimmt wird sie dir helfen.«
Ich ziehe einen Mundwinkel hoch. »Wenn du mich nach hinten lässt?«
Sie hievt sich von ihrem Stuhl, hebt die Klappe im Tresen hoch und lässt mich hinter den Schalter, dann führt sie mich in das Büro, das vom Schalter nur durch eine Wand Postfächer getrennt ist. Alles in dieser Postfiliale hat den Charme der 50er Jahre, bis auf das Kopiergerät und Penny Walters, die mich aufmerksam mustert, als ich an den Schreibtisch trete, hinter dem sie sitzt. Penny Walters war schon immer eine Schönheit, wenn sie nur ein wenig ihres Aussehens von ihrer Mutter hat, dann war auch Erin einmal schön. Leider ist davon dann nicht mehr viel übrig, vielleicht versteckt sich Erins Schönheit unter all der bunten Farbe in ihrem Gesicht.
»Penny«, begrüße ich die junge Frau, die heute noch schöner ist als in meiner Erinnerung. Diese dunkelrote Mähne habe ich schon in der Schule immer bewundert.
»Liam«, sagt sie kühl und legt den Stift zur Seite, auf dem sie eben noch nachdenklich gekaut hat. »Schön, dich zu sehen.«
»Er ist gekommen, um etwas kopieren zu lassen«, sagt ihre Mutter und grinst von einem Ohr zum anderen. Penny verdreht die Augen, offensichtlich ist sie auf die Kuppelversuche ihrer Mutter so wenig scharf wie ich.
»Was willst du denn kopieren lassen?«, fragt Penny und steht auf. Mir verschlägt es fast die Sprache, als sie jetzt steht und ich ihren Körper sehen kann, der wie eine Sanduhr gebaut ist. Jemand wie Penny sollte nicht in dieser dunklen Ecke versauern, schon gar nicht, wenn er in einem Kostüm so aussieht. Aber welche Möglichkeiten hat man denn schon in dieser Stadt?
»Ich lasse euch dann mal allein«, sagt Erin und eilt hastig davon.
»Nur einen Flyer mit der Einladung zum Erntefest.«
»Auf deiner Ranch?«, will Penny verwundert wissen. »Ihr habt in den letzten Jahren die Äpfel allein geerntet.«
»Dieses Jahr gibt es wieder ein Erntefest. Erst wird geerntet und dann wird gefeiert«, sage ich, weil dieses Erntefest schon immer Tradition auf der Ranch war. Dass George mit der Tradition Tessa zuliebe gebrochen hat, habe ich erst vor ein paar Tagen erfahren. Er wollte Tessa vor den Bewohnern der Stadt verschonen, was ich verstehe, aber jetzt wird es Zeit, dass diese Bewohner sich Tessa wieder annähern. Ich lasse nicht länger zu, dass sie sich unerwünscht fühlt.
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The Air we breathe
RomanceNach einer unschönen Ehe kauft sich Tessa Carmichael eine kleine Farm und lebt dort recht zurückgezogen am Rande einer Kleinstadt. Eines Abends steht ein Soldat vor ihrer Tür und behauptet, diese Farm würde ihm gehören. Liam Thompson hat nicht ganz...