2017: 1. Ein Tag, wie jeder andere

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Es war ein wunderschöner Morgen, als ich die Augen aufschlug. Die Vögel zwitscherten vor meinem Fenster, die Sonne schien einladend an einem klaren Himmel und mein Wecker gab "Walking in Sunshine" zum Besten. Mir den Schlaf aus den Augen zwinkernd sah ich auf die Uhr, dann nahm ich den Wecker, und schleuderte ihn in eine Ecke. "6 Uhr, was eine scheiße."

Es dauerte weitere 40 Minuten, bis ich wieder aufwachte und sah, dass mein Bus in 10 Minuten fahren würde. Einen Moment lang blickte ich nur auf die Uhr, bis mir auffiel, dass dies ein Problem ist: "Oh, mist. Ich habe auch kein Glück..." Ich sprang auf, schob den Stapel an Büchern und losen Blättern in meinen Rucksack und schlüpfte in die Klamotten vom Vortag. Auf Essen musste ich verzichten und lief direkt zur Haustür. Ich schlüpfte in Jacke und Schuhe und sah noch einmal in den Spiegel, um meine Haare zu glätten. Ich schlug die Tür auf und ging heraus, wieder etwas zuversichtlicher. "Na, dann kann er Tag doch losgehen", sagte ich mit einem selbstsicheren Lächeln, als ich den Bus am Ende der Straße losfahren sah: "Oder auch nicht." Mit einem leichten Seufzer schloss ich die Tür hinter mir. Der nächste würde in einer Stunde fahren. Ich würde zwar einen Moment zu spät kommen, aber das machte mir nichts aus. So hatte ich wenigstens noch etwas Ruhe am Morgen.

Ich ging zurück zum Wohnzimmer und wurde direkt von meinen zwei Mitbewohnern begrüßt. Ich setzte mich zu ihnen auf das Sofa und sagte: "Guten morgen, Ekay Aitch. Schönen guten Tag, Mei Ku." Die beiden Katzen blieben ordentlich sitzen, bis ich ihnen ihr Futter in den Napf schüttete, dann sprangen sie auf und eilten voran, um die ersten beim Frühstück zu sein. Ich sah sie mir entspannt an und überlegte, ob ich nicht doch lieber mit dem Auto fahren solle, aber diese Treibstoffkosten wollte ich mir lieber sparen.

Somit begab ich mich alsbald zu der Haltestelle und stieg in den Linienbus ein. Er war heute etwas flotter und so erreichte ich die Schulung noch rechtzeitig während der ersten Vorlesung. Ich klopfte an die Tür an und betrat kurz darauf den Raum. Ging mit erhobenem Haupt zu meinem Platz und grüßte die Lehrperson außerordentlich freundlich. Nachdem ich meine Sachen ausgepackt hatte und ich noch immer im Fokus aller Blicke war, begann ich mich zu entschuldigen: "Jo, tut mir leid. Habe heute morgen den Bus verpasst, da ich seit letzter Nacht noch ziemlich müde gewesen bin. Aber ich kann mir ja sicher sein, nichts wichtiges verpasst zu haben." Die anderen Teilnehmer mussten sich mit dieser Aussage zufrieden stellen. Was sollten sie mir auch wollen? Naja, somit saß ich meine nächsten 2 Zeitstunden dort in dem kleinen Seminarraum ab und machte mir nur das nötigste an Notizen, es würde schon reichen. Irgendwie.

In der Mittagspause begab ich mich wie immer zu den ähnlich gesinnten. Ich fand sie in der Cafeteria. Mischel löste mal wieder ihren Zauberwürfel und Antonov las ein Buch über die Beringsee. Sie grüßten mich mit einfachem Nicken und ich begann mir ein Schnitzel schmecken zu lassen. Da meldete sich Tim zu Wort: "Habt ihr schon das neuste gehört? Auf dem Land ist wieder eine Gruppe rätselhafter Kultisten gesehen worden. Sie sollen dort Menschenopfer gebracht haben, wurden aber in dem Versuch von einem Vertreter der Forstverwaltung erwischt und unter gewahrsam genommen. Sachen gibt es. Okkulte Sekten in unserer modernen Zeit. Scheint fast so, als wären sie Gäste aus einer anderen Zeit." Wir lachten über die Naivität der weniger gebildeten Menschen. Hätte ich damals nur den weiteren Verlauf meines nächsten Lebensabschnittes gewusst. Ich glaube, mir wäre das Lachen bei all dieser Wahrheit im Halse stecken geblieben. Aber so war das nun einmal.

Die nächste Vorlesung war Biologie, das konnte ich mir getrost sparen. Somit begab ich mich in die Innenstadt, um ein bisschen die Seele zu entspannen. Man könnte jetzt meinen, das Verkehrsstau, Smog und schwitzend eilende Menschen eher zu Unruhe führen, und damit sogar recht behalten, aber mir kam es dabei eher auf das Gefühl des wahren Lebens an. Hinter den Mauern der Universität zusammen mit 18.000 anderen Leidensgenossen zu sitzen und das den ganzen Tag lang, war für mich der größere Stress und auf sonderbare Weise schien sich diese Ebene von jeglicher Realität gelöst zu haben. Aber das sollte nicht meine Sorge sein. Ich hatte viel größeres vor, denn es war schließlich ganz einfach: Ich musste nur das Bildungssystem durchstehen und einen Wisch-Bekommen, auf dem eben genau das steht und gut ist. Ich lief die Straße weiter entlang und machte mich langsam auf den Rückweg, als ich durch eine kleinere Gasse abkürzen wollte, in der ein ein dreckiger, alter Landstreicher an der Wand saß. Er hatte eine Schale mit ein bisschen Kleingeld darin liegen und da es für mich keinen Weg gab, ungesehen an ihm vorbei zuschleichen, griff ich in meine Tasche und warf eine viel zu große Anzahl an Münzen hinzu. Der Mann lächelte mit seinen verfaulten Zähnen hinter mir her, doch statt mir zu danken, hielt er mich mit einer weiteren Frage auf: "Hast du mir das gerade gerne überlassen?" Ich drehte mich um und zwang mich meinerseits zu einem obligatorischen Siegerlächeln: "Ja, natürlich tat ich das. Diejenigen, die mehr besitzen als andere, können doch gerne etwas abgeben." Er stand auf und hielt mir die Hand hin: "Na, dann freut es mich! Wenn doch nur alle Menschen so denken würden, wie du es tust." Ich schüttelte ihm die Hand, verwies dann aber auf meine Eile und als ich die nächste Ecke passiert hatte, desinfizierte ich mir erst einmal die Hände.

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