1182: 4. Der Zeitreisende

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Ich strauchelte einen Moment. Zwar war der wahrheitsgehalt der Worte eines alten und dreckigen Landstreichers für mich wirklich kein Argument, aber was man auch sagen konnte, sicher war, dass ich hier nicht mehr in meiner modernen Heimat war. Klar, es gab immer noch kleine, vergessene Dörfer irgendwo im Niemandsland, doch dann hätte man mich in meiner Ohmacht über eine weite Strecke dorthin gebracht haben müssen. Oder die Maschine, welche ich verwendete, ist eine Art Transmitter und hat mich hier her teleportiert. Doch dies ist im exakt gleichen Maß unlogisch wie eine Zeitreise. Somit erschien mir letzere als immer weniger abwägig.

Doch um so weit zu denken, fehlte mir in dem Moment einfach das Verständnis. Denn man musste es schließlich logisch sehen: Sagen wir, Zeitreisen funktioniere, wessen ich mir damals nicht sicher war, dann bin ich jetzt sehr wahrscheinlich in die Vergangenheit gereist. Eine dystopische Zukunft, in der die Menschheit untergegangen ist und sich nach der totalen Zerstörung neu aufbauen muss habe ich ausgeschlossen, selbst in dieser abwägigen Situation musste ich wenigstens ein klein wenig realistisch bleiben. Die Gegend war ländlich, der Ort eine Ansammlung einfacher Hütten, die Menschen waren, wenn sie mich nicht anstarrten als ob ich ein Zirkusbär wäre, in ihre gewöhnlichen, aber niederen Tätigkeiten vertieft. Die Apparatur stand mitten auf der Wiese zusammen mit dem Tisch, auf den sie gerichtet war. Ihre Umgebung flimmerte vor Hitze, diese spürte ich auch an mir und als ich an mir herunter sah, merkte ich, dass meine Kleidung versengt und verrußt war. Ich roch erbärmlich. Naja, aber immerhin noch besser als diese Bauern vor mir. Somit stand ich hier nun, im Jahr 1182. Ich war gefangen im Jahr 1182. Als mir das bewusst wurde, dass ich wohl nie wieder die Errungenschaften der Moderne erleben würde, fiel ich in Ohnmacht.

Als ich wieder zu mir kam, starrten mich sicher ein Dutzend Augenpaare an. Ich war umringt von eine Rotte aus dreckigen Kindern. Neben mir stand der alte Landstreicher und über mich beugte sich eine Bäuerin, deren breite Hüften und ausgeprägte Brüste erahnen ließen, dass diese Kinder wohl alle von ihr stammen könnten. Der alte lächelte und sabberte sich dabei in den grauen Bart: "Na, siehste? Der is net tot. Is ihm wohl kalt hier, dem klenen Yuezhi." Mir gefiehl nicht wie abwertend er auf meine leicht asiatische Abstammung einging und ich begann mich auzurichten. Sofort hockte die Bäuerin wieder neben mir und stütze mich: "Oh, Schätzle. Das machst du mir aber nicht noch einmal. Die Buben haben mit Stöckern auf dich eingestochert und ich musste sie dafür rügen. Ach Gottchen, du stammst sicher nicht von hier, musstest du um die Ehre deiner Familie zu wahren ins Exil fliehen. Hach, was eine Tragödie." Der alte winkte ab: "Dat hat der doch gesagt. Der is 'nen ganz weiser, was der alles liest. Möchte wohl uns angucken, dabei is dem das Kamel flöten gegangen. Kann passieren. Sagen wir de Fürsten b'scheid, den freut das. Der kann und sicher Seide besorgen, das macht gut Münze." Ich riss mich von der Frau los, stand auf und klopfte den Dreck von meiner mitgenommenen Kleidung. Dann erklärte ich den Beiden, dass ich gewiss in der Lage bin, für mich selbst zu sprechen. Daraufhin dah ich die Kinder böse an und da sie jemanden wie mich sicher noch nie gesehen hatten liefen sie teils weinend als lachend weg.

Nach dem das geschafft war, bekam ich erneut einen Schwächeanfall, doch hielt mich der Alte auf den Beinen, ich stieß mich von ihm ab, da schon sein Mantel schmierig und eingesaut war. Dann ließ ich den Kopf hängen. Was sollte ich auch tun? Ich war dumm genug, das Ding anzuschmeißen und nun saß ich mitten im Dilemma. Ich marschierte zu der Maschine und trat heftig dagegen. Ich überlegte. Wäre ich jetzt ein 80er Jahre Serienheld, dann würde ich die Maschine wohl reparieren und sie dann mit einem Blitzschlag betreiben um in meine Heimat zurückzukehren, aber so einfach war das nicht. Ich hielt praktische Physik oder auch Ingenieurwesen immer für die traurigsten Zweige, die sich Wissenschaft schimpften. Hätte ich doch diese Kurse belegt gehabt. Was sollte ich nun mit all meinem Wissen in einer Welt, die von all dem nichts kannte? Eine Welt, deren Medizin mit Vodoo und Gesängen einhergeht, für die Elektrizität den Zorn Gottes darstellt und die Angst hat, dass sie irgendwann über den Rand der Erde fallen, oder dass die Fäden, an denen der Mond hängt zu reißen beginnen und er die Erde unter sich begräbt. Was sollte ich in einer Welt, der ich Jahrtausende voraus bin. Eine Welt, in der es niemanden gab, der auch nur Ansatzweise so intelligent ist wie ich, was schon in der Gegenwart nur wenigen gelang und diese saßen zu großen Teilen den ganzen Tag in hochmodernen Rollstühlen oder waren Autisten, die eine soziale Inkompetenz aufwiesen. Eine Welt, in der ich alleine über all dieses Wissen verfüge. Eine Welt, in der ich alleine der Schlauste bin. Eine Welt, in der sich niemand mit mir Messen kann. Eine Welt, die nur darauf wartete, neu geformt zu werden...

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