Vorfreude

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"Warum grinst du denn so?", fragte Nicole, meine Freundin mit dem russischen Akzent, als sie mich und Lena durch das Foyer laufen sah und zu uns gerannt kam. "Ähm...", murmelte ich und warf meiner grinsenden Freundin Lena einen hilfesuchenden Blick zu. Wie sollte ich ihr das erklären? Ich konnte zu ihr ja wohl kaum "Kennst du Frau Berger? Ich bin unsterblich in sie verliebt und bekomme jetzt von ihr Nachhilfe, wobei ich nicht weiß, wie ich die mit meinem heftigen Crush überstehen soll" sagen. Ich hatte mich vor ihr nie geoutet und ehrlich gesagt spürte ich auch kein großes Verlangen danach. Ich war zwar mit ihr befreundet, aber eine enge Freundin von mir war Sie nicht. Ich wollte nicht gleich Stress mit der halben Schule riskieren und vor allem wollte ich dummen Fragen wie "Ich wollte mich nur noch mal erkundigen, ob du wirklich...na, du weißt schon, bist." aus dem Weg gehen. Außerdem gab es eine extrem homophobe Lehrerin an meiner Schule, Frau Schuster. Ein transsexueller Junge hatte wegen ihr die Schule gewechselt, sie hatte nicht mehr als eine Abmahnung kassiert. Doch zurück zu Nicole, die immer noch links neben mir her lief und eine Antwort verlangte. Sanft stieß ich Lena gegen den Arm, sie war besser darin, mich sicher aus sowas raus zu kriegen. "Ana hat in Mathe ein Lob von Herrn Meier bekommen, sie hat eine verdammt schwere Aufgabe gelöst", erklärte sie schnell. Nicole sah beeindruckt aus. "Wow, Ana, das hätte ich echt nicht erwartet, Glückwunsch! Dann brauchst du meine Nachhilfe ja nicht mehr!" "Genau!", sagte ich lächelnd. Ich fasste es nicht, Lena hatte tatsächlich zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen, Nicole würde nicht mehr jeden Mittwoch vor meiner Tür stehen und ohne Widerworte zu akzeptieren versuchen, Mathelektionen in meinen Kopf zu prügeln. "Ähm, wir müssen dann auch mal wieder weiter, Frau Vülker will mit uns noch wegen der Theater AG reden!", log ich. Eigentlich war das Gespräch mit ihr erst am Freitag. Lena und ich hatten als Oberstufenschülerinnen die Idee gehabt, eine Theater AG für Unterstufenschüler zu eröffnen, nun mussten wir nur noch mit der Lehrerin für Theater reden. Doch das würde nicht allzu schwierig werden. Frau Vülker mochte uns sehr gerne, da sie vor der Oberstufe zwei Jahre lang unsere Klassenlehrerin gewesen war. Ich griff nach Lenas Arm und zog sie nach draußen auf den Schulhof, wo ich sie begeistert umarmte, nachdem wir um eine Ecke gebogen waren. "Morgen habe ich Nachhilfe!", quietschte ich etwas zu laut und sah mich sofort erschrocken um, ob mich jemand gehört hatte. Lena lachte. "Wehe, wenn du dich nicht ab sofort an sie ran schmeißt!", drohte meine beste Freundin mir. "Was denkst du denn?", antwortete ich. "Los, überzeuge sie mit deinem unwiderstehlichen Charme!", rief Lena. Wir beide brachen in Gelächter aus. "Hmm, ganz bestimmt", sagte ich sarkastisch. Ich verabschiedete mich von ihr und fuhr nach Hause.

Zu Hause erwarteten mich schon meine Mutter und mein großer Bruder David am Esstisch. Er war drei Jahre älter als ich und bewarb sich gerade für einen Studienplatz in Köln, wartete aber noch auf eine Antwort. Ich setzte mich an den Tisch und meine Mutter stellte mir einen Teller mit Tortilla vor die Nase. Ich bedankte mich und begann zu essen. Meine Mutter erzählte uns, was sie neues in unserer Nachbarschaft erfahren hatte und mein Bruder berichtete, wie es mit seiner Bewerbung lief. "Und, was gibt es bei dir, Ana?", fragte er schließlich. "Ich bekomme morgen persönliche Nachhilfe von Frau Berger", sagte ich und das breite Grinsen entstand wieder in meinem Gesicht. "Uhhh...", sagten mein Bruder und meine Mutter gleichzeitig. Ich verheimlichte meiner Familie nichts, sie standen zu mir. "Dann hoffe ich mal, dass sich deine Noten deutlich verbessern!", antwortete meine Mutter und zwinkerte mir bedeutungsvoll zu.

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