Freundschaftlich

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Die Sache freundschaftlich angehen.
Das war leichter gesagt, als getan. Wie sollte ich mich denn plötzlich um 180° Grad drehen und einfach nur mit ihr befreundet sein? War das überhaupt möglich?
Wenn ich Mira in der Schule über den Weg lief, lächelte ich sie wie früher immer noch an, doch ich war im Biologieunterricht einfach stiller geworden. Ich konnte mich einfach nicht überwinden, meinen Arm zu heben, da ich wusste, dass sie mich dran nehmen würde und dass ich dann wieder in diese strahlend blauen Augen starren musste. Das ging jetzt noch nicht. Und es war schließlich schon fast wieder Dienstag. Warum kam dieser Dienstag immer nur so schnell? Wahrscheinlich, weil ich kein Leben habe, flüsterte eine kleine Stimme in mir. Als ich noch mit meiner letzten Freundin zusammen gewesen war, war es anders gewesen. Ich war jedes Wochenende in der Innenstadt, ich war mit ihr bei Kunstausstellungen, in jedem Secondhand Shop und auf jedem Vintage Markt. Und ich bin damals oft mit Freunden ausgegangen. Sie war zwar nie dabei, aber irgendwie hab ich nach der Trennung von ihr damit aufgehört... Ich weiß selbst nicht mal, warum genau. Ich hatte irgendwann einfach keine Lust mehr.

Ich lehnte an der Wand neben der Tür des Biologie Fachraums. Noch 4 Minuten. Ich steckte mir meine Kopfhörer in die Ohren und machte meine Halsey Playlist an. Der erste Song begann.
She doesn't kiss me on the mouth anymore...
Ich liebte dieses Lied. Kaum hörbar murmelte ich die Lyrics. Ich ging gerade vollkommen in dem Lied auf, als die Tür aufgestoßen wurde. Ich zuckte zusammen. Im Türrahmen stand Mira und sah mich etwas verwirrt an. Ich riss mir mehr oder weniger die Kopfhörer aus den Ohren und sah sie an. "Hab ich dich erschreckt?", fragte sie besorgt. "Ich wollte die Tür eigentlich gar nicht so heftig aufstoßen, ich war nur so in Gedanken und da hab ich einfach..." Ihr Blick wanderte hinüber zur Tür. Sie schien auch etwas neben der Spur zu sein. Ich schob mich an ihr vorbei in den Raum und setzte mich hin. Sie reichte mir ein Arbeitsblatt. "Ähm...kannst du das vielleicht machen, ich muss noch ein paar...die Sachen von den Experimenten mit mit den Sechstklässlern reinigen." Ich nickte und senkte meinen Blick auf das Blatt vor mir. Heimlich schaute ich jedoch, was Mira tat, während ich vorgab zu lesen. Sie stand etwas unentschlossen herum, bis sie plötzlich zu einem Schrank ging und Gläser holte, die sie zu spülen begann. Da sie meinen Blick scheinbar nicht bemerkte, sah ich genauer hin. Die Gläser waren ganz klar sauber, damit hatte keine siebte Klasse experimentiert. Doch ich wusste genau, warum sie lieber Gläser wusch. Wir hatten die Situation von letzter Woche also genau gleich wahr genommen. Während sie saubere Gläser spülte und ich schweigend das Arbeitsblatt erledigte, fragte ich mich insgeheim, wie es jetzt weiter gehen sollte. Ob sie vielleicht für den Rest des Jahres Dinge reinigen und mich still arbeiten lassen wollte. Ob wir jeden Augenkontakt, jede Zeit, in der es nur wir zwei waren, lieber vermeiden sollten. Die vernünftige Antwort darauf war natürlich ja. Wir sollten von jetzt an aufmerksam sein. Aber ich wusste, dass das nicht das war, was ich wollte. Ich wollte nicht vernünftig sein. Ich wollte bei Mira sein. Doch ich glaubte nicht, dass sie das auch wollte. Also ging ich die Sache "freundschaftlich" an. Wobei vernünftiger wohl ein besseres Wort dafür gewesen wäre.

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