twenty-four

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Mum begann wild auf ihrem Handy zu tippen und meine anfängliche Trauer verwandelte sich in Wut. Jake wurde gerade verprügelt verdammt noch mal! Wenn er nicht bald Hilfe bekam, dann... dann... könnte er dann sterben?!

Ich presste meine Nägel in die Handflächen, um den Druck in meiner Brust irgendwie auszugleichen. Es war alles meine Schuld. Ich hätte besser aufpassen sollen. Ich hätte das ganze gar nicht zulassen sollen! Wie naiv war ich denn bitte, dass ich dachte, dass eine Beziehung möglich war? Hatte ich etwa geglaubt, wir könnten es schaffen?

Ich war nicht nur wütend auf meine Mum und meinen Vater, ich war am meisten wütend auf mich selbst. Ich hätte ihm dieses Leid ersparen können, wenn ich doch nicht so egoistisch gewesen wäre!

„Ich hab meiner Freundin geschrieben, sie ist Krankenschwester. Sie wird ihm helfen", zischte Mum mir zu und tat dann so, als hätte sie nichts gesagt.

Meine Wut auf sie verpuffte und ich atmete unauffällig aus. Er bekam Hilfe, alles würde gut werden.

Allerdings traf ich in dem Moment den Blick meines Vaters im Rückspiegel. Eiskalte, helle Wut brodelte in seinen Augen und in dem Moment wurde mir klar, dass es noch lange nicht vorbei war.

*

Die Autotüren wurden zugeschlagen. Der Kies knirschte unter unseren Füßen, als wir die Auffahrt hochstiegen und ein Zittern erschütterte meinen ganzen Körper.

Sobald die Tür aufgeschlossen wurde, spürte ich, wie jemand meinen Haarschopf mit sich zog und mich dann auf den Boden schubste. Ein Schreien. Aber es war nicht meins.

„David bitte... du hast sie schon genug bestraft", keuchte Mum und krallte sich an das Hemd meines Erzeugers fest.

„Geh mir aus dem Weg", knurrte er bloß, doch sie reagierte nicht. Sie hatte ihn immer noch am Kragen gepackt und bettelte ihn an. Wieder war ich wie versteinert und kein Ton verließ meine Lippen.

„Nein, bitte... es ist deine Tochter", bettelte sie.

„Ja, meine Tochter, die die Ehre dieser Familie in den Dreck zieht in dem sie sich von einer verdammten Waise ficken lässt!", schrie David und packte sie plötzlich. Seine bloße Hand schlang sich um ihren Hals und drückte zu.

Ich wollte etwas tun, schreien, Hilfe rufen, weinen, sterben.

Mum wimmerte und er ließ sie wieder los. Wie ein Kartoffelsack sank sie auf den Boden und blieb reglos liegen, allerdings waren ihre Augen noch geöffnet, was meinem Vater reichte.

Die Hand, die meine Mutter kurz davor noch gewürgt hatte, packte wieder mein Haar und zog mich mit sich.

„Lass mich los!", schrie ich und versuchte mich zu wehren, doch da hatte er mich schon in sein Büro gestoßen und die Tür hinter sich abgeschlossen.

„Gib mir deine Hände!" Ich schüttelte trotzig den Kopf und verschränkte die Arme hinter dem Rücken.

„Du dreckige, undankbare Göre!", schrie er und seine flache Hand flog auf mein Gesicht zu. Die Wucht des Schlages riss mich zu Boden.

Ich hörte ein Rascheln und dann das Geräusch eines Gürtels, der aus den Schlaufen gezogen wurde. Ich erzitterte.

„Streck deine Hände aus!" Zögernd tat ich, was er mir befahl. Ich presste die Augen zu, wollte nicht wahrhaben was hier passierte.

„Ich werde nicht mehr Violine spielen können", rutschte es mir fast schon triumphierend heraus.

„Oh doch, das wirst du. Und es ist mir egal, was für Schmerzen es dir bereiten wird. Und jetzt halt ruhig."

Er holte aus. Ich hörte den Gürtel in der Luft sausen und eine Sekunde später schlug er auf meine Hand. Die Haut platzte auf.

Erstmal dachte ich, so schlimm wäre es gar nicht. Doch dann begann es fürchterlich an zu brennen und genau dann, kam der nächste Hieb.

Es war eine Kunst. Eine kranke Kunst, die mein Vater in den letzten Jahren perfektioniert hatte.

Ein Wimmern entkam meinen Lippen, als der Gürtel das 5. Mal auf meine Haut traf. Ich spürte das warme Blut und die Hautfetzen, denn mehr war da nicht mehr.

Denk an Jake...

Dank daran, wie er dich ansieht

Dich küsst

Dich beschützt

Dich liebt.

Ich spürte den Schmerz in meinen Händen, doch ich zwang mich an ihn zu denken und tatsächlich war die Qual einfacher zu überstehen.

Kein Sausen mehr. Bloß das Schnaufen, meines Vaters. War es vorbei?

Ich hörte das Klicken der Tür und wie mein Vater sich wahrscheinlich seinen teuren Whisky in ein Glas füllte.

„Du kannst jetzt gehen. Ich werde gleich deinen Direktor anrufen, um dich abzumelden. Und sollte ich dich noch einmal mit diesem dreckigen Jungen sehen, werde ich dafür sorgen, dass er niemals mehr das Licht der Welt erblickt."

Ich lief mir erhobenen Kopf aus dem Büro, obwohl mir unentwegt Tränen die Wangen herunterliefen. Ich hatte meinen Stolz. Und selbst wenn er mir alles nahm, würde ich den behalten.

Der Schmerz in meinen Handflächen war nichts gegen das Brennen in meiner Brust. Ich war es gewohnt, ja, aber es bedeutete nicht, dass es weh tat. Mehr seelisch als körperlich. Und auch wenn die Blutergüsse verschwanden und nur Narben auf meiner Haut blieben, meine Seele war inzwischen zerfetzt. Denn diese Wunden heilten nicht. Sie blieben offen, wurden größer, anstatt sich zu verschließen und würden nie verschwinden. Nie.

Im Bad wartete schon Mum auf mich. Ihre Wangen waren genauso nass wie meine und ihre Augen gerötet.

„Komm her", flüsterte sie und drückte mich auf die Toilette. Während sie Desinfektionsmittel, eine Salbe und Verband rauskramte, traute ich mich zum ersten Mal auf meine Hände zu sehen, nur um gleich wieder die Augen zu schließen.

Ich zischte auf, als das Desinfektionsmittel die wunden Handflächen traf und seufzte erleichtert, als Mum die heilende Salbe draufschmierte. Anschließend verband sie meine Hände sorgfältig.

„Danke", flüsterte ich, als sie fertig war. Sie drückte mir einen Kuss auf den Scheitel und ging. Mit blauen Riemen am Hals.

Auf meinem Zimmerboden lagen Trümmer von einem Gegenstand und als ich genau hinsah erkannte ich mein Handy.

Ich wollte abschließen, aber mein Zimmertürschlüssel steckte nicht mehr im Schlüsselloch. Wieso nahm er mir alles? Die Schule, in der ich mich inzwischen wohl fühlte, meine Privatsphäre, selbst das Zeichnen. Und die einzige Person bei der ich mich sicher, geborgen... zuhause fühlte.

Warum tat er das? Was hatte ich getan? Oder wurde ich für etwas bestraft, dass ich mal tun würde? Vielleicht war das Leben auch einfach nur grausam...

Ich kuschelte mich unter die warme Decke, doch ich zitterte weiterhin, während mich Schluchzer weiter erschütterten.

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