twenty-eight

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Jake grinste, als er meinen staunenden Blick bemerkte. „Wow", keuchte ich und ließ mich von ihm durch die Straßen ziehen.

„Amsterdam ist die mit Abstand schönste Stadt der Welt." Dass ich begeistert war, wäre die Untertreibung des Jahrhunderts gewesen. Ich war schon fast überall gewesen. Paris, Peking, Moskau, Berlin, Rom, Venedig, Hamburg und tausende andere. Doch meine Eltern hatten mich nie hierhergebracht.

Jedes einzelne Haus, an dem wir vorbeiliefen, hatte eine andere bunte Farbe und eine eigene Architektur. Es war unglaublich wie vielfältig alles war. Hier gab es keine Wiederholungen. Keine Langeweile. Es war alles einmalig, jede Kleinigkeit einzigartig. Was würde ich dafür geben einmal hier zu leben?

„Ich weiß du hast dich genauso schnell in Amsterdam verliebt, wie in mich, aber wir haben einen Zeitplan. Ich muss dir noch einiges zeigen." Ich schlug ihm spielerisch gegen die Schulter, wobei es mir wahrscheinlich mehr wehtat, als ihm und schnappte mir seine ausgestreckte Hand.

„Ich wusste gar nicht, dass du Touristenführer und Casanova bist. Muss ziemlich anstrengend sein diese beiden Tätigkeiten gleichzeitig auszuführen, oder?", neckte ich ihn und grinste ihn an. Für einige Zeit waren die Probleme vergessen. Und obwohl ich sie immer noch im Hinterkopf behielt, waren sie im Moment unwichtig.

„Ich weiß nicht recht, was ich von deiner neckenden Seite halten soll. Einerseits macht sie mir Angst, weil ich befürchte, du könntest mich mit Worten fertigmachen, aber andererseits turnt sie mich ziemlich an", grinste Jake und blieb plötzlich vor mir stehen. Er stand vielleicht 10 Zentimeter von mir entfernt und starrte zu mir herunter. Ein Funkeln in seinen Augen sagte mir, dass ihm diese Spielchen gefielen.

„Ach wirklich?" Ich stellte mich auf die Zehenspitzen, um den Abstand zwischen uns noch ein klein wenig zu verringern. Wir grinsten uns an. Als er Anstalten machte die Lücke gänzlich zu schließen, drehte ich mich einfach weg und lief weiter.

„Schade allerdings, dass wir einen strengen Zeitplan haben!", rief ich zu ihm zurück. Er war in seiner Position erstarrt und schaute mir verdattert hinterher. Bei seinem Blick entschlüpfte mir ein Lachen. Das hätte ich fotografieren müssen!

„Sie bringt mich noch um", murmelte Jake noch, bevor er zu mir aufschloss. Ich grinste ihn bis über beide Ohren an und fühlte mich dabei nicht ein kleines bisschen dämlich. Nur Ratten grinsen, hallte die Stimme meines Vaters in meinen Ohren, doch ich dachte bloß kopfschüttend Nein, Vater. Menschen grinsen.

„Also... was steht auf dem Plan?", fragte ich neugierig.

„Zu aller erst gehen wir in ein Café, ich brauch Kaffee. Dann muss ich dir unbedingt etwas zeigen. Und abends gehen wir dann in ein Restaurant. Morgen früh geht schon der Flug, aber wir machen das heute einfach zu einem perfekten Tag", erklärte Jake. Mit dir kann er nur perfekt werden, dachte ich lächelnd und ergriff erneut seine Hand.

So schlenderten wir durch das arme, sonnenbeschienen Amsterdam, wie ein vollkommen normales Liebespaar.

„Warst du eigentlich schon mal in Amsterdam?", hakte ich nach, weil er so zielstrebig in eine ganz bestimmte Richtung lief.

„Ein paarmal", antwortete er knapp und anhand seiner Stimmlage wusste ich, dass er nicht darüber reden wollte. Ich ließ ihn. Jeder hatte Geheimnisse und bloß, weil man zusammen war, bedeutete das nicht, dass es nicht auch Zeit benötigte. Wenn er bereit war, würde er mir davon erzählen, da war ich mir sicher.

Wir blieben vor einem kleinen Café stehen. Ein Fahrrad war davor abgestellt, doch es schien niemanden zu kümmern. In London wäre die Polizei schon längst hier gewesen und hätte dem Eigentümer eine Geldstrafe abgenommen.

Screaming Beans, stand in weißen Lettern auf der Glasscheibe des Ladens. Jake hielt mir die Tür auf und wir traten ein. Der Geruch von Kaffee und heißer Schokolade stieg mir in die Nase. Das Café war im Vintage Look hergerichtet mit Gitarren an der Wand, weichen Sessel anstatt harter Stühle und einem braunen Parkett. Ein paar Studenten saßen hier mit ihren Macbooks und schlürften irgendwelche Kaffee Spezialitäten, die einen so langen Namen hatten, dass ich es mir niemals merken könnte.

Studieren. Seltsam. Ich hatte nie in Betracht gezogen es zu tun doch nun wünschte ich mir, es irgendwann tun zu können. Ein Problem war allerdings, dass ich nicht nur Schulabbrecherin war, sondern auch noch als Vermisst gemeldet. Aber vielleicht lebte ich irgendwann ein stinknormales Leben und dann vielleicht würde ich studieren.

„Setz dich schonmal hin. Willst du was Bestimmtes?", flüsterte Jake mir ins Ohr. Ich schüttelte den Kopf.

„Überrasch mich", meinte ich bloß, bevor ich uns einen Tisch reservierte. Ich lehnte mich in dem gemütlichen, abgewetzten Sessel zurück und genoss das Gefühl von Freiheit. Denn genau das war es, was ich die ganze Zeit verspürte. Dieses Flattern in der Magengegend, das unaufhörliche Grinsen im Gesicht, das Adrenalin, das durch mein Blut strömte.

Jake kam mit zwei Tassen zurück und stellte die eine vor mich. Auf dem Schaum war ein süßes Herzchen, das mich zum Lächeln brachte.

„Was ist das?", fragte ich und legte meine Hände, um die heiße Tasse. Jake zuckte mit den Schultern.

„Ich habe auf irgendwas gezeigt und 2 Mal gesagt", grinste er und drückte mir einfach so einen Kuss auf die Wange. Einfach so. Noch nie in meinem Leben hatte jemand etwas einfach so getan. Und ich liebte dieses Gefühl!

Ich probierte und schmeckte ab. Die Flüssigkeit hinterließ ein warmes Gefühl in meinem Bauch und einen süß-bitteren Geschmack auf meiner Zunge. Ich hatte keinen blassen Schimmer, was es war, aber es schmeckte fantastisch.

„Das ist jetzt ganz offiziell mein Lieblingsgetränk", sagte ich und nahm gleich noch einen Schluck. Gott das schmeckte fantastisch! Wie eine Mischung aus Kaffee, heißer Schokolade und noch irgendwas, was ich nicht spezifizieren konnte. Nelken? Nein... oder?

„Und wie willst du es nennen, wenn dich jemand fragt?" Ich überlegte. Ja... wie würde ich es nennen?

„Freiheit."

*

„Darf ich vorstellen? De Blauwe Vioolspeler", meinte Jake und zeigte auf die blaue Figur. Irritiert runzelte ich die Stirn.

„Wie bitte?", hakte ich nach. Jake lachte.

„Das bedeutet der Blaue Violinspieler. Es gibt keine wirkliche Geschichte zu ihm und man weiß auch nicht, wer ihn gebaut und dort hingestellt hat. Einestages stand er einfach da. Erstmal sollte er entfernt werden, aber als es dann so weit war, protestierten die Bürger und so blieb er schließlich." Irgendwie war er unerwünscht, doch irgendwann ist er jedem ins Herz geschlossen. Das war eine wirklich schöne Geschichte. Während ich die Statue weiter betrachtete, hantierte Jake an irgendwas rum. Als ich gerade nachfragen wollte, reichte er mir plötzlich meine Violine.

Ich zog die Augenbrauen zusammen, aber da war schon verschwunden. Er sprach einen Straßenmusiker an und dieser nickte lächelnd.


Er begann auf seinem Keyboard eine mir allzu bekannte Melodie zu spielen. Ich setzte die Violine an und konzentrierte mich ganz auf das Lied. Mit geschlossenen Augen stieg ich ein. Später hörte ich dann noch jemanden den Rhythmus schlagen und so spielte ich mit zwei mir vollkommen Fremden mein Lebenslied, gleich neben dem blauen Violinspieler.

Ich ließ mich vollkommen fallen. Die Noten flossen durch mein Blut und eine Gänsehaut bildete sich fast überall.

Als ich die Augen wieder öffnete, blickte mir eine ganze Menschenmenge entgegen. Sie begannen zu klatschen und ein paar eilten nach vorne, um Geldnoten in den Koffer zu schmeißen.

Ich strahlte Jake an. Das war es, was ich an der Violine liebte, was ich an der Musik liebte. Sie verband Menschen. Sie ließ sie mitten auf der Straße stehenbleiben und eine kleine Zuflucht aus ihrem tristen Alltag zu finden. Sie war geschaffen, um jeden einzelnen Menschen miteinander zu verbinden, egal welcher Herkunft, Religion oder Schicht. Sie war eigentlich das komplette Gegenteil, des Lebens, das ich viel zu lange gelebt hatte.

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