one

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Langsam strich ich mit dem Bogen über die Saiten. Schon um die Hundertmal hab ich dieses Stück jetzt schon gespielt. Aber es heißt ja: Übung macht den Meister. Und meine Eltern wollen, dass ich Gott auf diesem Gebiet werde.

„Essen ist fertig!", rief Margret unsere Haushälterin. Ich legte die Violine beiseite und rannte die Treppen runter. „Sind Mum und Dad wieder da?", fragte ich hoffnungsvoll. „Tut mir leid, Kleines." Sie schüttelte mit einem mitleidigen Lächeln den Kopf. „Schon okay. Ich bin's ja gewohnt.", murmelte ich. Sie wollte gerade wieder in die Küche gehen als ich Margret zurückhielt. „Kannst du dich zu mir setzen. So wie ich dich kenne, hast du sowieso viel zu viel gekocht." Margret war um die 40 Jahre alt und ein wenig mollig. Sie war wie eine Mutter für mich. „Na gut. Aber nur, weil du es bist." Sie setzte sich mit einer Tasse Tee neben mich während ich aß. „Wie läuft's so in der Schule?", fragte Margret. „Ganz okay, denke ich. Meine Noten sind gut. Ich habe nirgendwo Probleme."

„Das weiß ich. Ich meine, hast du schon ein paar Freunde?" Ich biss mir auf die Unterlippe und schüttelte den Kopf. „Sie wissen nicht mal, dass ich existiere." Eine Träne löste sich aus meinem Auge. Als ich hörte wie die Tür aufgeschlossen wurde, wischte ich sie mir schnell weg und stand auf. „Ich sollte weiter üben." Margret räumte den Tisch ab und nickte mir traurig zu. „Guten Tag, Mutter." „Dir auch, meine Süße. Wie lange hast du heute schon geübt?", fragte sie gleich. „3 Stunden." Mutter sah mich erstaunt an. „Dann hast du jetzt noch genug Zeit. Ich dachte du weißt wie wichtig üben ist.", erwiderte sie kühl. Ich nickte und unterdrückte ein genervtes Stöhnen. Aus dem Augenwinkel sah ich, dass Margret die Lippen fest aufeinanderpresste. Das tat sie immer, wenn sie etwas sagen wollte, es aber nicht durfte. Ich schüttelte fast unmerklich den Kopf und ging hoch in mein Zimmer.

Eine richtige Begrüßung oder die Frage wie mein Tag so war, konnte ich vergessen. Und wenn sie mal kam, dann hörten sie bei der Antwort nicht zu. In diesem Haus war es einfacher zu sagen was man durfte, als was man nicht durfte.

Anstatt zu üben machte ich einfach eine Aufnahme von mir an. Ich hatte auch extra ein paar Fehler eingebaut, damit man nicht auf die Idee kam.

Ich setzte mich auf mein breites Fensterbrett und starrte in den Regen. Der Himmel sah ungefähr so aus wie meine Augen. Undurchdringbares Grau. Früher hatte ich sie gehasst, aber meine Grandma, die dieselbe Farbe hat, hatte immer gesagt sie würde mich zu etwas Besonderes machen.

Ich machte mein Fenster auf und der kühle Regen zog an mir vorbei. Ein paar Tropfen landeten auf meiner Jeans. Ich zog meine Knie an meinen Körper und schlang meine Arme um sie. Meinen Kopf legte ich auf meine Beine.

Ich sah wie ein Schatten an unserem Haus vorbei huschte. Nach seiner Größe und der Statur war es ein Junge. Er hatte seine Kapuze tief ins Gesicht gezogen und in der Hand hielt er eine Spraydose. Er blickte sich einmal um und traf dabei genau meinen Blick. Er grinste mich an und zwinkerte mir zu. Erstaunt sah ich ihn an. Aber da hatte er sich schon umgedreht und war weitergelaufen.

Der Junge hatte braune Haare und stechend blaue Augen die, den tiefen des Ozeans glichen. Verwirrt über meinen Gedanken schüttelte ich den Kopf. Das Fenster schloss ich wieder und machte mich bettfertig.

Der Junge verfolgte mich in meinen Träumen. Immer wieder tauchten diese Augen auf. Selbst im Unterricht konnte ich mich nicht richtig konzentrieren.

Ich saß im Matheunterricht als die Tür aufschwang. Ich sah nicht hin, sondern kritzelte auf meinem Block rum. „Ich bin neu.", sagte eine tiefe Stimme. Erstaunt hob ich den Kopf und mein Blick traf den von diesen unglaublich blauen Augen. „Würdest du dich bitte vorstellen?", fragte Mr. Jackson, aber ich hörte es nur gedämpft. Der Junge schien es auch nicht wirklich wahrgenommen haben, denn er starrte mich einfach nur an. Mr. Jackson räusperte sich laut stark und der Fremde wandte den Blick von mir ab. Das Blut schoss mir in den Kopf. „Ich bin Jake Dawson und komme aus Washington. Ich bin seit gestern Nachmittag hier. " Dabei sah er mir wieder in die Augen. „Gut. Ehm setz dich auf den freien Platz dort hinten." Jake lief zu dem Platz hinter mir und ließ sich geräuschvoll auf den Stuhl fallen.

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