ten

4.2K 231 22
                                    

Und der zweite Teil:

„Ich verstehe immer noch nicht, wie das passieren konnte. Ich meine da bestellt man rosa Tüll und was kriegt man, dunkelblauen! Das ist nicht zu fassen, einfach nicht zu fassen!", beschwerte sich Marie nun zum 100. Mal. Mom nannte sie zwar immer Mary, aber nur, weil sie eine Patriotin war.

„Aber gut, dass mein Häschen in allem gut aussieht", fügte sie hinzu und strich mein Haar glatt. Durch ihren französischen Akzent klang es wie 'Äschen.

„Nur noch ein wenig Wimperntusche und dann werde ich James anrufen, ja?" Nach dem sie den Feinschliff fertig hatte, stellte sie mich vor einen Spiegel. Das Kleid sah aus, wie das einer Elfe, mit mehreren Blautönen aus Tüll, die über einander lagen. Meine grauen Augen leuchteten und die Schuhe waren Gott sei Dank nicht allzu hoch.

„Sieht sie nicht wunderbar aus James?", fragte Marie und wandte sich an unseren Chauffeur. „Wie immer, ja, Miss." Er verneigte sich höflich, wie er es immer tat und ich knickste. Als ich noch ein Kind war, hatte er sich immer verneigt, weil meine Eltern das erwartet hatten. Ich hatte das anfangs nicht verstanden und dann immer geknickst.

„Könnten Sie diesmal die Trennwand unten lassen, James?", bat ich. Ich wollte mich nicht so schrecklich allein fühlen, was ich sowieso tat.

War Jake sauer auf mich? Oder auf meine Mom? Vielleicht bereute er es auch. Dieser Gedanke schmerzte, doch war definitiv am wahrscheinlichsten.

„Wenn Sie das hier gut machen, werden Ihre Eltern Sie bestimmt öfter alleine losschicken", sagte James während der Fahrt.

„Nein, das werden sie nicht. Vertrauen ist gut, aber Kontrolle ist besser. Manchmal glaube ich, dass meine Eltern dieses Sprichwort erfunden haben. So kommt es mir jedenfalls vor."

Die restliche Fahrt verlief eher schweigend. Als James mir die Tür hinten öffnete, beugte er sich geheimnisvoll nach vorn. „Egal was sie bedrückt, Miss, sie haben so viel Schlechtes überstanden, es kann nur besser werden", raunte er mir zu. „Danke."

„Ich werde hier draußen warten, damit Sie gehen können, wann Sie wollen." Ich nickte ihm dankbar zu und ging dann zu dem riesigen Eingang.

„Guten Abend, Mrs. Miller. Sie sehen mal wieder wundervoll aus! Vielen Dank übrigens für die Einladung." Ich lächelte die Frau Mitte 40 an. Mrs. Miller selbst wurde nicht in der Oberschicht geboren, sondern hatte sich dort eingeheiratet, aber anders als bei den meisten Ehen in der Oberschicht aus Liebe.

„Vielen Dank, Sie wie immer wirklich unbeschreiblich schön! Wo sind denn Ihre Eltern, Erin?", fragte sie erstaunt. Ich war fast nie alleine auf solchen Veranstaltungen.

„Sie sind momentan auf Geschäftsreise und werden gleich nachkommen, um kurz vorbeizuschauen. Danach müssen sie schon weiter."

„Mein Mann hat extra eine Violine für Sie kaufen lassen. Ich meinte, Sie könnten Ihre eigene ja auch einfach mitbringen, das ist immer besser als mit einer komplett neuen, nicht wahr? Aber er wollte einfach nicht hören", seufzte sie und sah leicht verträumt zu ihrem Mann.

„Solange er sie nicht aus Italien hat einfliegen lassen", lachte ich, doch als ich ihren Blick sah, verstummte ich sofort.

„Oh nein, dann möchte ich die ja gleich mitnehmen, also, wenn sie verschwindet, würden Sie dann der Polizei sagen, dass ich schon mehrere Geigen habe?" Sie nickte lachend und entschuldigte sich, um den nächsten zu besuchen.

„Du siehst toll aus, mein Schatz", sagte mein Vater und küsste mich auf die Stirn.

„Guck mal, da ist jemand in deinem Alter. Frag doch mal nach", meinte Mom und seltsamerweise war ihr Lächeln echt.

Ein Braunhaariges Mädchen mit einem tiefschwarzen Kleid, stich mir sofort ins Auge. Ihr Gesicht war ziemlich kantig und sie hatte säuerlich die Lippen gespitzt. Außerdem exte sie mehrere Champagnergläser mit dem Blick auf der anderen Seite des Saals.

Ich ging langsam auf sie zu und folgte ihrem Blick. Ein Junge mit ebenfalls braunem Haar stand gegenüber von Tracy. Tracy war sowas wie die Schlampe der Reichen. Sie hatte wahrscheinlich auch eine Affäre mit meinem Vater gehabt, die Frage war mit wem sie keine gehabt hatte.

„Er ist entweder dein Freund, dein Ex oder du stehst auf ihn." Das Mädchen zuckte leicht zusammen und wandte sich mir zu. Sie ließ ihren Blick über mein Gesicht und mein Kleid wandern und lächelte leicht. Ich seufzte, als ich ihre Musterung bemerkte.

„Ich hab mich so gefreut, dass sie die falsche Farbe gekauft haben. Sonst wäre es wahrscheinlich rosa oder pink. Ihnen macht es total Spaß mich wie eine dreijährige anzuziehen. Ich bin auf diesen Bällen quasi aufgewachsen und sah noch nie aus wie du." Ich lächelte leicht, da sie einfach fantastisch aussah. Das Kleid war eng und setzte ihre Kurven perfekt in Szene und ihre Augen hatten ein so strahlendes Blau, für das ich sie beneidete.

„Ich hab dich hier noch nie gesehen. Ich bin übrigens Erin." Ich streckte meine Hand aus und reichte sie mir.

„Talia, aber du kannst mich Lia nennen. Ich war bisher nur auf einem Ball in Sydney", erklärte sie und ihr Blick huschte wieder zu Tracy und diesem Kerl.

„Also wieso starrst du den Kerl an?", fragte ich neugierig. Lia öffnete den Mund schloss ihn allerdings wieder. Anscheinend wollte sie es mir noch nicht erzählen.

„Versteh schon", meinte ich. „Kommst du auch morgen zum Maskenball? Heute ist ja nur eine Soiree. Also kein Tanzen nur labern und musizieren!" Ich sah sie gespielt fröhlich an und stupste sie an.

„Ja, wahrscheinlich schon."

Seltsamerweise konnte ich mich mit ihr total gut unterhalten.

„Und wieso bist du hier?", hakte ich nach und sah zu ihr rauf, weil sie definitiv höhere Schuhe als ich trug.

„Ich bin Schülerin an der Dance Academy of Derby. Ich habe ein Stipendium, deshalb muss ich bei den reichen Leuten werben, damit wir mehr Sponsoren kriegen, um noch mehr Stipendien vergeben können, und du?" So abfällig wie sie ‚reichen Leute' ausgesprochen hatte, sagten es auch die Leute aus meiner Schule.

Unbehaglich trat ich von einem Fuß aufs andere. Sollte ich ihr sagen, dass ich eine von dieser reichen Leute war?

„Meine Eltern sind diese reichen Leute", murmelte ich und starrte betreten zu Boden.

„Ich meinte das nicht-", setzte sie an, doch ich hob den Kopf und schüttelte ihn.

„Keine Sorge, ich bin es gewöhnt, dass man meine Eltern hasst.", wiegelte ich ab. „Ich tu es ja auch", rutschte es mir dann noch heraus. Schnell schlug ich mir die Hand vor den Mund

Nur weil sie so wirkt, als könnte ich ihr vertrauen konnte ich ihr doch nicht alles erzählen!

„Oh nein, das meinte ich nicht so. Ich liebe meine Eltern, sie sind toll", log ich, doch ich konnte in ihren Augen sehen, dass sie es mir keine Sekunde abnahm.

Gut, dann musste ich eben sehen, ob ich ihr wirklich vertrauen konnte.

„Komm mit", bestimmte ich und zog sie mit mir aus dem Saal zu den Küchen. Die Kellner und Köche kamen mir entgegen und lächelten uns an. Ich erwiderte ihr Lächeln wie immer. Hier unten fühlte ich mich wohler, als da oben. Hier unten konnte ich, ich selbst sein.

„Erin, meine Liebe! Was machst du denn schon so früh hier? Ist es so schlimm?", fragte die richtige Mary, während sie die Cupcakes verzierte.

„Jap. Wir brauchen deine berühmten Schokocupcakes." Ich war mir sicher, dass meine Augen gerade aufleuchteten. Mary seufzte ergeben und drückte mir ein Tablett in die Hand. Ich sah sie dankbar an.

„Und jetzt verschwindet aus meiner Küche." Ich kicherte, als sie mich und Talia rausscheuchte und Talia kurz zuzwinkerte.

Ich drückte Talia das Tablett in die Hand und schlich leise ins Getränkelager. Es dauerte nicht lange, bis ich die Jack Daniels Flaschen fand und schnappte mir eine.

„Los schnell, bevor Mary noch merkt, dass ich die" Ich hob die Flasche hoch und grinste „geklaut hab."

Play itWo Geschichten leben. Entdecke jetzt