nine

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Pünktlich um 6, das erste Kapitel! Ich werde bei jedem Kapitel Musik anhängen, die ich während des Schreibens gehört habe (manchmal wird die Bedeutung nichts mit dem Text zu tun haben), teilweise sind es auch, wie hier, einfach Violin Cover von Songs.

Dann noch viel Spaß und kommentiert fleißig ;)

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„Was?" Verwundert starrte ich die Sprühdose in meiner Hand an. Erst langsam begriff mein Hirn, was Jake gemeint hatte und das brachte mich zum Lächeln. Er erinnerte sich daran?

„Wir werden jetzt sprayen.", erklärte mir Jake mit der Stimme, die man nur bei Kleinkindern verwendete. Obwohl mir das ja schon längst klar war, wurde mein Lächeln breiter.

„Erinnerst du dich, als ich an deinem Haus vorbeigelaufen bin? Da war ich auch hier. Mein Motorrad hatte eine Panne, also musste ich laufen. Ich wollte eigentlich dein Haus besprühen, aber dann habe ich dich gesehen und es... vergessen." Er kratzte sich unsicher am Nacken. Diese Geste brachte mein Herz dazu zu beschleunigen und mich zum Grinsen. War Jake Dawson etwa verlegen?

„Ist Jake Dawson, der Badboy ganz Londons, da etwa verlegen?", fragte ich mit einem provokanten Grinsen, dass ich gar nicht von mir kannte. Er machte das Unerwartete aus mir.

„Klappe. Komm ich zeig's dir." Er packte, wie so oft, meine Hand und zog mich zu dem alten Backsteinhaus.

Als ich durch die Schwelle trat fielen mir fast die Augen aus dem Kopf. „Hast du die alle gemacht?", fragte ich und starrte ein Graffiti an, eines kleinen Jungen, der salutierte an.

Jake nickte knapp. „Wow, die sind unglaublich. Ich kann nicht fassen wie man sowas missbilligen kann. Das ist mehr Kunst als Picasso oder Da Vinci es je hätten schaffen können." Ehrfürchtig strich über die Silhouette des Jungen.

Ich verstand es so gut.

„Bei Pflegefamilien muss man alles tun, meistens wird man zum Diener. Oder zum Soldat, der alle Befehle widerstandslos auszuführen hat." Jake war plötzlich hinter mich getreten, so nah, dass ich seinen Atem in meinem Nacken spüren konnte.

„Was bedeutet das?", fragte und sah mir den Rosenbusch an. Umso schöner die Rose, desto größer waren ihre Dornen, weshalb ich mir die Bedeutung schon denken konnte, doch ich wollte Jakes persönliche Bedeutung hören.

„Jemand ist in mein Leben getreten, der so schön ist wie eine Rose, aber ich fürchte, die Dornen werden immer größer. Ich habe keine Angst mich zu stechen, doch ich habe Angst davor, dass diese Rose nicht will, dass ich mich steche." Während er sprach, starrte er mir direkt in die Augen. Ich räusperte mich schnell und wandte mich dem nächsten Meisterwerk zu.

Er konnte nicht mich gemeint haben, oder? Es muss jemand anderes gewesen sein, aber bei dem Gedanken, dass ein Mädchen damit gemeint war, spürte ich einen Stich der Eifersucht.

„Hier kannst du dich austoben, ich habe die Schablonen da hinten", erklärte Jake und holte Pappe aus einer Schublade. Dazu einen Bleistift und eine Schere.

Ich nahm ihn etwas in der Größe die ich brauchte ab und schnappte mir einen Bleistift. Und dann, dann fing ich einfach an zu zeichnen, ließ meinen Gefühlen freien Lauf.

*

„Wow." Ich betrachtete mein erstes Graffiti, nachdem Jake dieses Wort so staunend ausgesprochen hatte. Es waren zwei große Augen. Das eine Auge war blau und glänzte verdächtig, das andere war grau und eine strahlend blaue Träne verließ gerade dieses Auge. Die Bedeutung war klar.

„Das hast du zum ersten Mal gemacht, oder?", fragte mich Jake. Ich nickte verwirrt. „Du bist unglaublich, Erin." Ich wurde wahrscheinlich so rot wie eine Tomate, wegen seines Kompliments. Mir hatte noch nie jemand Komplimente über meine Zeichnungen gemacht, außer meiner Kunstlehrerin.

„Du brauchst nicht rot werden", meinte Jake und sah anstatt auf die Augen auf mich. „Auch, wenn du dabei total niedlich aussiehst", fügte er so leise hinzu, dass ich mir nicht sicher sein konnte, ob er das wirklich gesagt hatte.

„Du solltest das als dein Markenzeichen benutzen. Mach mehrere kleinere Schablonen und dann kannst du sie in deinen Graffitis verstecken. Du brauchst noch einen Künstlernamen. Eine Idee?" Wunderkind, schoss es mir durch den Kopf. Natürlich! Keiner würde etwas ahnen und die aus meiner Schule, würden mir so etwas nie zu trauen.

Ich teilte Jake meinen ersten Gedanken mit, der zunächst etwas skeptisch reagierte.

„Glaubst du nicht, dass die aus der Schule etwas ahnen würden?", hakte er nach und ließ sich auf dem abgewetzten Sofa nieder. Ich setzte mich neben ihn und schüttelte den Kopf.

„Die denken ich sei ein reiches, verwöhntes Gör, was nichts Anderes kann, als Geige zu spielen." Seine Kinnlade klappte runter und er starrte mich an, als wäre ich ein Alien.

„Was ist? Hab ich was im Gesicht? Hör auf mich so anzusehen, Jake!"

„D-du hast gerade Geige gesagt", stellte er überflüssigerweise fest.

„Ja und?" Ich war vollends verwirrt. Was war nur mit ihm los?

„Erin Anderson sagt nicht Geige, sie sagt Violine. Also wer bist du und was hast du mit ihr gemacht?" Er grinste bis über beide Ohren, was mich zum Lachen brachte. Warum freute er sich so darüber?

„Hab ich dich etwa so sehr beeinflusst, dass du sogar deine Sprache änderst?", fragte er und begann plötzlich mich zu kitzeln.

„Ja-Jake hör auf!", japste ich zwischen zwei Lachern. Ich kriegte kaum noch Luft und flog fast vom Sofa. Kurz bevor ich allerdings den Boden küsste, fing mich Jake auf. Unsere Nasenspitzen berührten sich fast und sein Atem stieß gegen meine Lippen. Wie immer, wenn ich direkt in seine Augen sah ertrank ich mich in diesem tiefen Ozeanblau, doch diese Art des Ertrinkens gefiel mir.

Wir waren uns so nah, dass ich seine Bartstoppeln sehen konnte. Er roch nach Aftershave, aber hauptsächlich nach sich selbst, etwas Herbes mit einem Hauch von Zitrone.

Sein Griff um meine Hüfte verfestigte und er hob mich so hoch, dass ich unter ihm auf dem Sofa lag. Unsere Körper waren sich nun so nah, dass nichts zwischen uns gepasst hätte.

Ich sah die unausgesprochene Frage in seinen Augen und ohne es zu merken, nickte ich fast unmerklich. Jake strich mir eine meiner Strähnen aus meinem Gesicht und senkte seine Lippen endlich auf meine.

Bevor sie jedoch aufeinandertreffen konnte, klingelte es ohrenbetäubend. Sofort fuhren wir auseinander und ich ging an mein Handy.

„Erin Anderson", sagte ich in den Hörer und bemühte mich, um einen höchst normalen Ton.

„Erin, ich habe gerade erfahren, das heute Abend eine ziemlich wichtige Soiree stattfinden wird. Und übermorgen dann ein Maskenball, dort musst du mit Begleitung auftauchen. Ich würde das ja für dich erledigen, aber jeder der in Frage kommt, hat schon jemanden oder kann nicht kommen. Sorge einfach dafür, dass er uns nicht blamiert und attraktiv ist. Bei der Soiree solltest du alleine auftauchen, dort werden wir kurz vorbeischauen, dann müssen wir weiter nach Mailand. Mary hat die Kleider schon, die restlichen Infos habe ich dir per SMS geschickt. Tschüss, wir sehen uns da." Schon hatte sie aufgelegt. „Hab dich auch lieb, Mom", seufzte ich und las mir die SMS durch, die sie mir geschickt hatte.

18.00 Uhr im Haus der Millers. Toll, ich hatte noch 3 Stunden, also mussten wir sofort zurück.

„Ich muss nachhause. Ich bin doch nicht von allem befreit", seufzte ich.

Die Fahrt zurück verlief schweigend, aber nicht dieses Angenehme sondern dieses „Ich weiß nicht was ich sagen soll"-Schweigen, deshalb drehte ich das Radio laut und starrte aus dem Fenster.

Sobald wir meinem Haus ankamen, oder sollte ich Villa sagen, fiel mir plötzlich eine Frage ein, die ich mir seit unserer ersten Begegnung stellte.

„Was hast du eigentlich damals getan? Bei unserer ersten Begegnung, was hast du in dieser Gegend gesucht?"

„Erinnerst du dich an den Zeitungsartikel über den Hooligan, der hier im Viertel Villen mit Graffitis beschmutzt?" Er grinste mich an und plötzlich war die peinliche Stille vorbei. Es war wieder wie vorher und darüber war ich extrem froh, aber als sein Grinsen in sich zusammenfiel, war ich mir nicht mehr so sicher, ob es jemals wieder so werden könnte wie früher.

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