18.

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~ 18 ~

„Spinnst du jetzt total?" Kyle funkelt mich aus seinen dunklen Augen wütend an. Seine Hand hat er auf die rote Stelle auf seiner Wange gelegt und streicht ungläubig darüber.

„Ich... du lügst!" Mehr bringe ich nicht hervor. Ich bin selbst ein wenig darüber erschrocken, dass ich das getan habe.
Aber das Durcheinander in meinem Kopf hat in mir einfach eine Kurzschlussreaktion hervor gerufen.

„Mit was soll ich denn bitte lügen? Ich war noch nie so ehrlich wie gerade in diesem Moment!"

Ich versuche in seinen Augen so etwas wie Belustigung oder ein Anzeichen für eine Lüge zu erkennen. Er allerdings sieht mir konstant in die Augen. Ihm scheint es wirklich ernst zu sein.

„Wenn du wirklich willst, dass die Leute aufhören Vorurteile dir gegenüber zu haben, dann solltest du erst mal aufhören mit Taten die diese Vorurteile doch nur bestärken!"
Dadurch, dass er nichts antwortet und mich stattdessen fragend mustert, fahre ich fort. Plötzlich ist die schöne Umgebung komplett vergessen. „Wer jeden Abend Partys feiert, sich betrinkt, mit der Schwester seines besten Freundes schläft und dann auch noch was mit seiner eigenen Stiefschwester am laufen hat... Tut mir leid, aber da ist es doch kein Wunder, dass man so über dich denkt und vom schlimmsten ausgeht!"

Er sieht mich einen Moment nachdenklich an, dann schüttelt er den Kopf und schnaubt leise. Ein bitteres Grinsen erscheint auf seinen Lippen. „Du bist eben doch nicht so anders als die anderen."

Ich blinzle. „Was soll das heißen?" Ich weiß nicht wieso, aber diese Aussage trifft mich ganz tief im Inneren. Sehr tief sogar.

„Es heißt das, was ich gesagt habe. Ich bin davon ausgegangen, dass wir beide von vorne anfangen können und den ganzen Scheiß der letzten Wochen vergessen können. Aber Mira..." er lehnt sich weiter zu mir herüber. Unsere Nasenspitzen berühren sich beinahe. „Wenn ich vorher gewusst hätte, wie objektiv du bist und fremden Gerede glaubst, dann..." Kurz hält er inne und sucht in meinen Augen nach irgendetwas. Dann aber schüttelt er wieder den Kopf und lehnt sich wieder zurück. „Ich habe mich einfach schwer in dir getäuscht. Leider."

„Aber", fange ich an, ohne wirklich zu wissen was ich sagen will. Das muss ich aber auch gar nicht wissen, denn Kyle redet schon weiter.

„Sag einfach gar nichts. Ich habe verstanden. Ich bringe dich nach Hause. Und zwar jetzt!"

Er will sich erheben, aber reflexartig greife ich nach seinem Handgelenk. „Setz dich", sage ich und ignoriere die leichten Stromstöße, die diese Berührung auslöst. „Bitte", füge ich hinzu, als er mich nur fragend ansieht. Kurz überlegt er noch, dann aber kommt er meiner Bitte nach. Näher als zuvor sitzt er jetzt vor mir. Unsere Knie berühren sich.

„Ich denke es ist alles gesagt."

„Nein, ist es nicht." Ich hole einmal tief Luft und beginne dann. „Es ist eben nicht so einfach dir zu glauben. Und ja, es kann sein, dass du die Wahrheit sagst, aber wer garantiert mir das? Alles was du mir die Wochen über gezeigt hast und wie du mich behandelt hast... Was soll ich deiner Meinung nach denn anderes tun als dem Gerede zu glauben? Du hast mir mehr schlechte Seiten an dir gezeigt, als überhaupt denkbar."

Stille. Dann nickt er und lässt den Kopf sinken. „Ich bin es eben nicht gewohnt, dass stille und langweilige Mädchen mich faszinieren. Damit muss ich wohl erst mal lernen umzugehen."

Das Bauchkribbeln welches sich nach seinen Worten bei mir breit acht, versuche ich komplett zu ignorieren. Ich fasziniere ihn?

„Nur als kleiner Tipp..." Ich stoße ihn am Knie an, damit er mich wieder ansieht. „Vielleicht wäre es ein guter Anfang, mich weniger als langweilig zu bezeichnen. Denn das bin ich nicht."

„Oh." In seinen Augen blitzt es gefährlich und das gewohnte schiefe, leicht arrogante Grinsen kehrt wieder an seinen Platz zurück. „Da bin ich mir ziemlich sicher."

Plötzlich ändert sich die Atmosphäre zwischen uns.
Irgendetwas liegt in der Luft, was ziemlich auf der Haut prickelt. Als Kyle mir weiter in die Augen sieht und er beginnt auf seiner Unterlippe zu beißen, werde ich nervös.
Es gefällt mir, wie Kyle mich ansieht. Auch wenn es das nicht sollte. Aber er ist so undurchschaubar und dieses Geheimnisvolle zieht mich einfach mehr und mehr in seinen Bann.

Ein schriller Ton reißt mich aus meiner Erstarrung und bevor ich überhaupt richtig realisieren kann, was diesen Ton verursacht, springt Kyle auf und zieht sein Handy aus der Tasche.

„Da muss ich ran gehen", entschuldigt er sich nach einem Blick auf's Display und entfernt sich einige Schritte. Trotzdem kann ich noch hören, wie er Natalie's Namen sagt.
Sein Schoßhündchen also.

Warum muss er da überhaupt ran gehen? Wenn ich doch anders über ihn denken soll, warum gibt er mir dann überhaupt einen Anlass dazu, angeblich falsch zu denken? Und warum initeressiere ich mich überhaupt dafür?!

Ich schüttle den Kopf über mich selbst und widme mich wieder dieser wundervollen Umgebung. Wie sich das Sonnenlicht in den Wassermassen des Wasserfalls bricht, hat etwas unendlich magisches an sich.

Nachdem ich weitere 5 Minuten alleine verbracht habe, drehe ich mich wieder zu Kyle. Er ist noch immer im Gespräch, mir aber bereits wieder einige Schritte näher gekommen.

Dann bis heute Abend", kann ich gerade noch verstehen, ehe er auflegt.

„Ein Date?", frage ich provokant, als er sich wieder zu mir setzt.

„Nicht so wichtig", winkt er ab. „Gefällt es dir hier genauso gut wie mir?"

Aha, da will jemand also nicht über gewissen Dinge sprechen. Es hätte mir klar sein müssen.

***

Gegen 18 Uhr setzt mich Kyle dann schließlich wieder am Wohnheim ab. Mit einem „Schönen Abend noch" verabschiede ich mich und knalle die Tür hinter mir zu, ohne auf eine Antwort zu warten. Ich bin unglaublich sauer..


***

Kyle.



Ihre Haare kratzen unangenehm an meinem Hals, als sie ihren Kopf auf meine Schulter legt. Genervt drehe ich mich so, dass sie von mir herunter rutscht und ich wieder atmen kann. Sie quittiert das mit einem Brummen, rollt sich danach aber zum Glück in Richtung weg von mir.

Ich fahre mir einmal durch's Gesicht, dann schnappe ich mir meine Klamotten vom Boden und verschwinde ins Bad. Natürlich befinde ich mich nicht in meinem Zimmer mit ihr. Niemals würde ich so etwas tun.
Eigentlich hatte ich mir und Natalie auch abgeschworen. Aber wenn sie dann schon halb nackt vor mir steht und darum bettelt, kann ich als Mann wohl schlecht ablehnen.
Auch wenn ich weiß, dass sie billig ist. Ich meine, wer lauert einem schon nur in Unterwäsche bekleidet im Flur auf, wenn die Person gerade auf die Toilette gehen will.

Aber so hat die Party hier für mich schon einmal ihren Höhepunkt erreicht.

„Hey, Mann! Wo warst du denn?", ruft Matt, als ich mich wieder zu den anderen begebe. Die Party ist im vollen Gange und plötzlich frage ich mich, wie lange ich denn weg war.

Clara liegt zusammengekauert auf dem Sofa, Isaac dicht hinter ihr. Und auch Matt hat das ein oder andere Glas zu viel, eindeutig.

„Ich wette du hast es wieder meiner Schwester besorgt."

Ich zucke gelangweilt mit den Schultern. „Sag Natalie das nächste Mal einfach, sie soll nicht nackt im Flur stehen."

Er sagt nichts dazu, schüttelt einfach den Kopf.

Dabei sollte man nicht schlecht über Matt denken. Er war immer der tolle, nette Bruder, den sich jedes Mädchen wohl wünschen würde.
Anfangs ist er auch ziemlich wütend geworden, als er von mir und Natalie erfahren hatte. Aber unsere Freundschaft ist einfach viel zu gefestigt und zu langwierig, als dass sich irgendjemand dazwischen drängen konnte.
Außerdem hat er mit der Zeit auch bemerkt, dass bei Natalie wirklich jegliche Hoffnung verloren ist.
Man kann sie nicht davon abbringen rumzuhuren.

Nach weiteren zwanzig Minuten geht mir die Party hier wirklich auf den Geist.
Eigentlich ist es immer das selbe. Die Leute betrinken sich, vögeln und haben am nächsten Tag wieder alles vergessen.
Das ist so ziemlich das dümmste was man tun kann. Abgesehen vom vögeln natürlich.

Ich schließe die Augen kurz, um diese einen ganz gewissen Gedankengänge loszuwerden, die immer in meinem Kopf herumspuken, wenn ich an den verdammten Alkohol denke.
Dann verabschiede ich mich von Matt und den anderen noch halbwegs zurechnungsfähigen und verschwinde in meinem Zimmer.

Stöhnend lasse ich mich im Zimmer mit dem Rücken gegen die Tür fallen und stoße mir dabei schmerzhaft den Kopf.

„Kyle?", kommt es plötzlich schüchtern aus einer dunklen Ecke.

Mein Herz setzt beim Klang dieser Stimmer einen Moment aus, nur um dann in Rekordgeschwidndgkeit weiter zu rasen. 

HOLD ME TIGHT - abgeschlossenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt