Kapitel 6

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„Wollen Sie noch Erdnüsse?“

Die Stimme riss mich recht unsanft aus meinen Gedanken, bzw. unterbrach mich in meiner Liebelinksbeschäftigung: Den Flyer mit den Sicherheitsanweisungen vor mir im Sitz anstarren.

„Waaaaas?“ Erschrocken blickte ich auf und zuckte dabei so zusammen, dass ich meinem Nebensitzer fast seinen Ipot aus der Hand geschlagen hätte. Verwirrt starrte ich die Flugbegleiterin an, als habe sie ein Footballmaskottchenkostüm an und kein vorteilhaft geschnittenes Kostüm in marineblau.

„Man Eve pass doch auf!“, fauchte Raffael neben mir und fummelte an den komplett verdrehten Kabeln seiner Kopfhörer herum, die ich ihm aus dem Ohr gerissen hatte.

„Sorry man…“, giftete ich zurück und verscheuchte die nette Frau mit einem bösen Blick. Sollte sie ihre Erdnüsse doch jemand anders andrehen. Ich kannte diese kleinen verflixten Dinger. Erst schmeckten sie gut und nach der dritten wurde einem so schlecht, dass die gelbe Papiertüte mit dem Smily heran gezogen werden musste. Nein danke! Flugangst hatte ich zum Glück nicht und ich würde sicher keinen anderen Grund suchen um mir mein Frühstück noch einmal durch den Kopf gehen zu lassen.

Allerdings waren weder die Erdnüsse, noch Raffael an meiner permanent sinkenden Laune schuld. Gut, Raffael vielleicht ein bisschen, weil sich auf seinem hübschen Gesicht in den letzten Stunden unseres Flug langsam aber sich ein Dauergrinsen eingestellt hatte. Er freute sich Adrian wieder zu treffen, denn die beiden hatten sich scheinbar blendend über einer Tasse Kaffee unterhalten, während ich damals noch geschlafen hatte.

Aber grundsätzlich war unsere baldige Ankunft in Tokio, oder besser gesagt, die komplette Reise der Grund für meine Verstimmtheit. Irgendwo über dem Ozean hatte meine eisige Maske der Ausgeglichenheit den Geist aufgegeben und nun kochte ein sehr unbefriedigter Hormonhaushalt in meinem Innern. Ich fühlte mich wie eine tickende Bombe, deren Zünder ich verloren hatte. Jederzeit bereit hochzugehen und alles mitzureißen, was nicht feuerfest war. Daran hatten auch die 4 Stunden Schlaf während des Fluges nichts geändert.

„Entspann dich mal Süße. Freust du dich nicht aus Konzert?“ Raffael beute sich zu mir hinüber und klaute mir einen der Doppel-chocolate-cockies aus der Schachtel von meinem Schoß. Im Grunde genommen hatte ich sie wegen ihm gekauft, doch er aß noch immer wie ein Vögelchen. Ich hatte wirklich noch keinen Kerl, schwul hin oder her, so dämlich essen sehen. Wie konnte man für einen Keks, der nicht Mal einen Durchmesser von 5 Zentimeter hatte, fast eine Viertelstunde brauchen? Das sollte echt verboten werden. Mehr von dem Keks landete in Bröselform auf seinem Schoß, als in seinem Mund.

Und ob ich mich auf das Konzert freute? Nein…alleine beim Gedanken daran wurde mir schlecht. Ich würde Adrian wieder sehen und dabei in einer Menge von wild kreischenden Weibern stehen, die ihm alle an die Wäsche wollten. Diesen Punkt hatte ich schon längst hinter mir gelassen und trotzdem hatte ich die Vorahnung, dass mir das ganze keine Freunde in seiner Fangemeinde einbringen würde. Für viele von denen war Adrian ein Halbgott. Ich wusste, er war nichts weiter als ein verwöhnter, reicher Vollidiot, der nichts Besseres mit sich anzufangen wusste.

Entsprechend sank meine Laune auf einen neuen Tiefpunkt, als Raffael das Konzert erwähnte. Vielleicht hätte ich ihn alle gehen lassen sollen. Er freute sich doch offensichtlich darauf Adrian wieder zu sehen. Er hätte genauso gut das Päckchen alleine abliefern können, während ich meinen VIP-Pass auf Ebay versteigerte und davon die Miete bezahlte. Aber wie immer kam die Weisheit ein paar Stunden zu spät. Dummes Weib…am liebsten hätte ich meinen Kopf gegen den hochgeklappten Tisch am Vordersitz geknallt, doch in diesem Moment kam die Flugbegleiterin zurück um uns zu informieren, dass wir mit dem Landeanflug beginnen würde. Das hieß für uns, Sitze senkrecht stellen und brav anschnallen.

Raffael begann neben mir herum zu zappeln vor lauter Aufregung und ich stopfte ihm einfach einen weiteren Keks in den Mund. Sein protestierendes Gemurmel ignorierte ich gekonnt, hatte ja jahrelange Übung und starrte stattdessen aus dem Fenster, während mein Mitbewohner sich mit der, für ihn, kaum schaffbaren Aufgabe beschäftigte, einen ganzen Keks zu essen.

Unter uns konnte ich die hell erleuchtete Hauptstadt Japans sehen. Wenn ich gedacht hatte, dass München große war…dann war das hier ein Universum für sich alleine. Überall Blinkte, leuchtete und strahlte es zu uns hinauf, wie ein überdimensionales Raumschiff auf Starwars. Ich war noch nie in Japan gewesen und plötzlich fiel mir ein, dass ich nicht mit Stäbchen essen konnte. Ob das wohl ein Problem war? Andererseits, hatte ich so viele andere Probleme, dass mein Stäbchenproblem wie eine billige Version der anderen wirkte.

In diesem Moment machte unser Flugzeug einen kleinen Hopser und sank ein paar Meter ab. Raffael verschluckte sich prompt an den trockenen Krümeln in seinem Mund und begann keuchend zu husten, bis ich mich seiner erbarmte und ihm auf den Rücken schlug.

„Was kannst du eigentlich? Nicht Mal einen Keks bekommst du runter…Vielleicht hätten wir doch Alex mitnehmen sollen…ich bin mir sicher, dass der glücklicher darüber wäre dich mit Keksen zu füttern und dein körperlichen Funktionen aufrecht zu erhalten, als ich.“

Fast hätte sich Raffael erneut verschluckt, aber diesmal vor Lachen. „Oh ja, da bin ich mir ganz sicher. Weist du Alex ist so liebevoll…nicht so wie du…du kleines verbittertes Ding.“

„Ich bin nicht verbittert!“, entgegnete ich verbissen und vermied es ihn anzublicken. Ich wollte lieber nicht darüber nachdenken, was Raffa mit seinem Freund so trieb. Das würde mir wohl nur die Schamesröte ins Gesicht treiben. Ich war zwar ein äußerst aufgeschlossener Mensch, aber alles zu wissen brauchte ich auch nicht. Allerdings hatte es sich Raffael scheinbar zum Tagesziel gemacht mich um den Verstand zu bringen.

„Ach Liebes…schau dich doch Mal an…du stehst auf diesen süßen kleinen Sänger und bist doch nur eifersüchtig, dass ich ihn dir wegschnappen könnte.“ Wieder lachte er und ich sah in seinen Augen, dass er es nicht erst meinte. Zumindest den einen teil wohl nicht. Dachte er wirklich, dass ich in Adrian verschossen war? Das war grobe Dummheit.

„Ich weiß genau, was ihr beide da an dem Abend getrieben habt. Wahr wohl kaum zu überhören und ich muss sagen…Geschmack hast du wirklich…wenn ich keinen Freund hätte…“, er seufzte gespielt theatralisch. In diesem Punkt allerdings musste ich mir nun mal keine Sorgen machen. Raffael liebte Alexander so sehr, dass er wegen ihm sogar seine Diät aufgegeben hatte. Zudem war ich mir relativ sicher, dass Adrian nicht vom anderen Ufer war.

„Du kleiner Spanner…“, fauchte ich, doch meine Stimme klang nicht mehr so ernst wie zuvor. So war Raffa eben, schaffte es immer mich aufzumuntern, egal was vorgefallen war. Und eigentlich hatte er wirklich recht. Ich war in Tokio, hatte dafür keinen Cent gezahlt. Warum es also nicht genießen? Niemand zwang mich dazu, mehr Zeit als nötig mit Adrian zu verbringen.   

Babysitting war Gestern...Starsitting ist heute!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt