Kapitel 9

1.4K 45 20
                                    




DEAN

9  Tage nach dem Amoklauf

"Nein! Lass mich los...Bitte nicht!" Ich werde von Maya's lauten Schreien aus dem Schlaf gerissen. Hektisch zappelt sie hin und her dabei sind ihre Augen fest zusammengepresst. Der dritte Alptraum diese Nacht.

"Hey, Hey, Maya ich bins! Wach auf, Schatz!" Ich versuche nach ihren Armen zu greifen aber sie wehrt sich dagegen und schlägt auf mich ein. Einzelne Haarsträhnen kleben an ihrer Stirn, sie glüht förmlich.
"Lass mich los du Monster!", raunt sie und schüttelt ihren Kopf hin und her. Es ist jedes Mal aufs Neue unerträglich sie so zu sehen.
Ich setze mich auf sie drauf und greife mir ihr Gesicht.
"Ich bin es, DEAN!" Mit meinem Daumen streiche ich ihr die Tränen weg. Schlagartig öffnet sie ihre Augen und starrt in meine. Ihre Brust hebt und senkt sich heftig.
"Dean. Du bist es.", murmelt sie keuchend und schluckt. "Ja" Ich schließe meine Augen als sie vorsichtig an meinem Verband entlang streichelt. "Hast du die Schmerztablette eingenommen?" "Ja, natürlich.", lüge ich, weil ich nicht will, dass sie sich unnötig aufregt.
"Gut." Sie nickt abwesend. Langsam gehe ich von ihr herunter und schaue auf die Uhr. Es ist 02:47 Uhr.
Anschließend laufe ich zu ihrer Seite des Bettes und hebe sie hoch. Ihr gesamter Körper ist nass. Kraftlos schmiegt sie sich an mich, während ich sie ins Badezimmer trage. "Du sollst doch nicht schwer heben." Ich habe diesen verurteilenden Blick von ihr vermisst, denn in letzter Zeit sah ich nur die Trauer in ihren Augen. "Dein Fliegengewicht macht mir nichts aus.", erkläre ich und stelle sie auf die Beine. Als ich mich vor ihr hinknie, um ihre Unterhose abzustreifen, bemerke ich wie dünn sie geworden ist. Ihre Hüftknochen stechen regelrecht heraus.
"Du musst mehr essen, Maya!", sage ich gröber als beabsichtigt. Ich mache mir einfach solche Sorgen um sie. Ihr Anblick lässt jedes Mal ein Teil von mir sterben. Sie antwortet mir nicht. Stattdessen beugt sie sich zu mir hervor und haucht einen sanften Kuss auf meine linke Schulter. Die Schusswunde wird sie für immer an diese Katastrophe erinnern. Schließlich gleiten meine Hände unter ihr durchgeschwitztes T-Shirt, sie hebt ohne, dass ich sie dazu auffordern muss, ihre Arme hoch. Also ziehe ich ihr das Shirt aus und unerwartet sticht ein grässlicher Schmerz durch meine Verletzungen. Ich verziehe mein Gesicht. "Fuck!", zische ich und greife mir an die Wunde. Ich muss dringend das Verband wechseln. Maya, zuckt bei meinem plötzlichem Wutausbruch zusammen.
"Du hast keine Schmerztablette genommen, hab ich recht?" Audruckslos stellt sie mir diese Frage und kennt die Antwort dabei. Nackt, niedergeschlagen und mit zittrigem Leib steht sie vor mir. Meine einst so fröhliche und unbeschwerte, Maya ist nun verloren. Ich bete zu allen Göttern dieses Planeten, dass sie eines Tages wieder zu sich findet... Ich beantworte ihre Frage nicht. Stattdessen führe ich sie zu der Badewanne. Maya, hakt nicht weiter nach und steigt behutsam in die Wanne. Ich halte sie am Arm fest, damit sie nicht ausrutscht.
Sie sitzt nun mit umklammerten Knie und gesenktem Kopf drinne, ich lasse warmes Wasser einlaufen und seife sie mit dem Schwamm ein. Mit kreisenden Bewegungen fahre ich ihr über den Rücken, ihre Wirbelsäure sticht ebenfalls doll heraus. Sie muss unbedingt zu nehmen. Schweigsam lässt sie mich machen. Sorgfältig verteile ich den Schaum auf ihrem gesamten Körper . Doch als ich an ihren Bauch entlang wische, entdecke ich diesen grausamen blauen Fleck, der mittlerweile ein Wenig verblasst ist. Maya bemerkt, dass ich kurz aufgehört habe und ihr Körper beginnt plötzlich zu beben. Auf und Ab. Immer wieder.
"Morgen ist die Beerdigung!", heult sie laut. Ihre Stimme bricht und hört sich rau an. Es zerfetzt mir das Herz sie so zu sehen. Sie dreht sich zu mir. Ihre Augen blutunterlaufen. Dann klammert sich an meinem Hals fest und verteilt somit den Schaum auf meinem Oberkörper. Schluchzend schreit sie ihr Leid immerzu heraus. Sofort steige ich zu ihr in die Wanne und ziehe sie so fest ich kann, an mich heran. "Du darfst mich nicht verlassen, Dean!", ruft sie verzweifelt und vergräbt ihren Kopf in meinem Hals. Das Wasser sickert auf uns herab und ich bemerke, das es schon fast überläuft. Schnell drehe ich den Hahn zu und nehme dann Maya's Gesicht in meine Hände. "Ich werde dich nicht verlassen. Niemals.", schwöre ich, während ich ihr tief in die Augen blicke. Unerwartet presst sie ihre Lippen voller Drang auf meine. Es fühlt sich gut aber irgendwie auch falsch an. Denn sie ist am Boden zerstört, sie kann nicht klar denken. Ich muss mich beherrschen und sie aufhalten.
"Hey, hey. Maya...Hör auf." Ich schnappe mir ihre Hand. Verständnislos runzelt sie ihre Stirn.
"Du bist aufgebracht. Es ist eine schreckliche Situation und wir sollten das jetzt nicht tun...Nicht so." Ich versuche die richtigen Worte zu finden. Wütend entzieht sie mir ihre Hand und steigt schnell aus der Badewanne. Mir ist es nicht gelungen sie aufzuhalten.

"Fass mich nicht an!", keucht sie aufgeregt und läuft davon, dabei hinterlässt sie Wasserflecken auf dem gesamten Boden. Zügig renne ich ihr hinter her und folge den Wasserspuren.
Sie schmeißt sich aufs Bett und zieht sich die Decke über den Kopf. Sie weint und weint und weint und hört einfach nicht mehr auf. Jedes Mal wenn sie ihren Kummer heraus schreit versetzt es mir einen Schlag in den Magen. Ich stehe an der Tür, beobachte meine gebrochene Maya und weiß einfach nicht weiter...

MAYA

14 Tage nach dem Amoklauf

Es ist kalt. So verdammt kalt. Der eisige Wind peitscht mir ins Gesicht. Ich ziehe mir die Kapuze meiner Jacke über, während ich vor der Haustür von Jolina stehe und darauf warte, dass mir jemand aufmacht. Es ist schon am späten Nachmittag und bereits dunkel. Paranoid drehe ich mich alle paar Sekunden um und überprüfe, ob nicht wieder ein bewaffneter Psychopath hinter mir her ist.
Endlich macht mir jemand die Tür auf.
"Hallo Liebes." Jolina's Mutter begrüßt mich herzlich und nimmt mich in den Arm. Sie hält mich länger fest als sonst. "Hallo Christina." Ich zwinge mich zu einem Lächeln. Sie guckt mich voller Mitleid an. Jeder blickt mich seit dem traumatischen Erlebnis auf diese Weise an. Sie nimmt mir die Jacke ab und hängt sie an einen Bügel. Auch sie wirkt verändert. Traurig und müde. Die sonst so quirlige Christina hat ihre Freude verloren. Kein Wunder wenn das einzige Kind so etwas grauenhaftes durchmachen muss.

"Sie ist in ihrem Zimmer." Ohne danach gefragt zu haben, liefert sie mir die Antwort, die ich brauche. Ich nicke. "Redet sie immer noch nicht?", frage ich mit besorgtem Ton. Christina wischt sich eine Träne weg. "Nein, nur mit dir."
"Sie braucht Zeit.", tröste ich sie und streiche ihr sanft über den Arm. Anschließend steige ich die Treppen hoch und klopfe an Jo's Zimmertür. Ich komme heute schon zum zweitem Mal her. Morgens als ihre Mutter sie nicht zum duschen bringen konnte, rief sie mich verzweifelt an, um ihr zu helfen. Und vorhin schrieb mir Jolina eine Nachricht in der stand: komm her. Also habe ich mich sofort angezogen und bin rübergelaufen. Meine Eltern hatten mir angeboten mich bis zu Jolina zu begleiten aber das fand ich lächerlich, weil wir quasi Nachbarn sind. Sie sind eben besorgt, was ich andererseits auch nachvollziehen kann.
"Hey Jo, ich bin es.", rede ich ganz nah an die Tür gelehnt. Keine Reaktion. Also warte ich nicht mehr lange und gehe einfach rein.
Sie liegt da. Auf dem Boden. Ihr Blick starr an die Decke gerichtet. Sie trägt immer noch den Hello Kitty- Pyjama, den ich ihr heute Morgen angezogen habe.
Sie sieht mich nicht einmal an. Sie liegt da, wie eine Tote. Na ja ihre Augen sind geöffnet.
"Was machst du da?" Ich stelle mich vor ihr hin und sehe auf sie herab. Es tut weh, sie so zu sehen. So viel Leid und Trauer kann ein Mensch ohne die ganzen Pillen, die uns, unsere Ärzte verschrieben haben, doch gar nicht ertragen.
"Ich warte.", sagt sie monoton und sieht mich endlich an.
"Worauf?", frage ich mit gerunzelter Stirn.
"Darauf, dass etwas gutes passiert." Sie schließt erschöpft ihre Augen und atmet schwer aus. Erstmal, weiß ich nicht genau was ich tun oder sagen soll. Doch dann beschließe ich, mich zu ihr zu legen. "Ich warte mit dir!", sage ich liebevoll und nehme ihre Hand.
Nun liegen wir schweigend nebeneinander in ihrem Zimmer auf ihrem flauschigem Teppich und warten darauf, dass etwas gutes passiert.
Plötzlich vibriert das Handy in meiner Hosentasche. Ohne es zu überprüfen, weiß ich sofort wer das ist.
"Dean, hm?, fragt Jolina und starrt immer noch an die Decke. "Du kannst ihm ruhig antworten." Ich hole langsam mein Handy aus der Hosentasche. "Ich meine er lebt wenigstens noch.", fügt sie mit einem Hauch von Sarkasmus hinzu und grinst. Es macht mir Angst, weil ich sie in diesem Moment nicht durchschauen kann. Der Satz tat weh und verärgerte mich ein bisschen.
Ich lese seine Nachricht.
17:13 Diana: Essen nicht vergessen! Reimt sich sogar... Er hat noch viele Essens- Emojis der Nachricht beigefügt. Seine blöden Erinnerungs- SMS nerven mich allmählich aber er meint es ja nur gut und dafür liebe ich ihn. Erstmal schicke ich ihm keine Antwort, weil ich jetzt ganz für meine im wahrsten Sinne des Wortes- am Boden zerstörten Besten Freundin da sein will. Also schalte ich mein Handy aus.
"Deine Mutter ist sehr verzweifelt, weil du nicht mit ihr redest. Na ja, du redest mit keinem." Ich sehe sie erwartungsvoll an.
Sie verdreht ihre Augen. "Wenn du das Thema noch einmal ansprichst, werde ich auch aufhören mit dir zu reden.", warnt sie mich verärgert. Ich nicke schwach und gebe mich mit ihrer Antwort zufrieden. Sie braucht Zeit. Wir brauchen alle Zeit, um zu heilen, denn vergessen, werden wir die ganze Misere niemals. Es hat uns verändert.
Wir bleiben für eine lange Weile so liegen...

Love Lesson (Band 2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt