Kapitel 4

1.5K 60 16
                                    

DEAN

Tanya beobachtet uns misstrauisch. Ich kann Mesuts Angst förmlich spüren. Sein Herzschlag ist rasend und ich bin ihm für seine Hilfe mehr als dankbar. Er ist ein guter Junge. Ich will doch nur, Maya finden und sie bei mir haben. Ihr sagen, dass ich sie liebe. Sie retten.

"Was habt ihr vor?", fragt uns Tanya mit erschrockenem Gesichtsausdruck. Ich habe so leise wie möglich gesprochen, sie kann unmöglich gehört haben, was ich Mesut zugeflüstert habe.
Ihre Hand liegt fest auf seiner Schulter. Er schluckt schwermütig und nickt mir folgend zu. Das deute ich mal als ein. "Lass uns das jetzt durchziehen!"
"Tanya, alles wird gut. Euch wird nichts passieren." Ich greife mir ihre zitternde Hand und versuche sie mit meinem entschlossenem Blick zu beruhigen. Doch ihr Blick ist eisig. Sie verzieht keine Miene. Jede Sekunde zählt, wir dürfen nicht noch mehr Zeit vergeuden. Also setze ich mich in Bewegung und krieche so schnell wie möglich zur Tür. Das Getuschel meiner Schüler wird lauter, ängstlicher, sie wissen nicht, was ich vorhabe.
Mesut ist dicht hinter mir. Er atmet hastig. "Wollen sie das wirklich tun?", stottert er und packt sich dabei meine Schulter. Ich drehe mich kurz zu ihm um und nicke. Er schließt seine Augen, um sich noch einmal zu sammeln. Die Mädels weinen, schluchzen und können nicht begreifen, was ihr Lehrer vor hat. "Mr. Winchester was soll der Scheiß? Sie können da jetzt nicht raus?", ruft Patrick hysterisch. Er fährt sich aufgebracht durch die Haare. Auch die Anderen reden immer wieder auf mich ein, flehen mich an, das nicht zu tun.
"Maya, sie ist noch da draußen. Sie wollte doch nur auf die Toilette. Bitte finden sie, sie." Melissa, eine Freundin von Maya, wendet sich mir zu. "Bitte, suchen sie, Maya!", fügt sie heulend hinzu und senkt ihren Blick. "Das werde ich.", versichere ich ihr und atme noch einmal tief aus. Wenn meine Schüler nur wüssten, was mir Maya bedeutet. Sie ist meine Hoffnung, mein Glück. Mein Leben. Ich greife in meine Hosentasche und krame den Schlüssel heraus.

MAYA

Bitte, geh einfach, geh, geh geh einfach weg. Ich höre Schritte, bedrohliche Schritte. Er kommt immer Näher und als ich das begreife kriecht mir das Herz bis in den Hals. Er steht genau vor meiner Tür. Sie ist nicht abgeschlossen. Bewusst habe ich die Tür nicht veriegelt. Damit ihm die rote Makierung nicht verrät, dass sich jemand hinter der Tür versteckt. Ich bete zu allen Göttern dieser Welt, dass er einfach geht. Dieser grausame Augenblick scheint endlos. Mit fest zugepressenten Augen rühre ich mich keinen Zentimeter.

"Hallo? Ist hier jemand?", singt diese unbekannte Stimme. An seinem höhnischen Ton kann man erkennen, dass er genau weiß, dass sich jemand hinter der Tür befindet.
Er lacht. Es ist ein lautes, angseinflößendes Lachen.

Wir schweigen. Auch wenn ich wollte, wäre ich nicht in der Lage etwas zu sagen. Meine Kehle ist wie zugeschnürt. Ich schlucke und es schmerzt.
"Es macht keinen Sinn, jetzt verstecken zu spielen!" Er klopft mit beiden Händen melodisch an meine Tür. Ich bin erleichtert, dass er noch nicht darauf gekommen ist, dass sich neben an meine beste Freundin ebenfalls versteckt.
"Wenn du mich für dumm verkaufst, sinkt deine Überlebenschance!", warnt er mich mit ernstem Ton. Mein Kopf pocht und droht zu zerplatzten. In diesem Moment realisiere ich, wer hier gerade zu mir spricht. Entsetzt reiße ich den Mund auf. Nein. Ich muss mich irren, das darf nicht war sein. Diese raue Stimme. Man hört sie nicht oft. Diese Stimme redet nicht viel. Eigentlich kaum. Aber ich kenne diese Stimme.

Plötzlich haut er mit voller Wucht gegen meine Tür. Das rüttelnde Geräusch lässt mich aufschreien. Ich kann es nicht kontrollieren. Es ist aussichtslos. Ich sitze in der Falle.

"Ja, ja! Ich, ich bin hier.", schluchze ich. Mir bleibt die Luft weg. Mit Mühe versuche ich zu atmen.
Aus Kraftlosigkeit stütze ich meinen Kopf an der verdreckten Wand ab.
Er schweigt. Zu lange. Keine Antwort. Panik steigt in mir auf. Was hat er vor? Er ist noch da. Plötzlich fallen mir seine Turnschuhe auf, die ich durch den Türschlitz sehen kann. Als ich sie erkenne, überfällt mich eine grausame Gänsehaut. Diese zerlaufenen Turnschuhe gehören, Benny. Dem traurigen, gedemütigten, Benny. Meine Befürchtung bewahrheitet sich. Er will Rache.
"Benny?" Meine bebende Stimme bereitet mir eine Angst. Die Ungewissheit, ob ich hier wieder lebend raus komme, frisst mich bei lebendigem Leib.
"Maya.", flüstert er ausdruckslos. Sofort suche ich in meinem zermatschten Gehirn nach einer negativen Situation, die ich und Benny gehabt haben könnten. Dafür würde ich auf der Stelle auf die Knie sinken und um Vergebung betteln. Jedoch fällt mir rein gar nichts ein. Die Erkenntnis sollte mich erleichtern, tut sie aber nicht. Er hat drei Menschenleben auf dem Gewissen. Vielleicht sogar mehr.
"Öffne die Tür!" Ich sollte ihm einfach gehorchen und bei seinen Psychospielen mitmachen. Wie kann ich, Jolina vor ihm bewahren? Er darf nicht darauf kommen, dass sie auch hier ist. Er ist der Amokläufer. Mit jeder grausamen Sekunde wird mir das bewusster.

"Benny, ich werde die Tür öffnen aber, bitte tu mir nichts. Bitte.", flehe ich unter Tränen. Hysterisch greife ich mir in die Haare. Diese Dunkelheit soll endlich vergehen. Meine Hand liegt auf der Türklinke. Sie zittert, wie verrückt.

"Maya, verdammt. Mach die verfluchte Tür jetzt auf!", zischt er und haut ein zweites Mal mit voller Wucht gegen meine Tür. Jolina, sie kann mir nicht helfen und muss sich diese Grausamkeit auch noch anhören.

"Ich mach, ja schon auf. Ich mach ja schon.", versichere ich ihm panisch. Hastig öffne ich die Tür.
Sein Anblick raubt mir die Hoffnung. Jeden einzelnen Funken. Er steht vor mir, bewaffnet mit einer Pistole. Seine Miene, leblos. Seine Augen rot. Gefährlich, wie Feuer. Er trägt wie immer seinen schwarzen Kapuzenpulli. Die Kapuze hat er sich über den Kopf gezogen. Wahrscheinlich, um sich zu tarnen.
Meine Knie prickeln. Ich schlage mir unkontrolliert die Hand vor den Mund, weil ich Blut auf seinen Händen entdecke. Wessen Blut das ist, will ich gar nicht wissen. Auf einmal fange ich an zu würgen und kauere plötzlich in mir zusammen. Ich sinke auf meine Knie. Das Würgen hört nicht auf, doch es kommt nichts heraus. Nichts.

"Scheiße Maya, schau dich an. Du siehst furchtbar aus!" Mitleidig kniet er sich vor mich hin. Diese traurigen Augen bereiten mir ein Herzrasen. Ich schaue weg und halte mich an der Wand fest.
Die Klobürste, meine lächerliche Waffe lasse ich fallen. Er lacht. Laut. Vergnügt, lacht er mich aus. "Was wolltest du denn damit anfangen?" Er zeigt amüsiert auf die neben mir liegenden Klobürste.
"Was mache ich jetzt nur mit dir?" Er stellt die Frage nicht mir, sondern sich selbst. Nachdenklich greift er sich ans Kinn. Die Waffe hat er hinter seinem Rücken versteckt. Seine dreckigen Finger streicheln nun meine brennende Wange. Er ekelt mich an. Sofort könnte ich wieder los würgen. Er stinkt. Nach Zigaretten, Schweiß und Blut.

"Eigentlich wollte ich nicht so viele Menschen killen, weißt du?" Er schaut zu Boden.

Mit seiner Linken Hand haut er sich unerwartet auf den Kopf. Ich erschrecke und zucke zusammen. Dieser Mensch ist durcheinander, verletzt, ein Mörder.
"Ich weiß, Benny. Du wolltest das nicht. Ganz bestimmt nicht." Mit aller Mühe zwinge ich mich dazu verständnisvoll zu klingen. Vertrauensvoll lege ich ihm meine Hand auf die Schulter. Er schaut schockiert zu mir auf, was mir einen Stich in den Bauch versetzt.
Mit geweiteten Augen starre ich in seine leeren Augen. Mit gerunzelter Stirn mustert er mich. "Also, hasst du mich nicht?" Das blau seiner Augen bohrt sich in meine. Ich schüttle den Kopf. "Nein. Du bist verletzt. Du willst Gerechtigkeit.", sage ich und in diesem Moment kullert mir eine Träne die Wange herunter. Meine Lippen zittern. "Du fühlst dich alleine. Alleine mit all den Teufeln mit denen du zu kämpfen hast. Du versuchst nur zu überleben. Ich verstehe das." Mein Gehirn kann nicht länger kontrollieren, was ich sage. Ich hoffe nur, dass es hilft.

"Ich will das zerstören, was mich zerstört hat!", raunt er zwischen zusammengebissenen Zähnen. Dieser Zorn, den er durchlebt, steigt bis ins unerlässliche. Seine Seele ist tot. Er wird nicht vergeben können. Leider wird er keinem von uns vergeben können.

Love Lesson (Band 2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt