Kapitel 05.3

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Die Unterhaltung von Malia und Thomas brach augenblicklich ab, als eine ältere Frau mit einem grauen Messi-Dutt, einer hellblauen Bluse und einen langen rot-gelben Rock. Dazu trug sie noch tonnenweise Schmuck und dadurch war ihr Erscheinungsbild alles andere als gewöhnlich.
Sie trat nach Vorne und stellte sich mit ruhiger, melodischen Stimme vor: ,,Mein Name ist Professor Alicia Starlight und ich werde euch im Themenbereich der Visionen lehren. Ein sehr faszinierendes Fach und ich hoffe ihr mögt es genau so sehr wie ich das tue."
Sie sah jedem der Schüler mit ihren großen grauen Augen eindringlich an.
,,Was wisst ihr denn schon über Visionen?", fragte sie den Kurs. ,,Welche Methoden kennt ihr?"
Mehrere Hände hoben sich und Starlight rief ein Mädchen mit erdbeerblonden Haar und einem vollen Schmollmund auf: ,,Montgomery? Irina Montgomery, nicht wahr?"
,,Ja, richtig.", lächelte sie. ,,Man kann mithilfe einer Kugel die Zukunft vorhersagen."
,,Das ist richtig, aber nicht nur die Zukunft. Die meisten Methoden können viel mehr, als nur helfen die Zukunft sehen. Auch die Vergangenheit und manchmal die Gegenwart. Die, bei den Menschen sogenannten, Hexenkugel besteht aus Mondstein, geschmiedet bei Vollmond mit den drei Elementen mit denen wir Merliner beschenkt.", spezifizierte Starlight. ,,Kennt jemand noch etwas anderes?"
Es meldeten sich noch zwei Schüler: eine zierliche rothaarige mit vielen Sommersprossen und Thomas neben ihr.
,,Wie war noch gleich dein Name, Schätzen?", fragte Starlight und sah die Rothaarige an: ,,Singer. Allison Singer."
,,Okay, Miss Singer, was kennen sie noch?"
,,Hand- und Kartenlesen.", meinte sie mit hoher Stimme.
,,Das ist richtig.", lächelte die Professorin. ,,Das sind allerdings sehr ungenaue Methoden. Vor allem, wenn man sie nicht richtig beherrscht, so wie die Menschen. Sie tun so, als wüssten sie, was die Zeichen bedeuten, doch in Wahrheit reden sie nichts als Unfug. Noch andere Ideen?"
Diesmal meldete sich nur noch Thomas.
,,Ja, Mister Cole?"
,,Es gibt noch die Nekromantie.", antwortete er ernst.
Malia hörte hinter sich jemand flüstern: ,,Nekro – was?"
,,Nekromantie.", wiederholte Professor Starlight. ,,Damit hätte ich nicht gerechnet, aber ja. Das ist auch eine Methode. Nekromantie ist auch bekannt als Totenorakel oder Totenbeschwörung ist eine sehr schwere Methode.Diese wird frühesten im zweiten Jahr gelehrt."
Sie lächelte Thomas an: ,,Aber, wirklich hervorragend, Mister Cole. Sehr schön, wirklich sehr schön."

Allison meldete sich: ,,Was werden wir als erstes lernen?"
,,Nun, Miss Singer, die nächsten Wochen werden wir etwas anderes machen.", berichtete Starlight. ,,Ihr müsst vorerst in die Spiritualität finden. Dafür müsst ihr in eine Art Trance verfallen, um mindestens einmal auf dieser Seite gewesen zu sein, um es zu verwenden, um Visionen zu empfangen. In euren Zimmern findet ihr heute mehrere Schallplatten. Ich möchte, dass ihr in manche davon rein hört und etwas raus sucht, ein Lied, dass euch beruhigt. Ihr dürft gehen."

~~~

,,Tja...", meinte Malia. ,,Ich hätte mein Handtuch gar nicht mitzunehmen brauchen."
Thomas schüttelte seinen Kopf. Sodass die Wassertropfen durch die Gegend spritzten: ,,Das nächste Mal muss ich wohl auf dem trockenen bleiben und du darfst rein."
Sie waren schon fast wieder aus dem Wald raus, als Malia ein Entschluss fasste: ,,Weißt du was, Thomas? Ich glaub ich gehe doch noch eine Runde schwimmen... Wir sehen uns später."
,,Soll ich dich begleiten?", fragte er, doch Malia schüttelte den Kopf: ,,Nein, ich gehe lieber alleine. Ich muss meine Gedanken ordnen..."
,,Okay, dann sehen wir uns heute Abend beim Essen?", schlug er vor.
,,Ja, sicher.", lächelte sie und lief wieder zurück zum See.

Scheinbar war sie nicht die Einzige, die diesen Gedanken hatte. Am See waren noch ein Paar Schüler, also bog Malia ab und lief am See entlang, bis sie zur Mauer kam.

Ein Baum wuchs direkt an der Mauer, sodass sie hinauf auf die Mauer klettern konnte und sich dort hinsetzte.
Auf der einen Seite sah sie den Wald und den See. Auf der anderen sah sie nichts. Dort war nichts, nur leere Fläche und trotzdem war diese Mauer die Grenze zwischen ihrer neuen und ihrer alten Welt.

Sie dachte an ihre Eltern, daran, wie sehr sie sie vermisste. Die machte sich Sorgen um sie. Was hatten sie den anderen gesagt? Konnten sie jetzt ein gewöhnliches Leben führen? Waren sie wieder respektable Mitglieder der Gemeinschaft? So wie sie es vor Malias Geburt waren?
Sie wusste es nicht.

,,Kii-ah! Kii-ah!", ertönte ein leises Rufen vor Malia auf die Mauer. Ihr Blick wanderte dorthin und da saß ein etwa 45 Zentimeter großer Vogel mit rötlichen Gefieder: einen Rotschulterbussard.
Der Vogel trat näher an Malia und dann verbeugte er sich.
Sie glaubte ihren Augen kaum. Hatte sich der Vogel gerade vor ihr verbeugt? Hatte er sie ausgewählt?
,,Na Kleiner?", flüsterte Malia. ,,Bedeutet das, dass du mich magst?"
Der Bussard näherte sich noch weiter und schmiegte seinen Kopf an ihre Hand.
,,Das nehme ich als ein Jahr. Aber sag, bist du ein Weibchen oder ein Männchen?"
Der Vogel sah sie mit seinen kleinen, schwarzen Augen an.
,,Bist du ein Weibchen?", fragte Malia, doch der Bussard zeigte keine Reaktion.
,,Bist du ein Männchen?" Der Bussard schmiegte erneut seinen Kopf an ihre Hand.
,,Gut.", murmelte sie und strich dem Bussard sacht über das Gefieder. ,,Jetzt brauchen wir nur noch einen Namen für dich..." Malia dachte angestrengt nach, überlegte sich Namen und verwarf sie direkt wieder, bis sie einen fand mit dem sie zufrieden war: ,,Hermes. Gefällt dir das?"
Hermes schmiegte sich wieder an ihre Hand, sodass Malia wusste, dass er mit dem Namen einverstanden war.
,,Hermes.", murmelte sie, während sie ihn gedankenverloren weiter streichelte.

Als Hermes eine Weile später weg flog, sprang auch Malia von der Mauer, zog ihre Uniform aus und lief in den See. Dort ließ sie sich einfach mit geschlossenen Augen auf dem Wasser treiben und versuchte sich auf die Energie des Wassers zu konzentrieren.

Erst als Malia das Wasser wieder verließ, sah sie den großen, schwarzhaarigen Jungen mit gebräunter Haut, der Am Ufer in der Sonne saß und Malia beobachtete.
Mit hochgezogenen Augenbrauen sah sie ihn: ,,Kann ich dir irgendwie helfen?"
,,Ich glaube ich kann dir helfen.", grinste er. ,,So wie du aussiehst, würde ich alles für dich tun!"
,,Hah!", lachte Malia. ,,Tatsächlich?! Schamlos flirtest du mit mir, obwohl du noch nicht mal meinen Namen kennst?"
,,Ja, das ist wahr!", stieg er mit in ihr Lachen ein. ,,Du bist einfach zu heiß, um mich mit so etwas zu beschäftigen!"
Noch immer lachend, setzte Malia sich neben ihn: ,,Ich verrate dir meinen Namen trotzdem: Moon. Malia Moon."
,,Freut mich.", grinste er und hielt ihr seine Hand hin, doch Malia ignorierte sie. Er ließ sich nichts von seiner Erschütterung anmerken:,,Aiden Foster."
,,Also, Aiden Foster, wie lange sitzt du schon da und beobachtest mich?", fragte sie.
Aiden lachte auf: ,,Ich saß hier schon, bevor du das Wasser betratst."
,,Was?", rief sie überrascht. ,,Ich hab dich gar nicht gesehen!"
,,Das ist mir auch aufgefallen.", lachte er und sah mit seinen schokoladenbraunen Augen in ihre eisblauen. ,,Ich nehme an, du bist ein Wassermensch?"
,,Wie kommst du darauf?"
,,Nun,", meinte Aiden mit einem wissenden Ausdruck auf seinem Gesicht. ,,Man hat dir angesehen, wie wohltuend das Wasser für dich ist. Es war, als wären all deine Sorgen verschwunden."
Erst als Aiden das sagte, fiel Malia auf, wie recht er doch hatte. Im Wasser hatte sie alles um sich herum vergessen. Da war nur noch das Wasser uns sie.
,,Ja, du hast recht.", stimmte Malia zu. ,,Und was bist du?"
,,Kitsune.", erklärte er knapp. ,,Erstes Jahr."
,,Ich auch.", lächelte sie und ohne zu wissen, ob die Frage zu persönlich war, fragte sie ihn: ,,Wie haben deine Eltern das aufgenommen?"
,,Um ehrlich zu sein: sehr gut.", meinte er. ,,Sie hatten noch nie, allzu viel gegen Merliner und bei mir kam dann ja noch dazu, dass sie es schon kannten."
,,Was meinst du damit? Sie kannten es schon?", hakte Malia neugierig nach.
,,Ja, es ist so...", erklärte Aiden. ,,Mein Bruder. Der wurde bereits letztes Jahr markiert."
,,Wirklich? So etwas kommt aber sehr selten vor, oder? Ich mein, dass gleich zwei einer Familie aus gewählt werden?"
,,Ja, vermutlich..."
,,Ist er auch ein Kitsune?"
Aiden schüttelte den Kopf: ,,Nein. Alec ist ein Engel."

,,Ich bin bisher keinem Engel begegnet.", stellte Malia fest und Aiden lachte: ,,Wenn du willst, stell ich ihn dir vor."
,,Mal sehen!"

Sie blieben noch eine Weile so sitzen und unterhielten sich, bis Malias Magen knurrte: ,,Ich hab ein riesen Hunger! Kommst du mit?"
,,Sicher doch!", rief er und sprang auf. ,,So eine Begleitung lass ich mir doch nicht entgehen!"
Malia schüttelte belustigt den Kopf und erhob sich, ohne auf die ausgestreckte Hand von Aiden zu achten.

MERLINER - Malia Moon und das Geheimnis von AzoukoWo Geschichten leben. Entdecke jetzt