Kristalltränen

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Die Kristallmauern kamen immer näher. Ich war geflohen. In meine Kristallwelt. Ich konnte nicht mehr.

Mein Kopf schmerzte. Ich schluckte und rannte weiter in mich hinein. Ich konnte und wollte nicht mehr zurück.

Hier war ich bei mir, konnte mich selbst suchen, konnte versuchen, mich wieder zu erlangen.

Hinter meinem Rücken wird über mich getuschelt, ich höre all das in meiner Welt, doppelt so laut, doppelt so stark, doppelt so niederschmetternd.

Ich fühlte meine Füße nicht mehr. Sie bluteten von den scharfen Kristallkanten im Boden. Ich wurde langsamer.

Es war violettes, kristallenes Blut. Genauso wie alles hier. Wundervolle Kristalle, die man in ihrer Höhle vergessen hatte.

Ich fiel in mich zusammen. Ich konnte mich nicht mehr zurecht finden. Damals wusste ich noch, was ich suchte. Jetzt suche ich die schmerzliche Stille, die in meinem Kopf einen grässlichen, schrägen Schrei hervorruft.

Ich richtete mich auf. Mein Kopf, meine Beine, alles Schmerzte.

Ich schrie. Ich wollte hier raus.

Stimmen redeten. Sie machten mich nieder. "Du bist gar nichts." - "Niemand wird dich verstehen." - "Du bist Dreck. Abschaum."

Dann wurde ich bewusstlos und fiel endgültig in mich zusammen.

Der Gong der Pause riss mich aus meiner Welt. Ich sah auf die Uhr. 13:45 Uhr. Ich hatte die Pause in dem Klassenzimmer verbracht.

Vor mir war ein weißes Papier. Ein dunkelblau-violetter Tropfen lag darauf. Es war eine Träne. Ich hielt diese Welt nicht aus.

"Miss Scarlett, Sie haben eine komplett leere Arbeit abgegeben. Ich habe zwar Mitleid mit Ihnen, aber ich kann das nicht in irgend einem Sinn gut für Sie machen. Das ist Arbeitsverweigerung.", drang die Stimme der Lehrerin zu mir hin.

Ich war mit ihr allein in dem Zimmer. "Das geh schon seit der fünften Klasse so. Seit ich Sie habe, tun Sie nichts mehr in der Schule. Was ist ihr Problem?", fragt sie und beugt sich zu mir vor.

Die Frau war hübsch. Recht jung, selbstbewusst. Ich senkte den Blick. Eine violette Träne kullerte aus meinem Augenwinkel.

"Kristalle!", antwortete ich und stand auf. Dann verließ ich den Raum.

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