Dúath - Nachtschatten

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Alberto war ausser sich, als die Sucher zurückkehrten. Alle sechs hatte er nochmals ausgesandt, um nach dem Mädchen zu suchen, während der junge Mann sich bei ihm im Privatjet erholen konnte. Er konnte sich an nichts ausser seinem Namen erinnern. Delvin.
"Wir haben sie nicht gefunden. Aber in der Nähe gab es eine Explosion, vielleicht hat sie etwas damit zu tun.", berichtete Juls. Alberto warf einen Blick auf Delvin, der inzwischen wieder eingeschlafen war.
"Juls und Nero, startet eine Suchaktion mit dem Hubschrauber. Elionore und Tay, ihr kümmert euch um ihn. Anouk und Aurora, ihr macht Bodenpicket." "Siehst du ihren Strahl noch?", fragte Elionore. Al schüttelte den Kopf. "Sie ist schon zu lange wach."
Aurora zog Anouk nach draussen in den Jeep, Juls machte den bereits reservierten Hubschrauber startklar. Elionore setzte sich besorgt zu Al. "Wir finden sie.", versuchte sie ihm Mut zu machen. "Es ist meine Pflicht, sie zu schützen. Im Namen vom Nóre en cala." Sie verstand seine Sorgen. Wenn ein neues Mitglied des Volkes des Lichtes ohne Betreuung herumlief und seine Kräfte entdeckte, konnte das für die Menschen gefährlich werden. Delvin würde ihnen nicht helfen können, da er selber nichts mehr wusste. Sie blickte zu ihm hinüber und sah ihre Schwester neben ihm. "Er brabbelt die ganze Zeit vor sich hin.", meinte sie. Elionore setzte sich zu ihr und sie versuchten, etwas von dem zu verstehen, was er sagte.

Aurora trat auf das Gaspedal und fuhr nach Cork. "Du denkst, sie ist in der Stadt?", fragte Anouk belustigt. "Warum nicht? Sie hat sicher die Autos gehört und ist dann hierher gelangt. Ich hoffe nur, dass die Menschen klug genug sind und sie in Ruhe lassen." Der Gedanke daran, dass dieses zierliche Mädchen alleine in der Stadt war, liess Anouk erschaudern. Hoffentlich hatte sie die Autoexplosion nicht mitbekommen. Falls schon, dann musste sie psychisch auf dem Tiefpunkt sein, denn Sternenkinder waren, wenn es um den Tod ging, sehr schnell verängstigt, wenn sie alleine waren. So wie dieses Mädchen.

Knatternd hob der Hubschrauber ab. "Wir müssen uns beeilen, bald wird es wieder dunkel." Juls nickte. "Wir sollten über dem Wald kreisen, vielleicht scheucht sie das auf.", schlug er vor. Sie flogen zu der Ruine und dann Richtung Süden, wo sie vermuteten, dass die Kleine sein könnte. "Wieso tragen diese Tannen auch im Winter ihre Nadeln, man sieht ja gar nichts.", beschwerte sich Juls. Nero grinste. "Ich sehe sie.", meinte er plötzlich. Juls versuchte, Neros Blick zu folgen. Tatsächlich, da lag sie am Boden und hielt ihre Beine fest umschlungen. "Wir haben sie.", rief Nero ins Funkgerät. "Nein, warte. Sie steht auf und rennt los. Richtung Stadt." "Anouk, Aurora, macht euch bereit, wir folgen ihr soweit wir können. Und sie hat sich umgezogen." Er beschrieb ihnen die Kleidung und sie folgten ihr mit einigem Abstand. Es dunkelte rasch ein und sie konnten das Mädchen gerade noch sehen, wie sie vom Wald in die Stadt hinein ging. Eilig flogen sie zum Flughafen zurück und wechselten ihr Gefährt gegen einen Jeep aus. Elionore ging auch mit ihnen, Alberto und Tay genügten für den Aufpassdienst auf Delvin.

"Die Stadt ist nicht riesig, aber hier eine einzige Person zu finden, kann ja ewig dauern. Vor allem in der Dunkelheit." Anouk nickte zustimmend. "Sie wird sicher irgendwo angesprochen. Und wenn sie Angst hat, vielleicht sogar Panik, dann werden Menschen sterben. Und wir können ihre Spur verfolgen." "Ihre Leichenspur?", fragte Aurora entsetzt. "Anouk! Wenn sie Menschen umbringt, weil sie Angst hat, dann geht sie innerlich kaputt! Sie hat gar keine Ahnung, zu was sie fähig ist. Himmel, dieses arme Geschöpf." Anouk lächelte bei dem Mitgefühl, das Aurora zeigte. "Halte hier an. Das ist der grosse Stadtplatz, vielleicht kommt sie hier vorbei. Und wenn nicht, sind wir in kürzester Zeit überall, falls die Anderen sie finden." Aurora stellte den Motor aus und blickte aus dem Seitenfenster. "Stell dir einmal vor, diese junge Frau, alleine an einem Samstagabend, wenn die Menschen in Feierlaune sind. Wenn hier niemand stirbt, ist es ein Wunder."

Juls steuerte den Wagen in die Strasse, in die das Mädchen eingebogen war. "Augen offen halten nach Verletzten.", meinte Nero. "Lasst ihr mich was ausprobieren?", fragte Elionore. Die Gefährtin des Chefs wollte sich in Gefahr bringen.  "Was denn?", fragte Juls. "Ich gehe zu der Gruppe da drüben und frage nach ihr. Wenn ich euer Blickfeld verlasse, mache ich das nicht freiwillig.", erklärte sie ihnen, wohl bewusst, dass Alberto das niemals erlauben würde.
Doch die beiden Freunde nickten. Erleichtert stieg sie aus dem Auto und ging selbstbewusst auf die Gruppe zu. Dass sie noch die Tarnkleidung von der Suche anhatte, störte sie nicht. "Sieh mal da, eine Armeebraut.", grölte einer der Männer. Auch die anderen wurden auf sie aufmerksam. "Sagt mal, ihr habt nicht zufällig ein junges Mädchen hier vorbeigehen sehen?", fragte sie. "Wie soll sie denn ausgesehen haben?", fragte ein hochgewachsener Mann, der sich sehr nahe zu ihr lehnte. "Blond, schlank, kurze Hosen und eine weisse Bluse." Der Mann grinste bei der Beschreibung. "Dann wäre sie noch hier, nicht wahr, Jungs?" Ein stämmiger Typ trat vor. "Das kleine Biest hat mich beinahe gegrillt.", knurrte er. Elionore wurde aufmerksam. "Darf ich mir Ihre Wunde ansehen?" Breitwillig hielt er ihr seine Hand hin und zog den Ärmel der Jacke zurück. Die Handabdrücke waren deutlich zu erkennen und El spürte die Macht dieses Feuers. Eindeutig ein Sternenkind. "Vielen Dank für Ihre Hilfe.", meinte sie und wollte sich wegdrehen. Der Typ hielt sie aber fest. Hatte er denn noch nicht genug? "Mir ist eine heisse Braut durch die Lappen, eine zweite wird das nicht." Elionore funkelte ihn an. "Soso. Machen Sie das öfters?" Der betrunkene Zustand des Mannes liess ihn die Wahrheit sagen. "Jedes Wochenende." "Und wenn sie nicht will?" Er zuckte die Achseln. Dann würde er jetzt dafür büssen. Gewagt fasste sie ihm in den Schritt, beugte sich vor und wisperte ihm ins Ohr: "Náre!" Flammen loderten aus ihrer Hand hoch, verbrannten in einer einzigen Sekunde die Hose und fügten ihm Verbrennungen hohen Grades zu. "Das will Ihnen eine Lehre sein, so mit Frauen umzugehen.", sagte sie zu ihm. Er brach zusammen und seine Freunde sahen sie entgeistert an. "Noch jemand?" "Besser nicht." Juls legte eine Hand auf ihre Schulter. "Na komm, genug Spass für heute. Der Idiot hat einiges gelernt." Elionore liess sich von ihm wegziehen. Im Auto grinste sie siegssicher. "So ein Arsch.", murmelte sie. Nero nickte. "Wir sind wenigstens auf der richtigen Spur."
Langsam fuhren sie durch die Strasse, bickten in jede Seitengasse, bis sie an einem grossen Platz ankamen. "Da drüben stehen Anouk und Aurora." Die beiden stiegen gerade aus und kamen zu den dreien. "Wir sollten die Strasse nochmals absuchen. Ich glaube einfach nicht, dass sie so dumm war und in eine Stadt hineingegangen ist.", meinte Anouk. "Sie hat einem Mann das Handgelenk verbrannt. Ich musste ihm noch... ein bisschen mehr verkohlen." Aurora lachte. "Nero, du gehst mit Elionore. Aurora, du kommst mit mir. Anouk, du bleibst beim Auto, wir rufen dich, falls etwas passiert. Versuch Alberto zu erreichen, vielleicht gibt es Neuigkeiten von Delvin." Die Gruppen formierten sich und gingen auseinander.

"Hoffentlich finden wir sie.", meinte Aurora. Juls hatte einen Arm um sie gelegt, um willige Menschen abzuschrecken. "Hast du diese Frauengruppe da gesehen? Wie kann man sich nur so anziehen?", fragte sie empört. "Komm ein bisschen näher, sonst siehts nicht echt aus.", flüsterte Juls ihr ins Ohr. Verlegen legte sie ihm einen Arm um die Hüften. "Schon besser." Bei jeder Seitenstrasse hielten sie an und gingen hinein. Manchmal trafen sie ein paar Schnapsleichen an, doch meistens waren sie leer.

Elionore sah Aurora und Juls nach. "Keine Angst, ich fasse dich nicht an.", meinte Nero grinsend. Belustigt sah Elionore zu ihm auf. "Mir ist nur gerade aufgefallen, wie gut sie zueinander passen würden." "Weisst du, wie viele Male ich ihm das versucht habe zu sagen?" Sie nahmen sich die andere Strassenseite vor und klapperten alle Gassen ab.

"Hallo?" Anouk schreckte hoch, als das Funkgerät knackte. "Ja, hier Anouk. Was ist?" "Er hat gerade einen Namen im Schlaf gerufen. Lavenya. Vielleicht ist das ihr Name." Endlich ein Durchbruch. "Danke Tay!" Schnell leitete sie diese neue Informationen an ihre Freunde mit.

"Lavenya. Hübscher Name." Nero warf einen Blick in eine der Gassen und blieb wie angewurzelt stehen. "Da ist sie.", flüsterte er. Elionore folgte seinem Blick und entdeckte ein Häufchen Elend am Boden zusammengekauert. Sie ging zu ihr. "Lavenya?", fragte sie vorsichtig. Elionore strich ihr die Haare aus dem Gesicht. Wie verdreckt sie aussah. "Nero, wir müssen sie hier wegbringen." Er nickte und hob das Mädchen hoch. Anscheinend schlief sie oder war zurück in die erste Phase gefallen. Elionore gab Aurora und Juls ein Zeichen, sofort kamen sie hergelaufen um nach Lavenya zu sehen. Im Auto setzten sie sie neben Elionore. Anouk und Aurora fuhren voraus, Juls und Nero versuchten, Lavenya während der Fahrt nicht zu wecken. El hielt das Mädchen fest an sich gedrückt.
Als sie am Flughafen ankamen, eilten Tay und Alberto zu ihnen um beim Aussteigen zu helfen. Tay schlug vor entsetzten die Hände vor den Mund. "Mein Gott, wo habt ihr sie gefunden?" Elionore zog ihre Schwester weg. "In einer Gasse. Wir wissen nicht, was ihr zugestossen ist. Wir befürchten das Schlimmste."
Im Flugzeug setzten Nero und Juls sie neben Delvin und deckten sie zu. Sofort starteten sie die Motoren und flogen zurück nach Middelburg.

Gäa's VermächtnisWo Geschichten leben. Entdecke jetzt