ich, Mars (17)

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Kapitel 17

Ryan saß in Schneidersitz im Cubus auf dem Boden.  Vor ihm lag ein Haufen Marsgestein. Die Heizung im Inneren war voll aufgedreht, ebenso wie die Funkverbindung. Ein leises Rauschen erfüllte den Raum.

Er hatte den Coverall bis zu den Hüften ausgezogen und die Ärmel wie einen Gürtel um seine Hüften gebunden. Sein nackter Oberkörper war haarlos, sodass seine Rippen unter der Haut hindurch schimmerten.

Seine schwarzen Haare waren straff zurückgekämmt und eine schwere Schweißerbrille saß über seinen Augen. Mit Bohrer und Lupe arbeitete er sich durch die Proben. Der feine Marsstaub schwebte in der Luft und färbte alles rot. Besonders ihn selbst.

Seine Finger sahen aus, als hätte er sie in Henna gebadet, sein Oberkörper schimmerte wie terra-cotta und dort, wo ihm der Schweiß von der Stirn lief, zogen Schlieren kühne Formen in sein Gesicht.

Unablässig drehte er die Steine in seinen Fingern und bohrte, bis nur mehr Sand durch seine Hände lief. Mit immer derselben Erkenntnis, die er gebetsmühlenartig vor sich hin murmelte: »Nichts.«

Und ebenso wie seine Finger die Steine, rotierte sein Geist Gedanken im Kreis. Manische Gedanken voll Zweifel und Angst.

Wenn Stella die Station sabotierte, dann würde sie genug Vorräte fortschaffen müssen, damit sie hier weiter überleben konnten. Das müsste sie aber tun, bevor sie mit den Sabotagen beginnt. Das wiederum würde aber die Stationsbesatzung nicht zulassen. Würde sie aber zuerst sabotieren, dann müsste sie im Chaos alles beiseite schaffen. Unmöglich.

Sie würde von ihm, Ryan, erzählen müssen. Er hatte sie geküsst und ihr gesagt, dass er sich nicht lieben würde. Wie Frauen auf so etwas reagierten, wusste er. Entweder sahen sie es als Herausforderung oder als Verrat. Wenn sie ihn verriet, dann wäre er hier vollkommen alleine und sie würden ihn irgendwann holen kommen. Das hieß wiederum, dass ihm nicht viel Zeit blieb etwas zu finden und die Erde zu kontaktieren. Doch wie sollte ihn jemand schützen, der Millionen von Kilometern entfernt in einen Ledersessel hinter einem riesigen Schreibtisch seinen Rotwein schlürfte, während die Sekretärin unter dem Tisch … Ryan schüttelte die Gedanken von sich. Ein weiterer Stein zerfiel unter der Einwirkung des Bohrers. Er blies in den Staub, dass dieser aufstieg und er beim Einatmen seine Lungen damit füllte. Er fluchte und dachte weiter.

Und was war das mit seiner Mutter? Was hatte sie hier verloren, in seinen Gedanken?

Hinter ihm rumpelte es zwischen den Kisten. Ryan schrak hoch.

Er griff sich die Spitzhake und stand langsam auf.

Zwei Probenkisten holperten herum, als würde sich eine Katze dahinter abmühen eine Maus zu fangen.

Ryan hob die Hacke, um zuzuschlagen. Mittlerweile glaubte er ohnedies nicht mehr an eine Realität auf diesem Planeten, die er mit seinem Hirn verstehen konnte.

Mit der linken Hand schob er eine Kiste zur Seite und starrte ungläubig auf den Boden.

Vor ihm grub sich ein Mann aus dem Marsboden. Nein, kein Mann, ein Männchen. Ryan schob die Schweißerbrille auf die Stirn. Dort wo sie anlag war sein Gesicht kreidebleich, der Rest rot. Er wischte sich mit Zeigefinger und Daumen die Augen.

Das Männchen buddelte sich frei und stand auf. Es streckte sich durch. Ryan schätzte, dass es ihm bis zum Bauchnabel reichen würde, wenn es ganz gerade stand. Der kleine Mann fuhr sich mit den Händen über das Gesicht. Erst jetzt erkannt Ryan, dass das Wesen kein Gesicht gehabt hatte, bis zu dem Zeitpunkt, als er es genauer betrachtete. Fast so, als ob es zuerst ein Klumpen war und durch die Kraft seines Geistes und der Gewalt seines Blicks geformt wurde. Seine Gedanken wurden klar, wie vor einem Tag im Sturm, als er das Licht sah.

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