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Song: Same Love by Macklemore & Ryan Lewis feat. Mary Lambert

„Und du sagst gar nichts?!", fährt meine Großmutter nun ihren Mann an, welcher noch immer ruhig und reglos am Kopfende sitzt. „Ich will dazu gerade einfach nichts sagen." Das ist der Moment, indem mein Vater aufsteht und sich hinter mich stellt, die Hand auf meine Schulter legt. „Wir gehen jetzt." Auf einmal klingt er wieder stark. Nicht so schwach, wie er sonst in der Gegenwart der beiden ist.
Ich drücke mich von den Armlehnen beim Aufstehen ab, denn meine Beine scheinen zu Pudding geworden zu sein. Wir alle gehen aus dem Wohnzimmer, mein Vater hält noch immer meine Schulter, Aurelia sagt nichts. „Also mit ihm braucht ihr gar nicht wiederzukommen, bis er zur Besinnung gekommen ist!", stürmt meine Großmutter uns nach, als wir alle im Gang unsere Schuhe anziehen. „Hatten wir auch nicht vor Mutter!", gafft meine Mutter und öffnet hektisch die Tür. „Schön, dann geht doch! Ihr werdet sicher alle in der Hölle landen!"
„Dann werden wir euch dort ja wiedersehen!", ist das letzte, was meine Mutter ihr zuruft, bevor diese die Tür zudonnert.

Ich sitze im Auto, starre aus dem Fenster. „Es... Es tut mir leid." Das sind die ersten Worte, die auf der bisher zwanzig Minuten langen Fahrt gesprochen werden.
„Dir muss nichts leid tun. Du hast das Richtige getan. Wir brauchen keine Menschen, die dich nicht akzeptieren.", sieht meine Mutter kurz nach hinten, „Du sollst nur wissen, dass wir wirklich immer hinter dir stehen. Darauf kannst du dich verlassen."
„Danke."
„Das ist doch selbstverständlich Schatz."
„Könnt ihr mich nachher vielleicht bei Jarns Wohnung rauslassen? Ich muss noch was mit ihm klären."
„Natürlich. Schläfst du dann bei ihm?" Unsicher sehe ich auf mein Samsung, keine Nachrichten. „Ich weiß nicht, glaube eher nicht."
„Sag dann einfach Bescheid."

„Und hier wohnt er also?", sieht mein Vater skeptisch auf den grauen Gebäudekomplex. „Ich hab' doch schon gesagt, dass er nicht gerade Kohle hat.", murmle ich und steige mit einem letzten „Tschüss" aus unserem Audi.
Vorsichtig klingle ich, nichts passiert. Das laufende Auto steht noch immer auf der Straße. Erneutes Klingeln. „Ja?", dröhnt auf einmal eine genervte Stimme aus der knisternden Sprechanlage. „Ich bin's. Kann... kann ich hochkommen?" Er seufzt, „Ja."
Das Summen ertönt und ich betrete das staubige Treppenhaus, in welchem es unangenehm nach Pisse riecht, während meine Eltern wegfahren.

Seine Tür steht offen, er räumt gerade seine Wäsche weg, hat ein neues Bettgestell, einen kleinen Tisch mit zwei Stühlen, versucht mich nicht anzusehen. „Hi.", bleibe ich in der Tür stehen, „kann ich reinkommen?"
„Wäre ja bescheuert, wenn du aus dem Gang aus mit mir reden würdest." Sein Haar steht ihm wirr vom Kopf ab. Er trägt einen „Das Leben ist kein U-Bahnhof"Hoodie.
„Es tut mir leid, dass ich überreagiert hab. Ich wollte dich nicht verletzen. Ich..."
„Nein."
„Nein?"
„Du hast nichts falsch gemacht. Ich... ich bin einfach ein Idiot. Ich bin ein dummer, ignoranter Idiot. Was kann ich denn überhaupt? Nicht mal clean bleiben. Ich hatte ein verdammtes Talent und hab' es einfach weggeschmissen, nur, weil ich meinen Eltern auf keinen Fall einen Gefallen tun wollte und nun bin ich hier und...", er sieht zu mir auf, fängt an zu schluchzen, „Lukas ich..." Schnell eile ich zu ihm hin, schließe ihn in meine Arme.
„Warum heul ich eigentlich so dumm rum? Ich bin doch an allen selbst schuld.", drückt er sein Gesicht an meine Schulter. „Jetzt sag doch sowas nicht, du..."
„Natürlich! Ich bin doch damals abgehauen. Ich hab' bei diesen Junkies gelebt.Ich hab' mit dem Scheiß angefangen. Was willst du eigentlich von mir? Du bist so... perfekt und dann sieh doch mich an."
„Niemand ist perfekt Jarn. Alle Menschen sind unperfekt.", mein Halt wird noch fester, doch sein Schluchzen ebenfalls, „Du kommst aus der Situation doch wieder raus. Eine Wohnung hast du doch schon."
Er sagt nichts, setzt sich hin, einfach auf den Boden, nimmt den Kopf zwischen die Hände, leicht bebt sein Körper noch.

Schweigend sitzen wir nebeneinander. Ich kann nicht einmal sagen, ob es ein bedrückendes oder angenehmes Schweigen ist, wahrscheinlich beides.
„Erzähl mir bitte was, irgendwas. Warst du heute nicht bei deinen Großeltern?"
„Das hatte ich schon fast wieder vergessen.", grinse ich etwas schief. Ich weiß nicht, warum ich das nun witzig finde, vielleicht auch nur die bizarre Tatsache, dass mir im Vornerein klar war, dass es so kommen musste. „Was war denn?"
„Ich hab' ihnen gesagt, dass ich schwul bin."
„Und?" Nervös sieht er endlich wieder auf. „Ich sag's mal so: Du kannst froh sein, dass niemand ermordet wurde."
„Oh.", sagt er. Es ist eins von diesen „Oh"s das man nur sagt, wenn man sonst keine Ahnung hat, was man sonst sagen könnte. „Wissen deine Eltern das eigentlich?" Stirnrunzelnd sieht er mich an. „Ich glaube meine Eltern wussten so gut wie gar nichts von mir.", lacht er ein wenig.
Und so sitzen wir beide einfach nebeneinander auf dem beigen Teppichboden, der wahrscheinlich einst weiß gewesen ist und starren an die Wand. „Du brauchst ein paar Bilder."
„Bilder?"
„Bald ist doch sicher irgendwo ein Flohmarkt. Lass uns dort zusammen hingehen. Da gibt's sicher ein paar coole vintage Sachen. Dann würde die Wohnung minimalistischtumblrmäßig aussehen."
„Hm, wäre gut.", murmelt er und legt seinen Kopf auf meine Schulter, „Also ist zwischen uns beiden wieder alles gut?"
„Klar.", drehe ich mich zu ihm, solange er sich aufrichtet und mir in die Augen sieht. Unter seinen Augen hängen noch die Spuren der vertrockneten Tränen. „Können wir über was Anderes reden?"
Kurz überlege ich.
„Wenn du jetzt irgendwo anders sein könntest, wo wäre das?"
„Egal, Hauptsache du bist da.", grinst er. „Jetzt sei doch nicht so schnulzig.", stöhne ich genervt. „Ich weiß nicht." Er scheint zu überlegen, schaut an die Decke, „Ein alter Konzertsaal. Auf der Bühne ist nur ein unfassbar guter Pianist. Er schafft es perfekt leise, sanfte Momente mit großem, imposanten zu kombinieren, wie Lang Lang und neben mir sitzt ein großer, braunhaariger Kerl, etwas jünger als ich. Wenn er lächelt, dann... dann bilden sich immer Grübchen. Natürlich trägt er einen Anzug oder zumindest Hemd und Krawatte, weil sich das so gehört. Eigentlich mag er klassische Musik gar nicht und träumt noch immer Oliver Sykes hinterher, aber für mich geht er trotzdem ins Konzert und danach fahren wir zu einem von uns beiden nach Hause."
„Und was passiert dann?"
Wir sehen uns tief in die Augen bevor wir uns küssen. „Naja, kannst du dir dochdenken, oder?", grinst er über beide Ohren.


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My homeless Romeo [BoyxBoy]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt