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„Was war denn gerade los?", fragt Nicole besorgt, als ich das Bad wieder verlasse. Sie steht direkt vor der Tür. Den Namen des Mädchens von der Toilette habe ich leider nicht mehr herausgefunden. Eine Freundin von ihr kam ins Bad geplatzt und hat sie ohne ein Wort mitgenommen.
„Das erzähl' ich dir wann anders. Ich muss das ganz schnell klären und Jarn anrufen."
Ja, ich bin noch wütend und enttäuscht, aber Jarn ist es sicher auch.
„Wo willst du denn hin!?", ruft sie mir hinterher, als ich drauf und dran bin die Wohnung zu verlassen. „Ich geh' ihn suchen!"

Es wummert nur noch leise der Bass durch die Wände, nachdem die Tür hinter mir zufällt. Schnell zücke ich mein Handy und rufe Jarn an. Natürlich geht er nicht ran. Als ich vor der Haustür stehe, bin ich ratlos. Er könnte überall sein, zu Hause, bei seinem Stein am Rheinufer, bei seinem Freund Marius, am Bahnhof. Schnell haste ich zur U-Bahnstation, doch weiß immer noch nicht, wo ich ihn denn suchen soll. Wahrscheinlich wird er zu Hause sein, oder nicht?

Die Station ist voller Partygänger und Betrunkener. Neben mir bespritzt sich ein Junggesellinnenabschied mit Sekt und einige der Damen werfen mir vielsagende Blicke zu. Nervös sehe ich auf mein Handy, versuche noch einmal Jarn anzurufen, doch wieder keine Reaktion. Nicole, Jakob und Erik haben mir geschrieben. Nic und Erik sind besorgt, wo ich bin, doch Jakob schreibt:

>Ist alles in Ordnung bei dir? Nicole meinte, du bist gegangen<

>Dieser Jarn hat dich echt nicht verdient, wenn er so mit dir umgeht. Komm doch wieder zur Party. Wir machen uns Sorgen um dich. Ist ohne dich sowieso langweilig.<

Hastig setze ich mich in die U15, sicher ist er nach Hause gefahren. Die Bahn stinkt genauso nach Alkohol wie auch schon die Station. Meine Hände zittern, obwohl mir nicht kalt ist. Ich schreibe Jarn eine SMS:

>Wo bist du? Können wir bitte miteinander reden.<

Doch auch nach einigen Minuten kommt wieder keine Reaktion. Je näher wir Chorweiler kommen, desto leerer wird die U-Bahn und zwielichtiger die Fahrgäste. In meinem Kopf sammeln sich tausende Gedanken, doch ich kann sie einfach nicht fassen. Noch nicht einmal weiß ich, was ich Jarn sagen werde, wenn wir uns sehen.

Schnell stapfe ich durch den Schnee, denn es dauert eine Weile bis zu Jarns Wohnung. Einige Raketen steigen in die Luft, Jugendliche schmeißen Chinaböller in Gullideckel. Es ist schon nach halb Zwölf.
Die Haustür steht zum Glück offen, als ich an dem Hochhaus ankomme. Eilig renne ich bis in den vierten Stock hinauf und klopfe hastig an Jarns Wohnungstür. Niemand öffnet sie.
Meine Faust schlägt fester und das Klopfen wird lauter, doch wieder nichts.
„Jarn, mach bitte auf! Ich will mit dir reden!"

„Ich weiß, dass du zu Hause bist!"

„Jetzt mach schon auf verdammte Scheiße!"

„Bitte."

Ich weiß nicht genau, wie lange ich verzweifelt vor der Tür stehe. Einmal renne ich sogar dagegen, um sie aufzubrechen, doch sie bleibt verschlossen. Irgendwann muss ich wohl oder übel einsehen, dass es keinen Sinn hat. Schweren Herzens raffe ich mich auf, gehe die Treppen hinunter und laufe zurück zur U-Bahn. Ich habe keine Ahnung, was ich nun tun soll.

Ich schaue aus dem Fenster, direkt in das Tiefe Schwarz des U-Bahntunnels. Auf einmal jubeln alle. Es wird Sekt und Bier herumgespritzt und alle Passagiere liegen sich in den Armen. Nur ich bleibe auf meinem Platz sitzen. Es ist Null Uhr.
Ich merke, wie ich immer schwächer werde und mehr und mehr in mich zusammensacke. Mein Handy vibriert, doch es ist keine Nachricht von demjenigen, von dem ich gerne eine hätte. Meine Schwester, meine Mutter und dutzende von Leute aus irgendwelchen Gruppen wünschen mir oder sich selbst ein Schönes Neues Jahr. Ich antworte nicht.
Mein Kopf fühlt sich merkwürdig leer an. Er ist nur voll von einem Gefühl, dass ich selbst nicht beschreiben kann. Ich habe keine Kraft mehr nach Jarn zu suchen. Ohne genau mitzubekommen was ich überhaupt tue, fahre ich nach Hause.

Vom Kleinfeuerwerk raucht es auf den Straßen. Vereinzelt stehen noch kleinere Grüppchen draußen herum, unterhalten sich, tanzen und hören Musik, zünden die letzten Raketen, trinken und kiffen, lachen. Aus der Wohnungstür meiner Nachbarn dringt laut Rockmusik, Green Day. Natürlich ist noch keiner von meiner Familie zu Hause. Meine Eltern sind bei meiner Tante, meine Schwester bei einer Freundin.
Achtlos lasse ich meine Jacke auf meinen Zimmerboden fallen und schließe vorsichtig die Tür hinter mir. Es ist merkwürdig still. Ich lege mich auf mein Bett und starre die Decke an. Wie aus dem Nichts überkommt es mich. Ich weine. Ich weine so sehr, wie ich es noch nie zuvor in meinem Leben getan habe.

Armer Lu :(
Sorry, dass erst jetzt etwas kommt, aber der Abi Stress killt ein bisschen den Vibe

My homeless Romeo [BoyxBoy]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt