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Als ich zu Hause ankomme, sitzen meine Eltern gerade zusammen in der Küche und bereiten das Abendessen vor. Beide haben sie vor eine große Schüssel Rosenkohl vor sich und zupfen die Blätter auseinander. „Oh, Hallo Lukas", blickt meine Mutter rasch auf, als sie hört, wie ich meinen Schlüssel in die kleine blaue Glasschale fallen lasse. Man sieht ihr an, dass sie schlecht geschlafen hat. Die Augen sind verquollen und glasig. „Hi.", antworte ich knapp und verschwinde schnell in mein Zimmer, um nicht mit den beiden reden zu müssen, denn ich fühle mich schuldig für die Sache, die bei meinen Großeltern passiert ist.
Seufzend schließe ich hinter mir meine Zimmertür und schaue auf das Bring me the Horizon Poster an der sonst kahlen, weißen Wand. Es sieht schon ein wenig schmuddelig aus, die Ecken schon mehrere Male mit Reißnägeln zerstochen. Auf einmal vibriert mein Handy.

>Wollt ihr heute mal wieder was zusammen essen gehen? Wir haben schon lange nichts mehr mit einander gemacht :)<

schreibt Erik. Er ist ein alter Freund von Nicole und mir, noch aus dem Kindergarten, doch leider sehen wir uns nur selten. Der Name der Whatsappgruppe „Gelegenheitsfreunde"  ist daher auch sehr passend. Nicole, Erik, ich und Nina, welche Erik und ich mal im Ferienlager in den Sommerferien vor der achten Klasse kennengelernt haben. Nici und ich versuchen schon längere Zeit, die beiden zusammenzubringen, doch ist daraus bisher noch nichts geworden.

>Aber nur, wenn wir ins Pablo's gehen<

antwortet nun Nina mit einem Zwinkersmiley. Das Pablo's ist schon so sehr unser Stammlokal, dass wir überhaupt nirgendwo sonst hingehen.

>Also um 8?<

fragt wieder Erik und sofort sagen wir alle anderen zu. Um Zwanzig vor Acht schlüpfe ich in meine Vans, für die es im Winter eigentlich viel zu kalt ist, und ziehe mir meine Winterjacke über. „Bist du nicht zum Essen da?", ruft mir meine Mutter aus der Küche zu. „Nein, ich geh' mit den Anderen zu Pablo."
Schon steht sie im Türrahmen, mit einem Kochlöffel in der Hand, sie sieht noch immer fertig aus. „Ich habe extra gekocht."
„Papa und Relia sind doch auch noch da. Die essen sowieso für Vier.", versuche ich einen Witz zu machen, doch sie schmunzelt nicht einmal. „Na gut, geh ruhig und hab Spaß mit deinen Freunden."
„Danke Mama." Schnell gebe ich ihr noch einen Kuss auf die Wange und verschwinde durch die Wohnungstür.

Der Weg zur U-Bahn ist eisig. Es ist tatsächlich noch kälter als die letzten Tage geworden, falls das Überhaupt noch möglich ist. Ich stecke mir meine Kopfhörer in die Ohren, höre Musik und denke dabei an Jarn. Vielleicht sitzt er noch am Bahnhof und spielt Gitarre, vielleicht ist er aber auch wo ganz anders und schlägt seine Zeit tot.
Noch gerade so bekomme ich die Bahn. Ich muss die Treppen wirklich schnell hinuntereilen. Als ich endlich sitze und versuche mich durch Händereiben aufzuwärmen, lässt sich eine alte Frau auf den Sitz mir gegenüber fallen. Nein, sie ist nicht alt, vielleicht gerade Mitte Zwanzig. Sie zittert am ganzen Körper, ihre Augen sind eingefallen und trüb, ihre Haare fettig und durchgeschwitzt. Sie muss auf irgendwelchen Drogen oder Entzug sein.
Sofort denke ich an Jarn und dieser Gedanke macht mich traurig. Er sah bestimmt auch schon so aus. „Guck doch nicht so blöd, du Arschloch!", blafft die Frau mich an und setzt sich an einen anderen Platz.

Die Anderen warten bereits auf mich. Zu dritt sitzen sie an einem kleinen, runden Tisch, welcher eigentlich für zwei gedacht ist, aber bei Pablo ist es wie üblich rappelvoll. Nicole entdeckt mich als Erstes. Freudig springt sie auf und fällt mir in die Arme, als hätten wir uns Jahre nicht mehr gesehen. Darauf folgt Erik, der mich kurz brüderlich umarmt und grinsend Ein „Lange nicht gesehen", von sich gibt. Nina und ich umarmen uns nur kurz und sachte, so, wie sie es bei jedem immer nur macht.
„Nici hat schon erzählt, dass du jetzt einen Freund hast.", fällt Erik mit der Tür ins Haus, sofort, nachdem ich mich gesetzt habe. Er war damals der erste gewesen, vor dem ich mich geoutet hatte. Nicole trinkt nur ganz ruhig an ihrem Weißwein, als hätte sie rein gar nichts mit der Sache zu tun. „Das spricht sich ja schnell herum."
„Also?"
„Er heißt Jarn."
„Jan?", fragt Nina nach. „Nein, Jarn." Etwas übertrieben rolle ich das R. Kurz herrscht Stille.
„Herr Gott, dir muss man ja alles aus der Nase ziehen!", beschwert sich Erik, woraufhin ich ein wenig nervös werde. „Er ist Neunzehn und spielt Gitarre, also macht Straßenmusik."
„Oh, das ist so verdammt sexy, wenn Kerle Gitarre spielen.", sieht Nina träumerisch durch die Gegend und prompt läuft Erik rot an. Aus den beiden muss irgendwann noch was werden.
Und so geht das den ganzen Abend, ich werde ausgefragt. Von den Drogen erzähle ich nichts, jedoch weiß ich nicht, ob ich das tue, um Jarn oder mich selbst zu schützen. Wäre es ihm oder mir unangenehm, wenn sie etwas davon wüssten?

„Was macht ihr eigentlich an Silvester?", versuche ich das Thema zu wechseln, denn irgendwann werden die Fragen erschreckend privat.
„Einer aus dem Training hat mich zu seiner Party eingeladen und ich hab gefragt, ob ich Nina mitbringen kann. Er heißt Jakob.", berichtet Erik und schnell wandert mein Blick zu Nicole.
„Ist das Jakob Engelmann?", zieht sie freudig die Brauen hoch. „Ja, wieso?", ist er offensichtlich verwirrt. „Wir gehen auch auf die Party! Er geht auf unsere Schule." Alle sind sichtlich begeistert. „Dann könnt ihr ja Romeo kennenlernen!"

My homeless Romeo [BoyxBoy]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt