Die Mathestunde am nächsten Tag ist unerträglich. Ich kann quasi spüren, wie die Blicke derer, die auf der Party waren, auf mir lasten. Nicole ist in einem anderen Mathekurs, kann mich also auch nicht ablenken. Es regnet draußen und Marc, der neben mir sitzt, zieht unerlässlich seine Nase hoch.
„Lukas?"
„Hm?", blicke ich verwirrt auf. Mein Lehrer, Herr Grünhaus, sieht mich erwartungsvoll an, doch sagt nichts. „Können sie die Frage noch einmal wiederholen?"
„Wie verhält sich die Funktion, wenn X gegen Unendlich verläuft?", antwortet er genervt und als sei es auswendig gelernt. Welche Funktion?
„Ich weiß es nicht."
„Na mal schauen, ob das mit dem Abitur noch was wird.", dreht er sich wieder zur Tafel und ein teils belustigtes, teils genervtes Raunen geht durch den Klassenraum.Den ganzen Tag geht es so weiter. Ich bin unaufmerksam, schläfrig und unachtsam. In einer Freistunde sitze ich mit ein paar anderen aus meinem Jahrgang im Oberstufenraum. Zwar würde ich sie nicht als meine Freunde bezeichnen, doch ich komme ganz gut klar mit ihnen. Alle versuchen sich auf ihre nächste Klausur vorzubereiten oder Hausaufgaben zu machen, doch natürlich funktioniert das nicht. Ich habe es gar nicht erst versucht, sondern schaue mir nur Kunst auf Pinterest und Instagram an.
Keiner wagt es so wirklich, mich auf die Party anzusprechen, obwohl sie sicher alle wissen, was an Silvester passiert ist. Eher wickeln sie mich in Watte und versuchen möglichst freundlich zu sein, doch das ist auf einmal abrupt vorbei, als sich die Glastür öffnet.
Jakob betritt lächelnd den Raum und erblickt mich sofort. Seinen Rucksack legt er auf einem leeren Tisch ab und kommt auf mich zugelaufen. Neben mir geht er in die Hocke und legt seine Hand auf meine Schulter. „Ist alles in Ordnung bei dir?", flüstert er fragend.
Alle sehen uns perplex an. Schließlich waren er und ich nie wirklich Freunde gewesen oder hätten ohne weiteren Grund eine Unterhaltung zu zweit geführt. Auch wenn meine Schwester behauptet hat, dass Jakob in mich verliebt wäre, hat er mich noch nie so offen angesprochen.
„Ähm... Ich denke schon." Ich weiß nicht wirklich, was ich antworten soll. Schließlich ist er nicht gerade die Person, mit der ich meine Probleme mit Jarn besprechen sollte.
„Lass uns kurz reden.", sagt er und geht ohne auf eine Antwort zu warten in den anliegenden Raum.
Das ehemalige Klassenzimmer wird in letzter Zeit nur als Sammlung der Kostüme und Requisiten der Theater AG und anderen Krempel genutzt. Es ist aber auch dafür bekannt, dass Paare hierhin häufig für ein paar Minuten verschwinden. Schließlich kommt hier quasi nie jemand herein.
Jakob sitzt auf etwas, das aussieht wie eine Piratenschatztruhe, als ich den Raum betrete und die Tür hinter mir schließe. Seufzend lehne ich mich an die Wand. „Was ist denn?", frage ich.
„Ich wollte nur wissen, was auf der Party passiert ist... mit deinem Freund."
„Warum willst du das denn wissen?", ziehe ich die Brauen zusammen und stelle mich absichtlich dumm. „Ich mach' mir einfach Sorgen um dich... Ihr habt euch schließlich ziemlich arg gestritten. Habt ihr euch denn getrennt oder..."
„Ich freue mich zwar, dass du dich um mich sorgst,", unterbreche ich ihn, „jedoch weiß ich nicht, was dich das angehen würde, was zwischen mir und Jarn passiert ist."
Er steht auf und lehnt sich neben mir an der Wand an, sieht mir direkt ins Gesicht. „Es ist schließlich auf meiner Party passiert. Und ich bin einfach besorgt, dass es irgendwas Schlimmes ist."
Und dann, ohne dass ich es zurückhalten kann, sprudelt es aus mir heraus. „Jakob ich will nichts von dir."
„Bitte was?", sieht er mich perplex an und weicht ein wenig zurück. Auch wird er rot im Gesicht und schon merke ich, dass ich mal wieder etwas Dummes gesagt habe.
„Es ist nur so, dass mehrere Leute gesagt haben, du würdest was von mir wollen und ich finde dich zwar wirklich nett, aber das wird nichts mit uns zwei."
Er sagt nichts, starrt mich nur schockiert an und atmet schwer. „Und es tut mir wirklich leid, aber ich bin nun einmal mit Jarn zusammen und..."
„Wer hat denn bitte behauptet, dass ich schwul sei?", unterbricht er mich. „Nun ja... Ich... äh... denke viele glauben das." Ich dachte bis gerade wirklich, dass Jakob sich geoutet hätte. Seufzend lässt er sich an der Wand hinuntergleiten. „Fuck."
Rasch setze ich mich neben ihn, damit ich nicht wie ein Trottel mitten im Raum stehe. „Stimmt das denn?", frage ich besorgt, denn es ist scheiße, ungewollt von anderen geoutet zu werden.
„Ich... Ich dachte immer, das weiß keiner.", starrt er geradeaus auf die gegenüberliegende weiße Wand. „Ist das denn so offensichtlich?"
„Und wenn? Ist es denn wirklich so ein Problem? Von mir wissen es ja auch so gut wie alle und es sind doch die allermeisten einigermaßen cool damit in der Schule.", versuche ich ihn aufzuheitern, doch kann genau verstehen, wie beschissen er sich nun fühlen muss.
„Du kennst aber meine Eltern nicht. Wenn sich das rumspricht und sie davon erfahren, dann bin ich geliefert." Verzweifelt wirkt er, muss fast weinen. „Die meisten Leute haben vor ihrem Outing mehr Angst, als sie eigentlich haben müssten. Viele Eltern reagieren besser, als man zuerst denkt." Ich will ihn beruhigen und fasse ihm an die Schulter, doch er zuckt nur zusammen. Es ist merkwürdig, ihn so zu sehen, Jakob, der immer so offen und selbstsicher zu sein scheint. Kann das wirklich alles nur Fassade sein?
Ein Schweigen liegt zwischen uns und keiner weiß so recht, wie er es brechen soll.
„Falls du und dein Freund wegen mir gestritten habt, dann tut mir das Leid Lukas.", sagt er aus dem Nichts. „Das lag nicht an dir. Du hattest damit nichts zu tun."
„Er schien nur ziemlich pissig auf mich.", muss Jakob schmunzeln.
„Naja, vielleicht war er ja doch ein wenig eifersüchtig." Und nun muss auch ich grinsen. Es hilft, sich über das Geschehene lustig zu machen und es ein wenig ins Lächerliche zu ziehen.
„Aber... ich will noch, dass du weißt, dass... ich nicht in dich verliebt bin oder so.", druckst er ein wenig herum. „Und was dann?"
„Ich wusste halt, dass du schwul bist und ich denke, ich habe einfach jemanden gesucht, der mein Problem verstehen kann. Ich wollte mich dir eben irgendwie annähern."
„Du wolltest wirklich nur mein Freund sein?", grinse ich, erleichtert darüber, dass die Gerüchte wohl nicht stimmen. "Dann können wir das auch gerne sein."
„Alles klar, Freunde.", lächelt auch Jakob und wir schütteln uns die Hände.
New best friends? Oder doch nicht..? Sorry, dass doch so lange nichts kam, aber Abi ist stressiger, als gedacht :(
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My homeless Romeo [BoyxBoy]
Teen Fiction"Vielleicht stehst du dir einfach selbst im Weg.", flüstere ich leise, worauf er kurz lachen muss. "Aus dir kann noch was werden. Du musst nur an dich glauben." "Sagst du das zu jedem komischen Penner, den du küsst?", lächelt er verschmitzt. "Nur zu...