Am nächsten Tag gehe ich nicht zur Schule, fühle mich einfach nicht gut genug dafür. Meine Mutter hat mir eine heiße Schokolade gemacht, bevor sie zur Arbeit gegangen ist. Den gesamten Vormittag liege ich schon unter der warmen Decke und schaue mir irgendwelche Reportagen auf Youtube an, einfach nur um mich abzulenken. Dabei vermeide ich gezielt alles, was mit Obdachlosigkeit, Drogen oder Prostitutionzu tun hat, doch das alles lenkt mich nicht genug ab. Ich sehe mir auf Netflix ein paar Folgen von How to Get Away with Murder an, doch auch die Serie bringt mich nicht auf andere Gedanken. Die Szenen mit Connor und Oliver stimmen mich eher sogar noch trauriger.
Um halb Drei kommt meine Schwester wieder nach Hause. Sie begrüßt mich nicht oder klopft an meine Tür, doch eine halbe Stunde später steht sie mit zwei Tellern Spagetti mit Tomatensoße in den Händen in meinem Türrahmen. Ohne zu fragen, ob ich denn überhaupt etwas essen möchte, setzt sie sich neben mich auf mein Bett, reicht mir einen Teller und kuschelt sich ebenfalls mit unter die Decke. „Weißt du, was ich immer mache, wenn ich traurig bin?", fragt Relia mit vollem Mund. „Was denn?"
Sie lehnt sich vor zu meinem Laptop, öffnet Youtube und sucht nach einem Spongebob Best Of. „Echt jetzt?", lache ich. „Schau! Es funktioniert! Da kann man nichts anderes machen außer lachen."
Und sie hat Recht. Für ein paar Minuten vergesse ich Schmerz und Kummer, wenn Spongebob und Patrick bescheuerte Dinge tun, bis es auf einmal klingelt.
„Ich geh' schon.", rafft Aurelia sich auf und verschwindet aus meinem Zimmer. Ich kann noch den Summer und das Geräusch von Treppe hinaufstapfenden Stiefeln hören. Im Flur raschelt es, es wird geflüstert, Schuhe werden ausgezogen. „Er ist in seinem Zimmer.", sagt meine Schwester und auf einmal bekomme ich Angst, dass es Jarn sein könnte, doch es ist Nicole.„Ich wollte mal nach dir sehen.", lächelt sie vorsichtig und setzt sich auf meinen Schreibtischstuhl, nachdem sie die Tür hinter sich geschlossen hat. „Geht's dir gut?"
„Na, offensichtlich nicht."
„Okay, das war eine blöde Frage. Willst du drüber reden, was an Silvester passiert ist? Ist zwischen dir und Romeo alles in Ordnung?" Sie knackt mit den Fingern. Das tut sie immer, wenn sie nervös ist. „Da weiß ich gar nicht, wo ich anfangen soll.", seufze ich. „Dann fang doch ganz am Anfang an.", lächelt sie wieder, versucht anscheinend mich aufzumuntern, „Willst du denn überhaupt darüber sprechen?"
„Ja, ich weiß nur nicht, wie ich darüber sprechen soll... Du... Du weißt nicht alles über Jarn und bis Silvester habe ich eben auch nicht alles gewusst."
„Dann erzähl es mir. Ich versuche es zu verstehen." Und ich erzähle und erzähle, bin es satt das Alles die ganze Zeit nur in mich hineinzufressen. Nicole lässt mich ausreden und nickt an den richtigen Stellen. Ich erzähle von Jarns Familie, den Drogen, der Obdachlosigkeit, dem Methadonentzug.„Und was hat er dir jetzt bei der Party gesagt?", fragt sie. Wahrscheinlich kennt sie die Antwort bereits. Schon wieder bin ich den Tränen nahe. „Dass... Dass er sich prostituiert hat.", werde ich zum Satzende hin immer leiser. Nicole seufzt tief. „Klar ist das jetzt kacke, aber wenn er denn wirklich keine andere Wahl hatte?"
„Man hat immer eine andere Wahl."
„Du kennst doch auch die Geschichten der Leute aus der Suppenküche. Man ist eben so verzweifelt, dass man nicht weiß, was man tun soll. Er hätte schließlich auch irgendwelche Leute ausrauben können oder..."
„Oder er hätte früher mit den Drogen aufhören können."
„Sowas ist immer leichter gesagt als getan Lu. Das weißt du doch ganz genau und offensichtlich bereut er ja auch, was er getan hat."
„Er hätte es mir trotzdem erzählen müssen."
„Klar hätte er das, aber versuch doch mal seine Lage zu verstehen. Er ist einfach extrem verunsichert und weiß nicht, was er hätte tun sollen. Er wurde noch nie wirklich geliebt bisher in seinem Leben und hatte Angst, dass er dich verletzen würde."
Er wurde noch nie wirklich geliebt bisher in seinem Leben.
„Liebst du ihn?", fragt sie mit ernstem Blick, nachdem ich ihr nicht antworte. Ich nicke, unterdrücke die Tränen.
„Dann bring das wieder in Ordnung."
„Und was soll ich deiner Meinung nach tun? Er geht ja nicht an sein Handy und als ich bei ihm war, hat er nicht aufgemacht."
„Vielleicht braucht er einfach ein wenig Abstand. Warte ein paar Tage. Wenn er sich nicht meldet, dann fahr eben nochmal zu ihm nach Hause oder schau, ob er am Bahnhof ist. Irgendwo wird er schon auftauchen."
„Ich weiß nicht..."
„Oder sprich nochmal mit deinen Eltern darüber.", schlägt sie vor. „Meine Eltern? Bist du verrückt?! Sie werden..."
„Sie werden ihn schon nicht hassen Lukas. Deine Eltern sind die liebenswürdigen Eltern in ganz Köln. Sie werden ihm sicher versuchen zu helfen oder mindestens dich unterstützen. Ich denke, du kannst ihnen da vertrauen. Es ist nicht gut in einer Familie Geheimnisse zu haben."
„Ich weiß nur nicht, wie ich es ihnen erzählen soll.", gebe ich zu. „Mach es doch wie bei mir gerade."
„Ich hab' aber Angst."
„Ich weiß, aber die musst du nicht haben.", zwinkert sie mir zu.
„Wie war die Party denn noch?", versuche ich das Thema zu wechseln. „Naja, wie halt Silvesterpartys so sind.", kratzt sie sich an den Händen, doch auf einmal scheint ihr wieder etwas einzufallen, denn sie reißt weit die Augen auf. „Oh Gott! Das hast du ja gar nicht mehr mitbekommen!", grinst sie breit. „Was denn?", frage ich verwirrt und muss ein wenig lachen. „Erik und Nina haben sich geküsst!"
„Wirklich?" Es freut mich wirklich und Nic und ich schlagen miteinander ein. „Ja um Mitternacht! Das hättest du sehen müssen. Nina ist total rot geworden."
„Kann ich mir vorstellen."Nicole bleibt noch länger bei mir. Sie erzählt mir von Erik und Nina und einem Kerl, der die halbe Party mit ihr geflirtet hat und es freut mich, dass sie es schafft mich abzulenken, sodass das Leben wieder leicht erscheint. Darum ist sie eine so gute Freundin.
Dieses Mal ist wohl kein Song dabei. Aber der Trick mit den Spongebob Videos klappt wirklich! Ich spreche da aus Erfahrung! :)
Könnt ihr eigentlich Lu und Jarn nachvollziehen?
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My homeless Romeo [BoyxBoy]
Teen Fiction"Vielleicht stehst du dir einfach selbst im Weg.", flüstere ich leise, worauf er kurz lachen muss. "Aus dir kann noch was werden. Du musst nur an dich glauben." "Sagst du das zu jedem komischen Penner, den du küsst?", lächelt er verschmitzt. "Nur zu...