„Wollen wir nicht lieber... was anderes machen?", schlägt Nicole mit einem Seitenblick zu mir vor, nachdem wir einige Runden gespielt haben. Jarn sieht nervös auf den Boden und kratzt sich an den Händen. „Ich geh' kurz eine rauchen.", sprudelt es aus ihm heraus. Sofort steht er auf, um seine Jacke zu holen.
Alle sitzen wir perplex da und mein Herz beginnt schmerzlich zu stechen. „Also Jarn musste ja quasi immer trinken.", lacht Erik kribbelig. Wahrscheinlich will er die Stimmung aufheitern, was jedoch völlig fehlschlägt. „Was der wohl so erlebt haben..."
Auch ich stehe ohne ein weiteres Wort auf und laufe schnell die Treppe hinunter, um meine Jacke zu holen. Aus dem Augenwinkel kann ich erkennen, dass Jakob mir interessiert nachsieht.
Ich finde Jarn auf der großen Terrasse. Zwar gibt es auch eine große Menge an Leuten, die rauchen oder einfach nur frische Luft holen wollen, doch er steht abseits von ihnen am Geländer, welches eine wunderschöne Sicht auf den Dom bietet. Vereinzelnd steigen schon Raketen den Himmel hinauf. Er schrickt kurz zusammen, als ich auf einmal neben ihm stehe. Eine kleine Weile stehen wir jedoch nur schweigend nebeneinander.„Ich... Ich wollte... von Anfang an dieses dumme Spiel nicht spielen. Ich...", stottert er, doch ich unterbreche ihn. „Warum hast du das alles gemacht? Mir war ja schon klar, dass du um Einiges erfahrener bist als ich, aber das?" Er seufzt schwer. „Das weißt du doch."
„Um ehrlich zu sein, nein." Er wischt sich eine Träne aus dem Gesicht. „Ich hab' dir doch gesagt, dass ich damals mein Geld auf anderen Wegen beschaffen musste." Erneut sieht er zu Boden und mein Herz scheint für einen Schlagauszusetzen.
Ich kann nichts sagen.
„Lukas?"
„Ich... Ich hab' eben gedacht, du hast gedealt oder so." Meine Stimme ist zittrig. „Ich bin ja auch nicht stolz darauf!", verteidigt er sich. Ein paar Leute schielen zu uns hinüber. Schwer atmend stütze auch ich mich am Geländer ab und fahre mir durch die Haare. Ich weiß weder was ich sagen, noch denken soll. Mein Freund war ein verdammter Stricher.
„Hast du Aids?", ist der einzige Satz, der mir gerade einfällt. „Nein. Ich habe mich kurz bevor wir uns getroffen haben testen lassen. Das hätte ich dir nicht angetan."
„Und wie lange hast du das gemacht?" Noch immer muss ich schwer atmen. „Zweieinhalb Jahre etwa. Bis ich dann mit dem Methadonentzug angefangen hab'."
Wieder schweigen wir.
„Du hättest mir das sagen müssen, bevor wir Sex hatten." Irgendwie werde ich wütend. „Wir hatten doch noch nicht einmal richtigen Sex.", dreht er sich zu mir hinüber.
„Ach ja? Für mich war es das aber! Aber klar, kein Wunder, dass es dir nicht soviel bedeutet wie mir. So oft, wie du das schon gemacht hast! Sag schon! Was hättest du dafür bekommen, für das Blasen und Rummachen? Zehn Euro oder doch Fünfzig!?" Immer mehr Leute drehen sich zu uns um, manche gehen auch peinlich berührt in die Wohnung zurück, doch mir ist das egal.
„Jetzt wirst du unfair.", sieht er zum ersten Mal in die Augen. In seinen bildet sich bereits ein Tränenschleier. „Ich bin unfair!? Du hast mich doch angelogen und für Geld in der Gegend rumgevögelt."
„Du weißt genau, dass ich keine andere Wahl hatte!"
„Ich dachte immer du vertraust mir. Warum hast du mir nichts davon erzählt, verdammt?"
„Scheiße versteh das doch! Ich habe mich geschämt! Ich habe mich vor mir selbst geekelt! Noch nie habe ich das jemandem erzählt und so wie du jetzt reagierst, weiß ich auch warum ich das nie gemacht habe!"
Anscheinend hat jemand Jakob geholt, damit er die Situation klärt, denn auf einmal packt er Jarn an die Schulter. „Ich denke, es ist besser, wenn du jetzt gehst.", sagt er ernst und ruhig. „Kein Problem", sieht Jarn zu mir hinauf, „Ich wollte sowieso gerade gehen."
Mit noch mehr Tränen in den Augen stürmt er von der Terrasse, aus der Wohnung hinaus und trotz der lauten Musik hört man die Tür laut zuknallen.
„Ist alles in Ordnung?", höre ich Jakob besorgt fragen. „Ich... Ich muss kurz..." Was ich genau muss, weiß ich jedoch nicht. Schnell verschwinde ich in das Badezimmer, ignoriere dabei alle, die mich perplex anschauen.Schwindelig lehne ich mich ans Waschbecken, spritze mir ein wenig Wasser ins Gesicht, kneife die Augen schmerzhaft zusammen, zähle bis Zehn, doch kann immer noch nicht klar denken. „Scheiße, was ist denn mit dir passiert?", lacht jemand hinter mir. Schnell drehe ich mich um. Ein dünnes, schwarzhaariges Mädchen hängt an der Toilettenschüssel. Ihr dunkelroter Lippenstift ist verschmiert und dem Geruch nach zu urteilen war sie gerade dabei gewesen, sich zu übergeben. „Das gleiche könnte ich dich fragen."
„Ich hab' nur zu viel Bierpong gespielt. Du siehst aus, als hättest du erfahren, dass deine Freundin dich betrogen hat oder so.", grinst sie. „Naja, so ähnlich."
„Scheiße echt!?"
Noch immer benommen setze ich mich neben sie an die Wand. Etwas angewidert sehe ich in die Toilettenschüssel und drücke die Spülung. „Das waren aber einige Runden zu viel."
„Aber deine Geschichte ist doch viel interessanter! Was ist denn passiert?" Sie hat eine unglaubliche Fahne. „Ich denke nicht, dass ich dir das einfach so erzählen kann."
„Morgen kann ich mich doch eh nicht mehr daran erinnern."Und ich weiß nicht wieso, aber ich erzähle diesem mir völlig unbekannten Mädchen die ganze Geschichte: Jarns Drogensucht, die Obdachlosigkeit und Prostitution, der Methadonentzug, unsere Beziehung, die Sozialwohnung.
„Also soweit ich das in meinem Zustand beurteilen kann,", ich glaube, ich kenne keinen, der betrunken noch so gut formulierte Sätze herausbringt, „ist ihm das Alles einfach verdammt peinlich und er schämt sich und er hatte ja anscheinend keine andere Wahl, also warum bist du denn dann so sauer?"
„Er hat mich angelogen."
„Ich hätte das auch keinem erzählt, wenn ich auch den Strich gegangen wär'. Ich denke, er hatte Angst, dass du ich dann eklig findest oder ihn dann nicht mehr willst. Du solltest ihn anrufen. Keiner will an Silvester alleine sein. Es ist noch nicht mal Elf. Das bekommt du noch hin, wenn du dich beeilst."Uhhh... Drama. Hätte das jemand erwartet?
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My homeless Romeo [BoyxBoy]
Teen Fiction"Vielleicht stehst du dir einfach selbst im Weg.", flüstere ich leise, worauf er kurz lachen muss. "Aus dir kann noch was werden. Du musst nur an dich glauben." "Sagst du das zu jedem komischen Penner, den du küsst?", lächelt er verschmitzt. "Nur zu...