Kapitel 36

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Jennie Pov

Während ich hier sitze und darauf warte, dass meine Flugnummer aufgerufen wird, gehen die unterschiedlichsten Gedanken durch meinen Kopf. Ich frage mich, ob die Dinge anders gelaufen wären, wenn ich bestimmte Entscheidungen nicht getroffen hätte und ob ich dann auch glücklich mit meinem Leben wäre. Die Antwort darauf ist vermutlich ganz klar Nein. Denn wenn man es genau betrachtet, war ich mit meinem Leben nicht zufrieden, ich habe eine Lüge gelebt und mir ging es damit nicht gut. Dank Jisoo konnte ich den Mut aufbringen und zu mir stehen und wenn ich die Möglichkeit hätte, die letzten Monate wieder zu durchleben und andere Entscheidungen zu treffen, würde ich absolut nichts anders machen.

Traurig bin ich. Ich kann gar nicht in Worte fassen, wie traurig ich bin und obwohl die Trauer inzwischen der Wut überliegt, habe ich keine einzige Träne vergossen, stattdessen fühle ich mich ein wenig verloren und leer. Es fühlt sich an, als wäre ich vollkommen ausgelaugt, als würde ich nicht einmal genug Kraft aufbringen, um überhaupt eine Träne vergießen zu können.

Ich denke an meine Freunde, daran, dass ich mich nicht richtig verabschieden konnte. Denke an Kibum, an Minhee und selbstverständlich auch an Jisoo. Mein Herz schmerzt bei dem Gedanken an sie und das, obwohl ich immer noch unglaublich wütend sein sollte, für das, was sie getan hat. Ich habe mich ihr anvertraut und war kurz davor, ihr meine Gefühle zu offenbaren und das hat sich als Fehler herausgestellt, denn letztendlich wurde ich einfach nur verletzt. Dass ich jetzt hier sitze, ganz alleine und darauf warte in ein anderes Land zu fliegen, um dort ein neues Leben zu beginnen, ist einerseits gut, weil ich so all das hier nicht mehr ertragen und somit an meinen Schmerz erinnert werden muss. Anderseits jedoch bereitet es mir ein seltsames Gefühl in der Magengegend.

Es fühlt sich so an, als wäre ich dabei mit einem wichtigen Abschnitt meines Lebens abzuschließen und das, obwohl noch so viele Fragen da sind, die beantwortet werden müssen. So viele Dinge, die geklärt werden müssen. Es fühlt sich einfach nicht richtig an und der Fakt, dass ich daran nichts mehr ändern kann, bereitet mir Unwohlsein.

Allmählich wird es hier voller und ich hebe den Blick, schaue mich um und lehne mich leicht zurück, während ich durchatme. Die Ärmel meines Hoodies ziehe ich über meine Hände und als schließlich mein Flug aufgerufen wird, nicke ich mir innerlich zu, stehe auf und marschiere mit meinem Koffer in Richtung Passkontrolle. Lange muss ich nicht in der Schlange warten und als ich schließlich an der Reihe bin, meinen Pass zeige so wie all die anderen Papiere, möchte ich auch weiter gehen. Zwischen meinem neuen Leben und mir steht nicht mehr viel, zumindest denke ich das für einen Moment, denn als ich schließlich eine Stimme wahrnehme, die nicht nur einmal, sondern mehrere Male meinen Namen ruft, drehe ich den Kopf nichts ahnend zur Seite und erblicke eine Person, die mir das Gegenteil beweist.

Ich blende alle Menschen um mich herum aus und sehe nur noch sie. Tatsächlich frage ich mich für eine Sekunde sogar, ob mein Verstand mir einen Streich spielt, aber mir wird schnell bewusst, dass das hier die Realität ist und nicht ein Produkt meiner Fantasie.

Auf meinem Gesicht zeichnet sich pure Verwirrung aus, ich schaue sie an und sie mich und für einen Moment überlege ich auch, einfach den Kopf wieder nach vorne zu drehen, weiterzugehen und sie zu ignorieren, doch irgendetwas hält mich davon ab. Und als sie schließlich näher auf mich zukommt, vollkommen aus der Puste, und mein Handgelenk umfasst, als wäre es ihr einziger Halt, die Worte „Jennie, warte", murmelt und mich mit einem Blick anschaut, den ich nicht beschreiben kann, passiert etwas mit mir.

Mein Blick gilt dem Boden, ich beiße mir auf die Unterlippe, was dem Zweck gilt, nicht in Tränen auszubrechen, denn ihre plötzliche Anwesenheit löst genau dieses Bedürfnis in mir aus. Ich wehre mich auch nicht, als sie mich schließlich etwas zur Seite zieht und sich mir direkt gegenüberstellt. Während sie sich einige Sekunden nimmt, um durchzuatmen, schüttle ich meinen Kopf leicht, versuche wieder klaren Gedanken zu fassen und bevor sie etwas sagen kann, tue ich es.

„Was willst du hier, Jisoo?", bringe ich leise, aber dennoch kühl über die Lippen und hebe schließlich den Blick, um sie anzusehen. Mit dem, was ich schließlich sehe, hätte ich genauso wenig gerechnet, wie damit, dass sie hier auftaucht.

Ihre Augen sind groß und glänzen, während sie unfassbare Trauer widerspiegeln. Ihre Lippen beben, als sie mich mit diesem verzweifelten Ausdruck anschaut und sich schließlich an meinem Hoodie krallt, als könnte sie damit verhindern, dass ich verschwinde.

„Bitte, Jennie, geh nicht", bringt sie hervor, wobei sie anfängt ihren Kopf zu schütteln. Obwohl mein Herz sich bei dem bloßen Gedanken, sie verlassen zu müssen, zusammenzieht, weiß ich, dass ich keine andere Möglichkeit habe. Stattdessen sehe ich das hier als Chance, um mit diesem Kapitel meines Lebens abzuschließen.

„Ich weiß nicht, wieso du hier bist und was du plötzlich von mir möchtest. Es hat dich auch nicht interessiert, als ich versucht habe dich anzurufen, weil es mir schlecht ging. Oder als ich dir die ganzen Nachrichten geschrieben habe, weil ich dich gebraucht habe. Es hat dich genauso wenig interessiert, dass du mich verletzt hast, du unser Versprechen füreinander einfach mit den Füßen getreten hat, als wäre es nichts und ohne eine einzige Erklärung wieder zurück zu Soojin gegangen bist." Nun reiße ich mich etwas von ihr los, sodass sie sich nicht mehr an mir festhalten kann. „Du hast dich entschieden, Jisoo und ich habe es genauso. Also sag mir nicht, dass ich nicht gehen soll, denn du hast absolut kein Recht dazu, das von mir zu verlangen."

Sie kommt auf mich zu, doch ich trete einen Schritt zurück und schüttle mit dem Kopf, was sie schließlich nur noch verzweifelter werden lässt. Sie fährt sich mit beiden Händen übers Gesicht, atmet durch und die Zeit lasse ich ihr auch noch, dann beginnt sie zu sprechen.

„Die ganze Zeit habe ich versucht, das Richtige zu tun und ich habe es auch für das Richtige gehalten, als ich für Soojin da gewesen bin, weil ich das Gefühl hatte, ihr das schuldig zu sein. Aber nun ist mir klar geworden, dass ich in den letzten Wochen alles falsch gemacht habe. Ich verstehe es jetzt." Sie macht wieder einige Schritte nach vorne und diesmal lasse ich es auch zu. Auch, als sie schließlich ihre Hand hebt und sie auf meine Wange legt, während sie den Tränen nahe steht. „Du glaubst nicht, wie schlecht ich mich fühle, dafür, nicht für dich da gewesen zu sein. Dafür, dich so verletzt zu haben und könnte ich es ändern, würde ich es auf der Stelle tun, aber das geht leider nicht. Es gibt keine Entschuldigung dafür; keine Rechtfertigung und du liegst richtig, ich habe kein Recht dazu, von dir zu verlangen, hier zu bleiben. Aber das tue ich trotzdem. Ich bitte dich hier zu bleiben, ich bitte dich um eine zweite Chance und das aus einem einzigen Grund."

Nun nimmt sie mein Gesicht in beide Hände, schaut mir direkt in meine Augen und streichelt mit ihren Daumen über meine Wangen. „Ich liebe dich, Jennie. Ich liebe dich so sehr und nur dich, du bist es die ganze Zeit über gewesen. Gib mir die Möglichkeit, es dir zu zeigen, es diesmal richtig zu machen. Bitte... gib uns nicht auf. Bleib hier, bei mir. Ich flehe dich an und wenn es sein muss, gehe ich vor dir auf die Knie, ich tue alles, sag mir einfach nur was." Die letzten Worte sind lediglich ein Hauchen, als sie schließlich ihre Stirn gegen Meine lehnt, woraufhin ich schmerzerfüllt die Augen schließe.

Sie hat mich wirklich verletzt, mit dem, was sie getan hat und ich habe mir vorgenommen, heute in diesen Flieger zu steigen und sie zu vergessen, ganz egal, wie schwierig es werden würde. Ich wollte sie, meine Eltern und alles andere hinter mich lassen, ganz gleich, ob ich dafür das Leben in Japan in Kauf nehmen müsste. Ich war bereit, diesen Preis zu zahlen, um vor meinen Problemen fliehen zu können. Sie hier jetzt zu sehen, wie sie mich um eine zweite Chance bittet und mich anfleht, nicht zu gehen, ändert jedoch einiges. Wie sie mir ihre Gefühle gesteht, mit einer Aufrichtigkeit, die mir schon fast eine Gänsehaut über den Körper jagt, lässt mein ganzes Vorhaben mit einem einzigen Atemzug komplett verblassen.

Jetzt, wo sie hier ist, ich ihre Wärme und ihre Stimme wahrnehmen kann, all das, wonach ich mich in den letzten Tagen gesehnt habe, lässt mich einsehen, dass ich sie nicht zurücklassen will. Ich möchte kein neues Leben ohne sie, möchte sie nicht vergessen und auch nicht mit ihr abschließen. Das hier soll nicht unser Ende, sondern unser Anfang sein. Und deshalb bin ich auch bereit dazu, ihr zu verzeihen und das zu geben, was sie von mir verlangt.

Nämlich eine zweite Chance.

Deshalb hebe ich auch meine Arme, schlinge sie um ihren Körper und drücke diesen an meinen Eigenen, während ich mein Gesicht schließlich in ihrer Halsbeuge verstecke. „Bleib einfach nur bei mir", bringe ich schließlich leise und mit brüchiger Stimme über die Lippen.

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Partnerstory written by @riawinchesterx & @elijeon

TIPTOE || JensooWo Geschichten leben. Entdecke jetzt