Kapitel 22

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Jennie Pov

Müde öffne ich meinen Spind und lege die Bücher, welche ich für die ersten zwei Stunden benötigte und somit in meinem Arm ruhen, hinein. Englisch ist zwar eines meiner Lieblingsfächer, allerdings konnte ich mich heute überhaupt nicht konzentrieren. Die Geschehnisse der letzten Tage und auch die Tatsache, dass ich nur paar Stunden geschlafen habe, sind der Grund dafür. Aber jetzt habe ich ja Pause, kann mich an einem Tisch mit meiner besten Freundin, meinen Freund und dem Neuen setzen, etwas essen und den Kopf ein wenig freikriegen. Schade, dass ich heute noch nicht trainieren kann, denn wenn man mal davon absieht, dass Miss Soojin permanent an mir rummeckert und mich damit stresst, finde ich meine innere Ruhe, wenn ich tanze.

Gerade, als ich die Bücher für die nächsten Stunden hinausnehmen möchte, um nach der Pause nicht noch einmal hierher kommen zu müssen, nehme ich eine Präsenz direkt neben mir wahr. Ehe ich mich zur Seite drehen und ins Gesicht dieser Person schauen kann, spüre ich kalte Finger um mein Handgelenk, wie meine Hand vom Spind entfernt wird und schließlich auch, wie unsere Finger sich miteinander verschränken.

Meine innere Stimme möchte mir bereits sagen, um wen es sich handelt und obwohl ich es mir bereits denken kann, überrascht es mich, als ich schließlich direkt neben mir Jisoo sehe. Ihr Blick ist nicht, wie sonst, sie wirkt nicht entspannt oder glücklich, nicht wütend oder gleichgültig, sondern irgendwie besorgt.

„Wir müssen reden, Jennie." Mein Blick ist auf ihren Lippen gerichtet, als sie diese Worte ausspricht. Es vergehen einige Sekunden, in denen wir lediglich so dastehen, es wirkt, als würde sie auf meine Zustimmung warten. Um ehrlich zu sein, weiß ich nicht so genau, was sich im Moment abspielt, wann sie hergekommen ist und wieso sie plötzlich auf mich zukommt. Nachdem ich sie rausgeworfen habe, dachte ich eigentlich, sie wäre sauer auf mich, dass sie mich nicht sehen oder sprechen möchte und meinen Mut, sie anzuschreiben und somit den ersten Schritt zu machen, habe ich auch nie gefunden. Demnach haben wir seitdem kein Wort mehr ausgetauscht, meine Gedanken waren jedoch permanent bei ihr.

Ohne noch lange darüber nachdenken, nicke ich als Zustimmung, woraufhin sie den Druck in meiner Hand etwas verstärkt und auch leicht nickt. „Aber nicht hier", murmelt sie und zieht mich schließlich etwas mit sich, nachdem ich die Tür meines Spinds noch zugeknallt habe.

Wir gehen nach oben in den ersten Stock, laufen durch einen leeren Flur und wenige Minuten später stehen wir in einer ruhigen Ecke. Weit und breit ist kein Schüler zu sehen, da alle während der Pause entweder draußen sind - insbesondere, wenn das Wetter angenehm ist -, oder in der Kantine.

Mit dem Rücken lehne ich gegen die Wand, während sie direkt gegenüber von mir steht. Ich weiß, ich müsste jetzt auch bei meinen Freunden in der Kantine sein, da sie vermutlich sogar schon auf mich warten, aber daran ist im Augenblick einfach nicht zu denken. Das hier, Jisoo, ist einfach viel wichtiger. Es entsteht eine kurze Stille und ich muss schlucken, wende den Blick jedoch nicht von ihr ab. „Bist du nicht sauer auf mich?", frage ich leise, erhalte daraufhin zunächst ein Seufzen, dann jedoch ein Kopfschütteln und obwohl ich erleichtert sein sollte, geht das in dieser Situation nicht besonders. Auch ich muss seufzen, richte den Blick dann doch auf den Boden und beginne nervös mit meinen Fingern zu spielen. Ich weiß, sie möchte über uns sprechen, nur weiß ich nicht, ob ich gerade auch wirklich bereit dazu bin.

„Jennie", murmelt sie, als sie zwei Finger unter mein Kinn legt und meinen Kopf wieder anhebt, sodass wir uns wieder anschauen. Sie ist mir etwas näher gekommen, fängt schließlich damit an mit ihrer Hand über meine Wange zu streicheln. Ihre Fingerkuppen fahren zaghaft über meine Schläfe, dann über meine Wange, während ihr Daumen die Kontur meiner Unterlippe langfährt. „Ich kann das nicht länger", meint sie leise, doch bevor ich nachhaken kann, spricht sie weiter.

„So tun, als könnte ich einfach nur mit dir befreundet sein. Als würdest du mir nicht viel mehr bedeuten. Als würde deine Nähe mich nicht verrückt machen und ich nicht durchgehend an dich denken muss. An deine Stimme, deine wunderschönen Augen und deine zarten Lippen und dem Gefühl, wenn ich sie mit Meinen berühre." Ihre Worte lassen mit einem Mal mein Herz so schnell schlagen, dass ich vermute, gleich umzukippen. Meine Beine fühlen sich wie Wackelpudding an, ich bin mir sicher, dass ich sogar bereits ein wenig zittere. Für einen Moment vergesse ich sogar zu atmen, das Alles hier führt sich einerseits an, wie der schönste Traum, aus dem ich nicht mehr erwachen möchte, aber gleichzeitig auch wie der größte Albtraum, der so schnell enden soll, wie nur möglich.

„Du bist soviel mehr für mich, Jennie. Ich kann nicht mehr so tun, als wäre dem nicht so und das möchte ich auch überhaupt nicht mehr. Das zwischen uns...", erklärt sie mir, richtet ihren Blick nach unten und verschränkt unsere Finger wieder miteinander, was ich wie in Trance zulasse. „Das ist nicht nur Freundschaft", beendet sie ihren Satz. „Ich weiß, dass du es genauso siehst, ich fühle und sehe es. Du wehrst dich aber so sehr dagegen. Du kümmerst dich darum, was andere davon halten, anstatt auf dein Herz zu hören und dich von deinen Gefühlen leiten zu lassen. Du stellst dich hinter allen anderen und solange es denen gut geht, lässt du alles über dich ergehen. Wieso bist du nur so selbstlos? Wieso hast du so große Angst davor, du selbst zu sein?"

Da ist er wieder. Dieser Blick voller Sorge, mit welchem sie mich anschaut. Ein weiteres Mal muss ich leer schlucken und ich kann bereits spüren, dass meine Augen glasig werden, als ich die Augen leicht zusammenkneife, um nicht in Tränen auszubrechen und die Lippen aufeinanderpresse. Diesmal bin ich diejenige, die ihre Hand ein wenig drückt, nicht in der Lage etwas zu sagen. Sie lehnt ihre Stirn gegen Meine, hebt ihre andere Hand und führt sie zu meinem Nacken. „Möchtest du das nicht auch? Keine Lügen mehr, kein Verstecken und keine Unterdrückung deiner Gefühle. Ich möchte an deiner Seite, für dich da sein und mich um dich kümmern, dich beschützen", wispert sie. „Denk wenigstens für einen Moment nicht an die anderen, sondern sag mir, was du möchtest."

Alles an ihr beruhigt mich eigentlich und dennoch stehe ich jetzt hier und weiß nicht wohin mit den ganzen Empfindungen, die auf mich einstürzen. Einen kurzen Augenblick stehe ich wirklich davor, es zu sagen, ihr mitzuteilen, was ich möchte. Aber ihr Auftreten, ihre Worte - ich habe mich noch nie so überfordert gefühlt, wie in diesem Moment. Ich realisiere das alles nicht einmal richtig, es fühlt sich so surreal, so unecht an.

Dennoch möchte ich sie nicht so stehen lassen und obwohl mir selbst das sprechen gerade schwer fällt, schlucke ich noch ein weiteres Mal, öffne die Augen und schaue direkt in ihre Eigenen. „Gib mir bitte etwas Zeit, Jisoo. Ich kann dir nicht einfach jetzt sofort eine Antwort geben..."

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Partnerstory written by @riawinchesterx & @elijeon

TIPTOE || JensooWo Geschichten leben. Entdecke jetzt