Nach dem mehr oder minder gruseligen Abend zu sechst, war Kagami-chan endlich wieder zu Hause.
Das war die reinste Zerreißprobe. Die Jungs waren alle dageblieben und so teilten sich die Teenager einfach ein paar Matten. Ansich war das kein Problem, auch wenn sie alle in einem Raum schliefen, weil Kaiou der Rosahaarigen die Story noch weiter ausgeschmückt hatte und diese sich in Grund und Boden fürchtete.
Was für ein Horror, dieser Horrorabend.
Das alles interessierte die Fotografin überhaupt nicht, ihr größtes Problem bestand lediglich aus einer einzigen Person und zwar Aomine. Der es sich einfach nicht nehmen lassen konnte, die Rothaarige weiter zu necken und zu provozieren und das ausgerechnet während die anderen quasi direkt daneben lagen.
Der Power Forward hatte es sich zur Aufgabe gemacht, eine seiner Hände immer mal wieder in ihrer Hose verschwinden zu lassen und da er eiskalt war, schreckte und zuckte sie jedes Mal hoch. Das was sie daran am meisten ärgerte war, dass sie ihn nicht mal anmotzen konnte, da die anderen schon schliefen, also war sie gezwungen ihn bei jedem weiteren Versuch in den Handrücken zu zwicken, bis ihm vermutlich die Hand weh tat und er es endlich unterließ.
Nun, da sie wieder zu Hause war, stand sie, ihr Spiegelbild kritisch musternd, da und fuhr mit ihren Fingerspitzen über die Bissspuren und den Knutschfleck.
»Das darf doch nicht wahr sein«, knurrte sie genervt. »Dieser sadistische Schweinehund.«
Das würde er ihr büßen müssen, soviel war sicher.
Reichte es ihm nicht, dass sie durch die kaputte Nase ohnehin total zerstört aussah, auch wenn es nicht mehr ganz so fürchterlich aussah? Musste er ihr da wirklich noch so ein offensichtliches Leid antun?
Schlecht gelaunt griff sie nach einem dunkelgrünen Palituch und legte sich dieses um den Hals.
So war es nicht ganz so auffällig, dass sie etwas versteckte, da es mehr oder minder sowieso etwas wie ein Accessoire war.
Genervt stöhnte sie auf, bald stand das Weihnachtstreffen mit den anderen Schulen an. Von einem Horror-Abend in den Nächsten. Na das konnte ja was werden.
Derweil hatte der blauhaarige Power Forward ganz andere Probleme um die er sich kümmern musste. Samstag, ruhen und nichts tun. Ha! Schön wär es.
Wie lächerlich war das denn? Da war seine Mutter schon Inhaberin und Geschäftsführerin eines Ladens und hatte nicht einmal ein paar Haushaltstücher und Orangen. Also manchmal kam es ihm so vor, als wolle sie ihn loswerden und schickte ihn deshalb auf diese unnötigen Botengänge. Ob Kagami-chan das auch tun musste? Apropos Kagami-chan, die Fotografin hatte allem Anschein nach heute keinen Dienst. Also machte er gerade ihren Job.
Großartig. Ganz toll!
Als hätte er nicht besseres mit seiner Freizeit anfangen können.
Nun stand er hier vor den Stiegen mit den Orangen und musterte jede einzelne kritisch.
Seine Mutter hatte aber auch wirklich manchmal Extrawünsche. Fehlte nur noch, dass sie die passenden Namen für das Obst aufschrieb, "du bist Ryo, ... du Shota und so weiter", und er die Orangen nach der Oberflächenbeschaffenheit der Schale aussuchen müsse.
Ätzend.
Leicht genervt nahm er sich eine Plastiktüte und begann ein paar Orangen hineinzulegen, bis ihn eine bekannte Frauenstimme ansprach und aus seiner anbahnenden schlechten Laune herausriss.
Überrascht wandte er sich der Frau entgegen, die ihn sogleich freundlich anlächelte.
»Hallo, Aomine-kun«, sagte sie zuckersüß und lächelte ihn frech feixend an.
Augenblicklich schoss ihm völlig unvorbereitet die Röte in die Ohren. Das hatte ihm gerade noch gefehlt. Kagami-chans Tante Mayu.
»Hallo«, entgegnete er eher Wortkarg und hoffte, dass sie in Eile war. Nach der Aktion im Zimmer der Fotografin war ihm eigentlich nicht danach ihrer Tante zu begegnen. Zumal ihm das ungewöhnlicher Weise wirklich peinlich war. Zugegeben, wem war es schon sonderlich angenehm, wenn einem der Erziehungsberechtigte eine Packung Kondome gegen den Kopf warf?
»Du erledigst Einkäufe?«, fragte sie und wollte wohl Smaltalk betreiben, doch er nickte lediglich und versuchte ihrem Blick auszuweichen. Bei Kagami-chans Tante war es ihm, als wäre er noch einmal acht und seine Großmutter würde vor ihm stehen und ihn maßregeln. Sie hatte diese erzieherische, fast erhabene Aura, die sie verdammt autoritär machte. Und das immer dann, wenn er nicht darauf vorbereitet war. Man müsse meinen er wäre durch seinen Vater abgehärtet, aber diese Frau war etwas
ganz anderes.
»Sag mal, Aomine-kun. Hast du ein wenig Zeit? Ich würde mich gerne einmal mit dir unterhalten, jetzt wo ich dich gerade hier treffe. ... Auf neutralem Boden.«
Was war denn das plötzlich für ein Gefühl, was sich in seinem Magen breit machte und sich dort versuchte festzusetzten? Es war, als hätte man ihn zum Schuldirektor beordert, nur war das schlimmer, denn der Schuldirektor war ihm einerlei.
»Also ehrlich gesagt ...«, begann der Hüne, doch da schnappte sich Mayu den Schüler bereits am Arm, indem sie sich bei ihm einhenkelte und zerrte ihn unbeirrt erst in den Laden um zu bezahlen und dann wieder hinaus auf die Straße, wo sie das nächste Café ansteuerte.
Es war ein kleines Café, nicht sehr überlaufen und sehr überschaubar. Außer der Schwarzhaarigen und dem Power Forward, waren nur noch ein paar Mädchen in seinem Alter da und ein älterer Herr, der in seiner Zeitung las und den Blick nicht von der Zeitung hob, selbst als die Bedienung bei ihm stand und fragte, ob alles in Ordnung sei.
»Setz dich«, sagte sie, als der Blauhaarige total unschlüssig an dem kleinen Tisch in dem Café stand.
Wieso fühlte er sich plötzlich als hätte man ihn entführt und gegen seinen Willen hier her gezerrt? Ganz einfach, weil es irgendwie genauso war.
Sie selbst hatte sich bereits der Jacke und ihres Schals entledigt und sich gesetzt, während sie Aomine erwartungsvoll musterte.
»Ich beiße nicht, keine Sorge. Ich will mich wirklich nur mit dir unterhalten. Du weißt schon, ... so von Tante zu Freund der Nichte«, sie selbst schien wohl bemerkt zu haben wie unsinnig sie sich ausgedrückt hatte, auch ohne den leicht missmutigen Blick des Power Forwards.
»Wie dem auch sei. Es muss dir nicht unangenehm sein«, sagte sie erneut und deutete auf den Platz vor sich. Mit einem ergebenden Seufzen setzte er sich schließlich und legte auch seine Jacke ab.
Das konnte ja heiter werden. Sich innerlich wappnend straffte er unbewusst seine Haltung etwas und versuchte nicht ganz so unsicher zu wirken.
Sie selbst hatte sich schon die Bestellkarte genommen und ließ ihren Blick darüber schweifen, was sie nicht davon abhielt weiter mit ihm zu reden.
»Habt ihr beide schon was geplant?«, fragte die Schwarzhaarige völlig aus dem Kontext gerissen, was ihn auch erst eine Weile stutzen ließ.
»Was sollten wir planen?«, fragte er ehrlich unwissend.
»Die Feiertage«, sagte sie kurz und lächelte schief während sie weiter die Karte durchblätterte.
»Ähm, ... also eigentlich haben wir nichts geplant«, sagte Aomine wahrheitsgemäß, da er noch nichts von Kaious und Momois Plänen wusste.
»Also bei uns war es so, dass wir mit engen Freunden oder Klassenkameraden weggegangen sind. Die Ferien langsam eingeläutet haben.«
»Nicht, dass ich wüsste, aber ich hab auch nicht sonderlich viel mit den anderen zu tun.«
Verstehend nickte Mayu und blätterte weiter.
»Und Silvester?«
Silvester?! Soweit hatte er noch überhaupt nicht gedacht.
Verdammt, was wollte diese Frau nur von ihm?
»Nein, auch noch nichts.«
»Naja, Themawechsel«, sagte sie nun noch heiterer, legte die Karte bei Seite und faltete ihr Hände. »Dir scheint es ja wirklich ernst mit ihr zu sein.«
Ehrlich überrascht über diese Äußerung sah er sie an, was sie dazu brachte, sich selbst bestätigend, mit dem Kopf zu zunicken.
»Erinnerst du dich noch daran, als ich dich gefragt habe, als was man dich bezeichnen sollte?«, fragte sie. Da schlich sich ganz heimlich die Erinnerung ein wenig in sein Unterbewusstsein und er nickte kurz.
»Ich denke, ich lag gar nicht so verkehrt. Das liege ich in den wenigstens Fällen, gerade wenn es um meine Nichte geht.«
Langsam wurde es ihm aber ein wenig unangenehm, wenn sie nicht bald sagte, was sie wollte, würde er vermutlich einfach aufstehen und gehen.
»Was ich dir eigentlich sagen wollte, was ich aber in der damaligen Situation etwas unangebracht fand, war, sei froh das ich es war, die dir die Packung an den Kopf geworfen hat«, schmunzelte sie.
Nun stieg ihm die Röte in den Kopf, und er war zum ersten Mal unglaublich dankbar den Teint seiner Mutter zu haben, so war es vermutlich nicht ganz so offensichtlich.
»Wieso?«, fragte Aomine etwas zerknirscht.
»Stell dir vor, es wäre ihr Vater gewesen, oder ihre Mutter«, säuselte sie. »Ich denke das wäre peinlicher geworden.«
»Nichts anderes als mit meinem Vater«, versuchte er so gleichgültig wie möglich zu antworten, da wurde Mayu hellhörig.
»Dein Vater? Soll das heißen, dass ...«, doch da hatte sie bereits erneut ein schmieriges Grinsen im Gesicht und ihm wurde bewusst, was er soeben ausgeplaudert hatte.
Scheiße. Was war das denn?, schoss es durch seine Gedanken und er griff sich mit der Hand an die Stirn. Was für eine Meisterleistung. Was ist denn in letzter Zeit nur los?
Ein leises Kichern drang an seine Ohren.
»Das brauch dir nicht peinlich sein, das passiert in den besten Familien und gehört leider auch irgendwie dazu«, sagte sie einfühlsam, ohne das jedoch das Grinsen verschwand.
Irgendwie war es ihm wesentlich angenehmer, als sein Vater wirklich mit ihm Bad stand, als dieses Gespräch. Womit hatte er das verdient?
Aber plötzlich fiel ihm etwas ein und das half ihm über die Verlegenheit hinwegzukommen.
»Was ist eigentlich mit ihren Eltern?«, fragte er plötzlich ernst.
Er hatte sich schon oft gefragt, was es mit ihren Eltern auf sich hatte, schließlich wohnte sie ja nicht ohne Grund bei ihrer Tante und so viel er wusste wohnte ihr Bruder sogar alleine.
»Hat sie dir das nicht erzählt?«, fragte Mayu nun überrascht.
»Nein. Wenn ich ehrlich sein soll, weiß ich eigentlich nur von dir und ihren Bruder.«
»Ihre Eltern leben und arbeiten in Amerika, das ist der Grund weshalb Tai-kun damals auch für eine Zeit dort lebte und zur Schule ging. Ich denke Tai-kun ist auch wegen meinem Bruder zurückgekommen, er kann auf Weilen ziemlich streng sein. Er meint es nicht böse, aber es ist nicht leicht für die beiden einen so konsequenten Vater zu haben.«
»Konsequent?«
»Nun, er weiß was er will ... und da steht die Familie auch schon mal hinten an.«
Kurz unterbrach die Bedienung die beiden und Mayu gab ihre Bestellung auf. Als die Kellnerin wieder gegangen war sprach die Schwarzhaarige weiter.
»Ich will nicht hetzerisch klingen, oder ihren Vater schlecht machen, aber er vernachlässigt seine Familie und leider ist meine Schwägerin nicht besser. Sie stellen ihre Arbeit über das Wohl ihrer Kinder und das finde ich persönlich nicht in Ordnung. Ich denke auch, dass Haruka sich mit neuen Bekanntschaften und Freunden so schwer tut, weil sie es nun mal nicht besser vorgelebt bekommen hat.«
»Aber sie wohnt bei dir«, bemerkte er kurz.
»Seit etwas mehr als zwei Jahren, ja. Und wenn ich ehrlich zu dir sein darf, ... ich glaube ich hatte es schon einmal gesagt, ... ich bin froh, dass ich sie auf die Tōō-High geschickt habe, ... ihr habt sie aus ihrem Schneckenhaus geholt und ...«, sieh hielt kurz inne und schenkte ihm ein sanftmütiges Lächeln. »... du tust ihr wirklich gut. Ich weiß, sie ist in ihrem Wesen etwas schwierig, aber es freut mich einfach zu sehen, wie sie sich in der Zeit in der ihr euch kennengelernt habt, verändert hat.«
Und wieder fuhr ihm eine leichte Röte in die Ohrspitzen. Das was Mayu-san sagte, verschlug ihm schier die Sprache. Er selbst hatte es gar nicht aus diesem Blickpunkt gesehen. Wie auch? Aus seiner Perspektive war sie ihm einfach in die Arme gefallen, mit ihrer Geheimwaffe der Kamera "Letti" bewaffnet und mit ein Haufen Ärger im Schlepptau. Nachdenklich ließ er sich Mayus Worte noch einmal durch den Kopf gehen. Bis sie ihn kurz anstieß und erneut schmierig angrinste und kurz zuzwinkerte.
»Aber vergesst beim nächsten Mal bitte dennoch nicht die Verhütung.«
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Alter Ego
Fanfiction[Fortsetzung zu "Camera Obscura"] Nachdem sich mehr oder weniger der heimtückische "Alltag" bei Aomine und Haruka eingeschlichen hat, kommt es für die beiden sonst so verbal-schlagfertigen Streitsuchtis richtig dicke. Denn ganz unerwartet scheint si...