Kapitel 57

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Die Taubheit verging nicht. Nicht an dem Tag, an dem wir uns trennten und auch nicht Wochen später. Ich fühlte nichts und ich wollte nichts fühlen. Diese Taubheit war absurd. Sie hatte mich daran gehindert Dinge zu tun die ich sonst gemacht hätte. Sie verhinderte, dass ich auch nur eine Träne vergoss, von denen ich schon so viele für halb so schlimmes vergossen hatte. Sie verhinderte es, dass ich einen Schmerz in der Brust fühlte. Sie verhinderte aber auch, dass ich jetzt so vieles gar nicht mehr richtig wahrnahm. Meine Freunde,  meine Umwelt , einfach so viel.  Die Taubheit ließ mich zu Siarras Entschuldigungen, das sie an allem Schuld sei und sie uns auseinander gebracht hatte nur stumm den Kopf schütteln und ihr mit meiner jetzt schon gewohnten monotonen Stimme sagen, das alles in Ordnung sei und ich ihr an nichts die Schuld gab. Und nicht nur meine Stimme war jetzt monoton, sondern alles andere auch. Mein Atem, der früher jedes Mal ausgesetzt hatte, wenn ich Luc sah und an ihn dachte und dann in ein hektisches aufgeregtes Atem herüberwechselte , war nun nur ein stilles Ein- und Ausatmen. Mein Herz, dass so oft herausgesprungen wäre voller Freude, war jetzt nur ein regelmäßiges Pochen, das meinen Körper noch am Leben hielt. Und die Stimmen in meinen Kopf, die mich in den Wahnsinn gebracht hatten. Die mich zu Entscheidungen gezwungen hatten und die mir schöne Erinnerungen gezeigt hatten, waren nur noch stilles Geflüster, die ich kaum wahrnahm. Ich war ein gefühlsloser Roboter und es war in Ordnung. 

Luc sah ich nicht mehr, seit dem Tag an dem wir uns trennten. An dem Tag, an dem ich diese Taubheit spürte. An dem Tag , an dem ich nach Hause ging, auf meinem Bett saß, in die Leere starrte und sich die Taubheit immer mehr ausbreitete. Sia war gekommen, sobald sie es erfahren hatte und hatte mich mit Entschuldigungen und Schuldgefühlen bombardiert, aber ich blieb einfach sitzen und starrte in die Leere. Sia ging, ich aß zu Abendessen und ging schlafen. Und genau so war es dann jeden Tag. Ich ging zur Schule, kam nach Hause, machte meine Hausaufgaben, ging Essen und dann zu Bett. Jeden Tag , wie eine einprogrammierte gefühlskalte Maschine. Ein normales monotones Leben mit der Taubheit als meinen ständigen Begleiter. Die Versuche meiner Freunde, mich wieder in die Alte zu verwandeln, versagten kläglich. Ich gewöhnte mich an diesen Ablauf meines Lebens, denn irgendwie war es ja doch genauso gewesen bevor Luc und mir. Oder? Hatte ich mich nicht genauso verhalten, bevor Luc und ich zusammenkamen? Zumindest wollte ich mir das einreden. Ebenso redete ich mir ein, dass es doch irgendwie eine gute Zeit war in der wir uns getrennt hatten, denn jetzt konnte ich mich voll auf die Schule konzentrieren. Ich bewegte mich nämlich auch langsam auf mein Ende meiner Schulkarriere zu, dass soviel hieß wie durchgehendes Lernen und Gedanken über meine berufliche Zukunft machen. Und das hieß wiederum, dass ich keine Gedanken für andere Sachen oder Menschen verschwenden konnte. Ich verbrachte also die meisten Tage in meinem Zimmer, vor meinem Schreibtisch. Und selbst wenn ich alle Aufgaben für die Schule erledigt hatte, suchte ich zwanghaft neue Aufgaben die ich erledigen konnte. Sowie alle Notizen wieder neu aufzuschreiben, weil meine alten Notizen "immer noch nicht zu sauber geschrieben waren". Bei Siarra hatte ich mich auch lange nicht mehr blicken lassen, auch wenn ich sie jeden Tag in der Schule sah. Aber sie kam jetzt öfters zu mir rüber und redete soviel, von dem ich aber nur die Hälfte wirklich wahrnahm. Genau wie an diesem Tag. Ich hatte an irgendwelchen Aufgaben in Biologie gesessen und mir Informationen aus dem Buch durchgelesen, die rein gar nichts mit der eigentlichen Aufgabe zu tun hatten, als es an der Tür klingelte. Ich hörte wie die Hausschuhe meiner Mutter durch den Flur schlürften und das schließen einer Tür. Bis dahin war mir schon bewusste, das es sich um Sia handeln musste, denn sie hatte eine eigene Art zu klingeln. Es war immer ein kurzes Tippen der Klingeln aber doch noch so schnell genug, das man das kurze zuckende Geräusch der Klingel hörte. Also lehnte ich mich seufzend zurück und wartete darauf ,dass meine Tür mit irgendwelchen enthusiastischen Worten ihrerseits aufgerissen wurde und sie sich wie immer an die Fotowandecke setzte. Doch nun klopfte sie kurz an die Tür bevor sie mit Bedacht hereintrat. Sowas hatte ich bis zu diesem Zeitpunkt von ihr noch nie in meinem Leben  gesehen. Sowas kannte ich einfach nicht von hier. Irgendwas war hier komplett schief an der Situation  und als ich dann sah, dass sie hinter ihrem Rücken etwas versteckte, verstärkte sich das Gefühl der konsequenten Alarmbereitschaft in mir. 

Das Leben ist kein BollywoodfilmWo Geschichten leben. Entdecke jetzt