Kapitel 32

165 23 17
                                    

Der sommerliche Regen hat über Nacht dunkle Bilder auf den am Morgen noch immer feuchten Boden gezeichnet, doch obwohl der Himmel in drüsiges Grau getaucht ist und die kurze Nacht normalerweise ein eher Waldsee ähnliches Stimmungsbild bei mir hinterlässt, fühle ich mich bestens. Also mit Waldsee meine ich nicht das Gefühl von Urlaub unter Sternenklarem Himmel im Zelt, sonder eher einen von Enten vollgeschissener Tümpel an dem man niemals ein Auge zu bekommt, weil das Surren der Stechmücken einen dazu veranlasst sich selbst schlimmer als der ehemalige Mobber der siebten Klasse zu verprügeln. Ja Zelturlaub ist was tolles… Danke Mami und Daddy dass ihr mir diese wunderbaren Sommerferien nur ein einziges Jahr gegönnt habt!

Es ist etwas nach Neun, als ich das Batman Logo meines T-Shirts in der Spiegelung der Fensterscheibe sehe, bevor mein Blick endlich erwidert wird und Aaron Lächelnd den Kopf hebt. Sofort macht mein Herz einen Aussetzer und ich mache es mir im Schneider sitzt auf dem leicht feuchten Stein bequem. Mein kleines Farbwunder sitzt mit kohlschwarzen Fingerspitzen über seiner neuen Zeichnung und arbeitet wohl noch immer an der gestrigen Skizze von mir, denn es ist beinahe so als wenn ich auf seinem Schoß in einen Spiegel blicke. Auch wenn das Bild wie meine Gefühle selbst gerade Kopf steht. Eine unerwartete Glückswelle überrollt mich schlagartig wie der immer wieder überraschende saure Geschmack eines Centershock Bonbons. Man weiß was kommt und ist doch jedes Mal wieder neu überfordert mit der Gänsehaut welche diese Geschmacksvergewaltigung mit sich bringt. Ich merke kaum dass ich ihm viel zu lange in die einzigartigen Augen starre, während mein Kreislauf einen Triathlon absolviert in dem mein Herz gerade beim Schwimmen mein Hirn zu überholen versucht.

Mein viel zu intensiver Blickkontakt muss ihm unangenehm sein, denn seine Wangen färben sich über dem Herzstehlenden Lächeln in einem leichten Rotton und er schiebt sich peinlich berührt die weiße Haarsträhne zurück, dabei hinterlässt er mit dem Daumen ungeschickt einen schwarzen Kohlestreifen auf seiner Stirn. Ich erhasche bei der Bewegung einen Blick auf den sonst unter dem Stoff bedeckten schlanken Hals und den Ansatz seines Schlüsselbeins. Wenn ich etwas an Männerkörpern liebe ist es wenn man den Sternocleidomastoideus, den “Kopfnicker” Muskel, bei jeder Bewegung tanzen sehen kann und Aarons Halsmuskulatur sprüht gerade nur so von Erotik! Sofort löst die kurze Aussicht eine Welle an viel zu perversen Fantasien in mir aus und endlich schaffe ich es mich mit aufgeregt schlagenden Herzen wieder zu regen und den Block für unsere Verabredung mit zittrigen Fingern hervor zu kramen. Verdammt was ist denn nun los?

Es ist die erste Begegnung die nicht aus einem provozierten Zufall entstanden ist, sondern Aaron wollte mich genauso sehen, wie ich ihn sehen will. Eine Tatsache die mir erst jetzt Klar wird und mir die Nervosität unerwartet wie plötzlicher Brechdurchfall ins Gesicht schleudert. Tollpatschig landet der Inhalt meiner Tasche im Grün der zertretenen Wiese und ich kippe beinahe ebenso von dem schmalen Fensterrahmen um die blaue Brotdose von meinem kleinen Schwarm zu retten, welche ebenso dem Gesetz der Schwerkraft folgt und Einsteins Apfel in geschnittener Version gemeinsam mit einer Hand voll Trauben auf dem Campus verteilen will. Ich kann es nicht fassen, aber weder ich noch das Gesunde Frühstück liegen in der kleinen Matschpfütze, als mein Herzschlag sich wieder auf eine normal menschliche Frequenz einstellt und ich mir mit hochrotem Kopf das Batman Shirt richte.

Aaron sitzt im Inneren und versucht mit Kräuselnden Lippen das Lachen vor mir zu verbergen, doch jeder seiner Muskeln steht so unterspannung das selbst dieses Tonlose Lachen unübersehbar bleibt. Ich schließe peinlich berührt die Augen ehe ich selbst zu Lachen beginne und endlich eine Nachricht auf dem Block kritzle. ‘Ihr Fruchtshake ist gerade fertig geworden!’ Im Atelier schmiert Aaron sich die Kohle von den Fingern und zieht seinen Skizzenblock hervor um mein Ebenbild aus Bleistift zuzuschlagen und ein einfachen aber irgendwie warmes ‘Hallo Joe’ für mich zu offenbaren. ‘Heute keinen Muffin?’ Ich Antworte nicht sondern krame auch noch die übervolle Papiertüte aus meiner Tasche um sie ihm zu offenbaren. Wieder kichert er und ich deute auf das Fenster um ihm seinen Anteil durch die Futterluke nach innen zu reichen. Sofort löst er sich aus seinem verknoteten Sitz und klettert auf den Tisch, wobei er mir ebenso eine neue gefüllte Brotdose entgegen reicht. Anders als ich sieht sein Frühstück jedoch genauso aus wie das Gestrige, nur das kleine Würstchen zwischen den vielen Paprikastreifen liegen. Anscheinend hat er es heute selbst noch nicht angerührt, sondern damit auf mich gewartet.

Die Stunden vergehen wie wenige Herzschläge und mit jeder Zeile auf den beschmierten Zetteln fühle ich mich in seiner Nähe wohler. Es ist schwer zusagen ob es Aaron ähnlich wie mir geht, doch seine steife Gestalt verschwindet mit jedem Briefchen dorthin, wo das ernste Gesicht meines Prinzen bereits am Vortag aufgegeben hat, gegen meinen unwiderstehlichen Charm anzukämpfen, denn immer öfter begegnet mir nun sein lockeres Lächeln.

Hilflos wie eine Schildkröte auf dem Rücken, versuche ich ihn besser kennen zu lernen, doch so schweigend vor einer schmutzigen Glasscheibe ist es schwerer als erwartet, wirklich ausgereifte “Gespräche” zu führen, denn jeder von uns ist Bemüht möglichst Kurz und Knapp seine Antworten auf das Papier zu bringen, wobei mir auffällt das er mir bei manchen Themen nicht einmal diese kurzen Antworten gewährt oder nur ausweichend beantwortet. So erklärte mir mein kleiner Regenbogen zum Beispiel dass ihm die Band Green Day so gut gefällt, weil er sie mit jedem Ton in sich spüren kann. Ich muss zugeben das mich manche Antworten mehr verwirren als die Tatsache keine Antwort erhalten zu haben, doch jedesmal wenn sich seine Wangen in den zarten Rotton tauchen oder das tonlose Lachen seine Augenwinkel leicht in der einfallenden Sonne schimmern lassen ist es mir auch egal das mein Fragender Gesichtsausdruck, oder mein hilfloser Versuch mich mit Händen und Füßen zu verständigen um eine Sache klarer zu machen wohl eher an ein Kabarett erinnern müssen. Es ist einfach schön ihn so vor mir zu sehen zu können und Abends mit Bauchschmerzen vom Lachen nach hause zu kommen, weil wir es Tag für Tag nicht hinbekommen einfachste Dinge zu beleuchten. Das die anderen Studenten mich wohl für einen ausgebrochenen Berggorilla halten müssen, der jeden Tag vor dem Atelierzimmer herum albert bekomme ich nur selten überhaupt mit.

Wenn wir uns Abends verabschieden endet es meistens in einem einfachen “Morgen?” und wir beide wissen bereits dass ich es niemals schaffe wirklich um Punkt neun Uhr am Fenster zu sein, sondern erst meinen Großeinkauf in der Mensa beende, welcher mit jedem Tag in dem ich ihn besser kennen lernen gezielter auslotet was Aaron gerne isst.

Manche Stunden verbringe ich auch wie ein ausgesetzter hungriger Welpe vor dem Schaufenster der Metzgerei, denn Aarons großer Tag rückt immer näher und wenn der Bass in Greend Days melodischen Klängen die Scheibe zwischen uns zum Schwingenen bringt, arbeitet mein Farbenkönig völlig in seine Gedanken vertieft an seinen Werken. Anders als ich. Ich habe vielleicht mein Folterapparat von wissenschaftlicher Literatur dabei, aber wenn es nicht gerade um Doktorspiele an Aaron geht sind meine Gedanken alles andere als gewillt sich mit dem Thema der Medizin zu beschäftigen. Jedoch bin ich inzwischen meiner Thesesfrage “Kann man sich in jemanden Verlieben mit dem man noch nicht ein Wort gesprochen hat” näher gekommen und bin der Meinung das die Antwort mit ziemlicher Gewissheit Positiv verlaufen ist.

Der alte Flyer von Aaron hat bereits etliche weiße Faltstellen und obwohl das Datum darauf sich bereits wie ein Branding in mein Gedächtnis gebrannt hat, gehört es doch irgendwie zu meinem abendlichen Nachhauseweg mit dem Daumen über die leicht geprägte Schrift zu fahren. Till hat mir eine völlig verwirrende Memo gesendet in der er mich gebeten hat sofort in die WG zu kommen, weshalb ich heute bereits am frühen Nachmittag unser Wortloses Rendevouz beendet habe. Ich kenne meinen Buddy Till wohl besser als jeder andere, aber wenn mich jetzt jemand Fragen würde, was es bedeutet dass Elsbett geschlachtet werden würde, wenn ich nicht sofort heimkomme kann ich leider auch nicht sagen. Wer bei allen Marvel Helden möchte bitte seine Oma schlachten? Und vor allem… Wer möchte seine Granny schlachten, weil ich nicht in der WG hocke? Also wenn ich nicht wüsste, dass ich meinen eigenen Geburtstag vor lauter Aaron nicht vergessen habe, könnte man bei der zusammenhanglosen Memo meinen Till führt irgendetwas im Schilde. Aber da ich weder Geburtstag habe, oder sonst etwas derartiges ansteht hetzte ich mir gerade die Lungenflügel auf meinem Fahrrad aus dem Körper um meinen aufgewühlten Freund seine Bitte zu erfüllen.

Der warme Wind zerrt flatternd an meinem T-Shirt, während jeder Tritt in die Pedale das Blut in meinem Körper spürbar in Schwung setzt und damit ein Gefühl von Freiheit in mir los bricht, dass ich fauler Stubenhocker viel zu oft verdränge, einzig die tieffliegenden Insekten  welche mit voller Wucht gegen meine vom Stoff ungeschützte Haut klatschen und der holprige Schotterweg, mindern den Spaß am Fahrradfahren ungemein und ich weiß wieder, warum ich mich gegen Sackschmerzen und für Couch entschieden habe.

Mein Puls beruhigt sich schlagartig, als ich zumindest keinen Heulenden Till und einen Krankenwagen vorfinde, aber auch die begrüßende Musik und der Pizzageruch aus dem Zimmer meines Freundes ausbleibt. Mit gemischten Gefühlen schiebe ich meinen Schlüssel in das Schloss, doch was mich hinter der Tür erwartet hätte nicht einmal ich mit meiner blühenden von Actionhelden geprägter Fantasie ausmalen können.

Wortloses Rendezvous (Yaoi, BL, BoyxBoy, Boyslove, Boy)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt