Kapitel 4

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Nach einer ewigen Suche stehe ich endlich vor dem Regal welches mir all die dicken Schinken über medizinisches Latein offenbart. Unbegeistert blicke ich noch einmal prüfend auf das Foto auf meinem Handy, doch die Nummer stimmt. Medi. 281-04. Ich bin keiner von den schwächlichen kleinen Poporeitern die man klischeehaft und vollkommen übertrieben dargestellt mit ständig abgeknickter Handbewegung und nasalen Ausdruck in den Dokus auf RTL 2 sieht, aber als ich den Kawenzmann von Abendlektüre aus dem übervollen Regal ziehe, wird mir schlagartig bewusst, dass wohl eins der drei empfohlenen Büchlein für heute reichen wird.

Mit dem Gewicht des Buches auf meinem Rad fühlt sich der Heimweg schon wesentlich besser für mein Gewissen an und es dauert wie immer nicht lange da poltert mein Fahrrad über den Kiesweg in unsere WG. Laute Musik schallt aus Tills Zimmer und ich kann davon ausgehen, dass Steffen wohl noch in der Uni büffelt. “Tilli Schatzi?”, klirrend landet mein Schlüssel in der kleinen Schale direkt neben dem Eingang und der Geruch von Fertigpizza umschmeichelt meine Nase wie ein all abendliches Ritual. “Na endlich!”, rollt Till nur in Boxershorts mit einem Stück der Pizza in der Hand auf seinem dunklen Lederdrehstuhl in die Tür. Das Zimmer von Till liegt genau gegenüber von der Eingangstür am anderen Ende des Flures, meins liegt neben seinem, parallel zur Küche. Dann bleibt noch Steffens, das Wohnzimmer oder auch unser Gruppen- und Gemeinschaftsraum, sowie unser Bad mit der extrem lauten Spülung, welches direkt an Steffen Zimmer anschließt.

“Deine Pizza ist bald nen Stück Kohle!” Till… mein bester Freund, Mutter und Ernährer. Ich muss lachen und schmeiße den dicken Wälzer auf mein Bett, ohne diesen weiter Beachtung zu schenken.

“Sag das nicht? Joe-Noah hat da eben ein Buch über Medizin in der Hand gehabt? Bist du krank? Leidest du an etwas Unerforschten? Hast du Hämorrhoiden?” “Wieso sollte ich mir wegen Hämorrhoiden ein Buch ausleihen?”, ich schüttle mein rostrotes Haar und nehme die fertige Salamipizza aus dem dampfenden Ofen, welchen meine ‘Mama’ vorsorglich bereits ausgeschaltet hatte. Der eh immer trockene Rand ist dieses Mal besonders hart, doch die Mitte ist weitgehend noch verzehrbar. “Das Physikum steht doch an…”, foltere ich meinen Kumpel nicht länger welcher mich noch immer misstrauisch mit seinen hübschen Augen und dem pizzasoßen verklebten Mundwinkeln ansah. “Lernen? Deine Worte?” “Im Ernst jetzt?”, fragt Till mich ungläubig und ich komme nicht darum einen der schlechtesten schwulen Witze zu reißen den ich kenne. “Nein im Peter!” “Ich glaub dir kein Wort”, lacht mein Freund und ich hoffe das er nicht wie so oft recht behält.

Die harte Pizza ist getilgt und auch Tills Musik auf Zimmerlautstärke herunter gedreht. Steffen ist vor zwanzig Minuten auch völlig im Prüfungsstress nach hause gekommen und erträgt ‘Diesen Scheiß’-Tills Musik, ‘jetzt gerade nicht’- Nie. So ist das eben in einer Wohngemeinschaft. Manchmal passt es, manchmal eben nicht. Steffen bekommt auch keine Pizza von Till, aber unser überkorrekter Musterkomilitone aus dem Katalog für Traumstudenten würde sich ohnehin nicht von diesem ‘Müll’ ernähren. Ich weiß wer morgen Abend nicht auf der Erstiparty zu sehen sein wird!

Das Buch liegt wie Till es erwartet hat unbeachtet am Ende meines Bettes als ich mich dazu durchringe erst einmal den Laptop hochzufahren und Samu anzurufen. Während der Startbildschirm mich begrüßt dröhnt das Freizeichen in meinen Ohren, bis mein Lustschwengel endlich ran geht. “Hey Schatz”, begrüßt mich Samuel mit seiner weichen Art und ich lehne mich entspannt zurück in mein Kopfkissen, den Rechner auf meinen Knien, ist es sonst dunkel in meinen Zimmer, wenn so wie jetzt der Rolladen unten ist.

“Na? Immer noch so stressig zur Zeit?”, beginne ich vorsichtig ihn nach seinem Tag zu fragen, als er seufzt. “Tut mir leid, dass ich dich heute schon wieder versetzt habe, aber morgen habe ich mir freigekämpft!”, entgegnet Samu mir stolz und ich erkenne, dass ich mich mit meiner vorsichtigen Frage mitten in das Minengebiet geschleudert habe. “Ach mach dir wegen mir keinen Stress wir können uns ja Samstag sehen.”

Ein verzweifelter Versuch unsere Verabredung zu verschieben ohne Till und die anderen Jungs erwähnen zu müssen. “Nein! Ich hab dir jetzt so oft abgesagt, da kann das Projekt jetzt mal einen Tag auf mich ‘scheißen”, er kichert, weil er scheißen statt verzichten gesagt hat und ich rolle genervt mit den Augen. Manchmal frage ich mich echt was seine Eltern mit ihm im Kindergarten falsch gemacht haben, denn das ist das Alter in dem man sich wie ein Rebell fühlt, wenn man Fluch und Kraftausdrücke benutzt. Kurz herrscht Stille zwischen uns, als ich unnötigerweise die Maus mit den Augen auf meinem Desktophintergrund verfolge, die ich selbst unkoordiniert darüber bewege.

“Joe?”, holt mich Samuel wieder zurück zu dem Problem ihm den morgigen Tag absagen zu müssen. “Ich dachte du freust dich etwas mehr…”, tadam. Da hat es mich wieder das schlechte Gewissen. “Ja tut es!”, versichere ich ihm wehleidig. “Aber?”, ich hasse es wenn er das tut und mich dazu zwingt ihm das Herz zu brechen. “Ich wollte mit Till-”, das Schlagwort ist gefallen und ich werde gerade für den ersten Schritt auf dem feindlichen Minengebiet in Stücke gerissen.

“Hab ich mir doch fast gedacht, dass du lieber was mit deinem Till machen willst!”, donnert es aus dem Hörer und ich nehme das Handy ein Stück weg. ‘Deinem Till’,er betont es immer so, als wenn Till mein Besitz wäre, doch inzwischen kann ich die Eifersucht in jeder Silbe meines etwas speziellen Partners heraus hören, wenn sich seine Tonlage um einen Leiter nach oben verschiebt.

“Wir sehen uns die ganze Woche nicht und den einzigen freien Tag, welchen ich mir extra für dich freigeschaufelt habe, willst du lieber mit deinem Till verbringen, mit dem du dir nicht nur eine Wohnung, nein sogar deine Unterwäsche teilst!”

“Ey nur einmal!”, berichtige ich, aber mir wird eh gerade nicht zugehört, denn Samuel spricht ununterbrochen weiter. “Ich dachte wir haben etwas besonderes!”, seine Stimme zittert. Oh Nein gleich weint er! Ich setze mich auf und halte mit der Schulter das Handy wieder an mein Ohr, während ich den Laptop neben mich auf das Bett lege.

“Hey Samuchen… so war das doch überhaupt nicht gemeint”. Jetzt heißt es jedes Wort mit Bedacht zu wählen, wenn du nicht nur ein Bein auf dem Schlachtfeld verlieren willst Soldat! “Natürlich bist du etwas besonderes…” “...aber nicht für dich…”, Aha aber für wen anderes? Ich zögere einen Herzschlag zu lang ohne zu antworten und zu spät. Er weint.

“Ich wusste es!” “Samu das stimmt doch gar nicht”, ich mag ihn wirklich, auch wenn er manchmal etwas… eigen ist. “Du weißt ich hab nur Augen für dich”, boah ich kotz gleich… aus welchem kitschigen Liebesfilm hab ich mir den diesen Satz gerade in meiner Panik hervor gezaubert, doch das Schlurzen wird leiser. “Ehrlich?” Ich atme erleichtert aus. “Ehrlich…” Alle Mann wieder an Deck ich hab die sinkende Titanic wieder aus den Fluten gerissen! In Gedanken klopfe ich mir selbst auf die Schulter.

“Es ist nur die Erstiparty steht an und Till ist immer noch nicht über Juli weg. Wenn ich nicht gehe, wird er auch nicht gehen, sondern sich in seinem Zimmer verschanzen und heulen.” Sorry Till, aber du wolltest dass ich dich begleite. “Immer noch nicht? Oh das tut mir leid”, er hat den Köder gefressen und auf unserer Titanic gibt es heute Abend wohl mal Walfisch zu essen. Moment so kräftig ist Samuel auch nicht! “Also? Sehen wir uns am Samstag?”, auf meinen Lippen liegt das siegessichere Lächeln, doch das sollte mir schneller vergehen als mir lieb ist. “Wieso? Ich komme einfach mit und wir finden schon jemanden der ihn Juli vergessen lässt. Man muss ja nicht unbedingt Student bei euch sein”, Samu scheint zufrieden mit seiner Lösung und ich muss schlucken, als die Titanic wohl doch am Eisberg hängengeblieben ist und keine Geschichte mit Happyend wird. “Das klingt prima”, stimme ich zu und bin froh, dass Samuel nicht mehr lange meine Aufmerksamkeit fordert sondern als bald das Gespräch beendet. “Ich freu mich auf morgen! Lieb dich!”, kichert er und ich erwidere ein Lustloses. “Ich dich auch.”

Inzwischen ist auch der Bildschirm meines Laptops wieder ausgegangen und ich starre an die schwarze Decke meines Zimmers, als ich seufzend mein rostrotes Haar in mein Kissen fallen lasse. Es ist nicht so das ich nicht gerne Zeit mit ihm verbringe, aber in Kombination mit Till oder überhaupt jemand anderen auf den man eifersüchtig sein kann, ist Samu echt mehr als nur eine Spaßbremse. Wenn er eine Frau wäre, wäre er wirklich der perfekte Partner an meiner Seite. Zumindest würden das meine Eltern so sehen. Er setzt sich für soziale Projekte ein, benimmt sich immer und auch die Bildung stimmt bei ihm. Einzig das er eine Bockwurst mit zwei Eiern in der Hose herum trägt, könnte die Freude meiner Eltern zunichte machen, wenn ich ihnen Samuel jemals vorstellen sollte.

Wortloses Rendezvous (Yaoi, BL, BoyxBoy, Boyslove, Boy)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt