Sieben

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Milanka führte sie durch einige lange, helle Gänge, eher sie vor einer kunstvoll verzierten Tür stehen blieb. Dahinter lag ein winziger Raum mit gelber Tapete und einer weiteren Tür, in dem zwei Männer in der blauen Uniform und mit einem Degen am Gürtel standen.

"Wofür brauchen Sie hier Wachen?", fragte Nola leise. Milanka lächelte. "Nun ja, öffne mal die zweite Tür da."

Sie drückte die goldene Klinke nach unten und wurde kurze darauf von hellem Sonnenlicht geblendet. Langsam formten sich die Umrisse zu Gebäuden und der salzige Duft des Meeres stieg ihr in die Nase.

Zum Vorschein kam eine Stadt, ganz altmodisch erbaut. Die Leute waren wie die, die sie zuvor getroffen hatte, ganz merkwürdig gekleidet.

Am Ende einer langen, breiten Straße konnte man einen Hafen und dahinter das blaue Meer erkennen. Staunend trat Nola einige Schritte nach draußen.

"Die Wachen passen auf, dass nur ungefährliche Dinge durch die Tür gebracht werden.", erklärte Milanka hinter ihr.

Aber Nola konnte nur auf die bunten Gebäude starren und die Menschen, die ihr wie in einer Traumwelt erschienen.

"Kann ... kann ich mich hier umsehen?", fragte sie begeistert. Milanka lächelte. "Natürlich, aber dich sollte jemand begleiten. Ich hab noch etwas zu erledigen, aber..."

Nachdenklich sah sie sich um, eher sie grinste und Nola die Straße entlang zog. Die Leute starrten ihnen hinterher und fragten sich wohl, warum die Königin die Babysitterin für ein verirrtes Mädchen spielte.

Nola konnte jedoch nur die wundervollen Düfte, die ihr nie zuvor in die Nase gestiegen waren und den Blick auf das Meer genießen.

Vor einem kleinen Häuschen blieb Milanka stehen. Auf dem Holz über der Tür war kunstvoll eine Uhr aufgemalt und von drinnen erklang das Ticken von hunderten von Zeigern.

Langsam öffnete sie die Tür und das Ticken wurde lauter. Die Wände und die Einrichtung waren kaum zu erkennen.

Überall hingen oder standen Uhren. Wecker, Kuck-Kucks-Uhren, Standuhren... Auf der Theke in der Mitte arbeitete ein Junge an einer kleinen Uhr. Er war nicht viel älter als Nola, vielleicht ein, zwei oder drei Jahre. 

Seine Haare und Augen waren so golden wie die Zahnräder, die auf der Holzplatte herumlagen. Er trug ein weißes Hemd und eine braune Weste mit einer schwarzen Hose. Die Ärmel waren hochgekrempelt und mit kleinen Flecken von Schmieröl und Staub bedeckt.

Nur langsam hob er den Kopf und lächelte den beiden entgegen. "Nola", begann Milanka. "Darf ich vorstellen? Will, unser stiller Uhrmacher. Will, das ist Nola." Er ging um den Tresen herum, verbeugte sich kurz vor Milanka und nahm dann Nolas Hand, um einen altmodischen Kuss darauf zu hauchen.

Augenblicklich lief sie rot an, was Will und Milanka zum Grinsen brachte. "Will, würdest du Nola ein bisschen rumführen? Ich muss noch was erledigen."

Er nickte und Milanka verschwand nach einem letzten, aufmunternden Lächeln. Nola schaute zu Will. "Tut mir leid, dass ich frage, aber ... du kannst also nicht sprechen?"

Er schüttelte immer noch grinsend den Kopf und deutete ihr, zur Tür zu gehen. Er zog einen goldenen Schüssel aus seiner Hosentasche und verschloss von draußen die Tür zu seinem Laden.

Gerade wollte er mit ihr die Straße runter, als sich etwas in einer Pfütze vor ihnen bewegte. Nola stieß einen spitzen Schrei aus, als eine Katze mit tiefblauen Fell daraus kam und mit Bewegungen so elegant wie sanfte Wellen auf sie zutapste.

"Meine Güte, es ist also wahr!", rief sie. "Ein Kind aus der anderen Welt!" Nola beugte sich zu ihr hinunter. "Ähm ... hallo."

"Hallo, Kleines. Oh, du bist so hübsch! Wie heißt du denn?" "Nola." "Nola, oh, dieser Name bedeutet in eurer Welt von edler Geburt. Du bist du großen Taten fähig, meine Kleine. Und das soll auch so sein. Immerhin sollst du uns den Frieden bringen."

"Was? Wovon redest du?" Die Katze kicherte. "Ich kann in die Zukunft sehen, meine Kleine. Ich bin ein Wesen des allwissenden Wassergeistes Waureline."

"Aber warum Frieden? Hier wirken alle so glücklich!?" Sie spürte eine Hand auf ihrer Schulter und drehte sich zu Will um, der den Kopf schüttelte.

"Warum? Was ist denn hier los?" Will führte sie nochmal in seinen Laden zurück. Das nasse Fell der kichernden Katze spürte Nola stets neben ihrem Knöchel.

Will hob eine große Spieluhr aus dem Regal. Er pustete etwas Staub ab und stellte sie auf die Theke. Es war ein wunderschönes Stück aus dunklem Holz und Goldschnitzereien.

Er öffnete den Deckel und ein paar Figuren kamen zum Vorschein. Nachdem er an einer kleiner Kurbel zu drehen begann, setzte eine Melodie ein und die Figuren drehten sich nach und nach im Kreis.

Erst waren da nur eine weibliche und eine männliche. Die weibliche trug ein dunkles Kleid mit einem Mond darauf. Die männliche einen Wams auf dem die Sonne abgebildet war. "Milanka, die Königin der Nacht. Und Warden, der König des Tages.", erklärte die Katze leise.

Sie bewegten sich kurz, eher eine dritte Gestalt mit ausgestrecktem Arm auftauchte. In ihrer Hand hielt sie eine Krone und damit deutete sie auf Milanka.

Sie drehten sich weiter, die dritte Gestalt verschwand. Ein Klicken und der Gesichtsausdruck des Tageskönigs wurde wütend. Sein Arm sprang heraus und darin hielt er ein Schwert.

Die Figuren wanderten weiter und drehten sich voneinander weg. Jeweils vor ihnen tauchten zwei einfache Gestalten auf.

Die vor Milanka lächelte und hielt eine Blume in der Hand. Die vor Warden lag auf den Knien und faltete flehend die Hände.

Dann zogen sich alle Figuren zurück, die Melodie erstarb und das Spiel endete.

Mit traurigem Gesichtsausdruck stellte Will die Uhr zurück. Geschockt schaute Nola zu der Katze bei ihren Füßen. "Es gibt einen bösen König des Tages?"

"Ja, meine Kleine. Als die Entscheidung für den Thron auf das Königshaus des Nacht fiel und nicht auf das des Tages, schwor er Rache und versklavte einen Teil des Anderlands."

Nola im Anderland (Storyadaption)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt