Nola war die Einzige, die sich noch bewegen konnte. Auf eine einladende Handbewegung hin, setzte sie sich an den Brunnenrand und sah den Geist abwartend an. "Was tun Sie hier?"
Die Wassergöttin lächelte. "Ich will dich an etwas erinnern, Nola.", sagte sie mit derselben seidenen Stimme wie beim letzten Mal. "Warden und dieser Soldat kämpfen miteinander, weil Wardens Fluch gebrochen ist. Du hast ihn an das erinnert, was man Liebe nennt. Schaffst du das auch bei dem Soldaten?"
Nola sah zu dem Mann, der mit hasserfülltem Ausdruck sein Schwert in der Luft hielt. Der Geist schien ihre Unsicherheit zu bemerken.
"Du bist die Person, die das kann, Nola. Ich weiß, dass du dich früher gefühlt hast, als hätte dein Leben keinen Sinn. Aber das Anderland braucht dich. Das ist es, woran du dich festhalten kannst. Und auch ohne das Anderland wärst du wertvoll, weil jedes Leben wertvoll ist."
Ein Regentropfen fiel auf Nolas Gesicht und sie blinzelte. Die Göttin war verschwunden und die Personen bewegten sich langsam wieder. Das Klirren der Schwerter riss sie aus ihrer Schockstarre.
"Warum wollen Sie uns töten!?", schrie sie so laut sie konnte.
Die Kämpfenden hielten tatsächlich in ihren Bewegungen inne. Der Soldat sah sie verwirrt an.
"Ihr seid Verräter!", erwiderte er wütend, doch diesmal klang es weniger überzeugt.
"Ich glaube, Sie fühlen sich von Warden im Stich gelassen, weil er jetzt nicht mehr die Krone und Macht will.
Der Soldat riss erschrocken die Augen auf. "Ich habe keine Wahl! Ich habe es Trachiel damals versprochen!"
"Also stimmt es!?", knurrte Warden. "Meine eigene Mutter hat mich verflucht, damit ich irgendwann Milanka töte, sollte ich nicht als König erwählt werden!?"
"Du musst sie verstehen! Was hätte dir ein Leben mit..." Er deutete anklagend auf Milanka und suchte scheinbar nach den richtigen Worten. "...dieser verwöhnten Göre gebracht!? Sie ist aus dem Haus der Nacht! Eine gewissenloses Monster, mehr nicht!"
"Das einzige Monster hier sind Sie!", sagte Nola mit fester Stimme.
Der Soldat ließ das Schwert fallen, funkelte Warden aber weiterhin hasserfüllt an.
"Du hättest irgendwann ein richtiger König sein können! Und du entscheidest dich für eine Bastardtochter?"
Warden drehte sich zu Milanka um, die die Arme um sich geschlungen hatte und ihn mit einem Ausdruck ansah, den Nola nicht deuten konnte.
"Das hab ich von Anfang an getan.", murmelte er und zog Milanka in eine Umarmung.
"Haben Sie niemanden, der sie fühlen lässt, was Warden fühlt?", fragte Nola und sie bekam beinahe Mitleid.
Der Soldat schüttelte zögerlich den Kopf. "Du bist ein seltsames Mädchen. Du weißt offensichtlich nicht, was Hass und Sehnsucht bedeuten."
Nola dachte nach. Es hatte schon Leute in ihrem Leben gegeben, von denen sie sicher war, dass sie sie gehasst hatte. Sie hatte sich jahrelang nach einem Ort wie dem Anderland gesehnt. Mehr als nach allem anderen.
"Doch.", antwortete sie mehr sich selbst.
Sie griff in ihre Manteltasche und ihre Finger streifen die hölzerne Spieluhr, die Will für sie angefertigt hatte. Sie sah zu Warden und Milanka, die sich in den Armen lagen und wohl endlich das hatten, was sie so lange vermisst hatten. Sie dachte an Chilon, die Pferde und an Corvinus und Lawewe. Sie dachte an ihre Familie zu Hause.
"Ich glaube, ich weiß auch was Liebe ist."
Der Soldat sagte nichts mehr. Nola wurde plötzlich schwindlig und sie musste sich am Brunnen abstützen. Will war sofort bei ihr. Sein besorgter goldener Blick grub sich in ihren. Sie ahnte, was nun geschah.
"Ich gehe nach Hause, oder?", flüsterte sie.
Milanka schien sie dennoch verstanden zu haben.
"Du willst nach Hause, weil du deine Aufgabe erfüllt hast und jemanden vermisst. Wir sind dir auf ewig dankbar, Nola. Mehr als ich oder irgendjemand sagen kann."
Nola konnte kaum noch die Augen offen halten. Sie drückte Will fest.
"Ich vergesse euch nie, versprochen.", wisperte sie.
Die Dunkelheit überfiel sie und ein Gefühl der Schwerelosigkeit nahm Besitz von ihr, während sie wieder nach London kam.
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Nola im Anderland (Storyadaption)
FantasyNola fühlt sich in der normalen Welt überhaupt nicht wohl. Wegen ihrer eigensinnigen Art ist sie eine Außenseiterin. Eines Nachts taucht mitten in ihrem Zimmer ein Rabe mit einem Zylinder auf und führt sie quer durch London, bis zu einer Brücke. Die...