Zwanzig

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Nola kaute nervös auf ihrer Unterlippe herum, als sie am nächsten Morgen auf Milanka im Foyer des Schlosses wartete. Schritte auf den Marmortreppen erklangen, aber als sie den Kopf hob, sah sie nicht die Königin, sondern Will zu ihr hinunterlaufen. Er hatte einen entschlossenen Ausdruck auf den Augen und umfasste ihre Hände, bevor er auf sich selbst deutete.

"Du kannst nicht mitkommen.", sagte sie leise, obwohl es ihr beinahe das Herz brach. "Das ist zu gefährlich. Es ist besser, wenn Milanka und ich allein gehen."

Er grinste schwach und zog etwas aus der Tasche seines braunen Mantels, der überhaupt nicht zu seinem sonst so gold funkelnden Äußeren passte. Es war ein Dolch, der im Licht des Kronleuchters über ihnen ebenso so golden wie sein Haar und seine Augen funkelte. Wenn er in der Lage gewesen wäre zu sprechen, hätte er ihr gesagt, dass er sich verteidigen konnte, da war sie sicher. Und sie vertraute ihm auch, aber sie wollte keinen ihrer neuen Freunde mehr als nötig in Gefahr bringen.

"Und ich kann dich nicht davon überzeugen, hierzubleiben?", fragte sie halbherzig.

Diesmal wurde sein Grinsen breiter und er schüttelte den Kopf. Er griff nach ihrer Hand und zog sie in den Hof, wo Maloa und ein Pferd mit einem Fell so schwarz wie die Nacht warteten. Das schwarze Pferd hob den Kopf, als es sie kommen sah und schnaubte leise.

"Das ist also Nola.", hörte sie es sagen.

Maloa warf ihm einen giftigen Blick zu. "Begrüß sie persönlich, Frielo!"

Frielo wieherte kurz, es klang seltsam amüsiert, eher er auf Nola zutrottete und sich seine schwarzen Augen in die ihren zu bohren schienen.

"Guten Tag, Nola."

"Hallo."

Sie traute sich nicht, mehr zu sagen. Sie hatte keinen Angst vor Pferden, schon gar nicht vor solchen, die sprechen konnten. Aber irgendetwas an ihm wirkte düster, so wie Milankas Seite, die zum Vorschein kam, wenn sie von Warden sprach.

Als hätte sie ihre Gedanken gelesen, trat Milanka in diesem Moment zu ihnen.

"Guten Morgen, Kinder.", begrüßte sie sie beinahe heiser. "Frielo, du machst Nola doch keine Angst, oder? Nicht jeder versteht deine analysiernde Art sofort als eine Form von Sorge."

In diesem Moment fragte Nola sich, ob Pferde grinsen konnten, denn Frielo sah auf jeden Fall so aus. Na ja, im Anderland konnten Katzen schließlich auch kichern. Sie wollte noch etwas sagen, aber Will schon sie bereits zu Maloa hinüber und stieg hinter ihr in den Sattel.

Milanka stieg ohne einen Sattel auf Frielos Rücken und sah Will an. "Bist du sicher, dass du mitkommen willst, stiller Uhrmacher?"

Dieser nickte und Nola sah aus dem Augenwinkel, wie er seine Hand kampfbereit auf seinen Dolch gleiten ließ. Sie senkte den Blick. Sie hoffte, dass ein Kampf unnötig wäre.

"Lasst es uns hinter uns bringen.", seufzte sie und Maloa setzte sie sich genau wie Frielo in Bewegung.

Während des Ritts ließ Nola ihren Blick über das Land gleiten. Nach dem Kornfeld erhoben sich einige Gebirgsketten und dahinter der Dunkle Wald. Noch während sie zwischen den Felsen hindurch ritten, ertönte plötzlich ein ohrenbetäubendes Kreischen.

Nola wäre vor Schreck beinahe aus dem Sattel gefallen, wenn Will sie nicht rechtzeitig festgehalten hätte. Milanka kniff die Augen zusammen und hielt die Hand gegen die Sonne, als ein dunkler Schatten nur knapp über ihnen hinüberfegte. So knapp, dass Nola einen metallernen Geruch wahrnahm. Blut.

Als er erneut wenig über ihren Köpfen flog, entfuhr ihr ein Aufschrei. Will legte ihr schnell eine Hand auf den Mund, während die Pferde bereits losgallopierten, als wäre der Teufel hinter ihnen her. Nola kam es vor, als wäre er das auch.

"Was ist das!?", rief sie und schloss die Augen gegen den Staub, den sie bei dem wilden Galopp in die Augen bekam.

"Ein Onyxgreif.", knurrte Milanka. "Er hatte ein goldenes Halsband, also gehört er zu Warden. Wir müssen es bis in den Wald schaffen!"

Dieser war bereits in Sicht. Der Greif ließ immer wieder sein entsetzliches Kreischen erklingen. Nola konnte sich das Tier einen Sekundenbruchteil lang genauer ansehen. Onxyschwarzes Gefieder, ein Schnabel rot wie Blut und leichenblasse Augen. Nicht zu vergessen die messerscharfen Krallen, die Milankas Arm streiften und fünf blutige Striemen hinterließen. Milanka schrie nicht einmal. Starr sah sie weiter geradeaus, nur das sichere Ziel vor Augen. Nola bewunderte die Königin für ihre Kraft.

Am Waldrand erwarteten sie bereits Wardens Soldaten und streckten ihnen lanzenartige Waffen entgegen.

"Wir wollen zu Warden!", sagte Milanka laut, aber ohne Panik. "Über uns kreist einer eurer Onyxgreife, also lasst uns durch, sonst wird er nicht hören, was wir zu sagen haben!"

Wie zur Bestätigung stürzte das Biest ein weiteres Mal auf sie herab und zischte scheinbar Zentimeter an Frielos Flanke vorbei. Im sicheren Wald umstellten sie sie sofort und einer der Soldaten pfiff in eine goldene Pfeife, was den Greif dazu brachte, folgsam wie ein Hund neben ihm zu landen und sich nicht mehr auf sie zu stürzen.

"Bringt uns auf der Stelle zu Warden!", befahl Milanka in herrischem Ton.

Einige Soldaten gingen ohne zu zögern voraus. Nola erkannte sie wieder. Milanka hatte sie bei ihrer Entführung mit Lawewes Hilfe außer Gefecht gesetzt. Offenbar fürchteten sie, das könnte sich wiederholen. Nola grinste in sich hinein. Sie hatte die kichernde Katze heute noch nicht einmal gesehen. Ihre gute Laune verschwand sofort, als sie Milankas Arm sah.

Blut bedeckte den dunkelblauen Stoff ihres Kleides, aber sie zuckte nicht ein einziges Mal mit der Wimper.

Nola im Anderland (Storyadaption)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt