Rot | 1

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Rot.

Rot ist wohl eine der vielschichtigsten Farben, deren Bedeutung so unterschiedlich ist, wie es wohl bei keiner anderen Farbe der Fall ist. Für manche bedeutet sie Liebe und Leidenschaft, aber für wenige auch das Gegenteil: Wut und Krieg. Rot ist eine Warnfarbe, sie sticht ins Auge und strahlt Selbstbewusstsein aus.

Ob er wohl diesen Effekt damit erreichen will, wenn er seinen roten Mantel trägt? Will er selbstbewusst sein? Möchte er die anderen einfach nur warnen ihm nicht zu Nahe zu kommen? Was möchte dieser Junge, der seit seiner Kindheit nur die Zitronen des Lebens abbekommt, bewirken mit diesem gar zauberhaften Mantel?

Elijah, so hieß er - doch so nannte ihn keiner. Rotkäppchen riefen sie ihn, die Stimmen voller Spott. Er taugte nicht zur Jagd, hatte keine Kraft für irgendein Handwerk und stellte sich auch nicht gerade geschickt beim Nähen an. Viele fragten sich, warum er überhaupt noch hier war, wenn er zu nichts zu gebrauchen war... Ob er sich diese Frage vielleicht auch stellte? Vielleicht sprach er deswegen mit niemanden und hielt sich immer abseits von der Gruppe auf.

Auch wenn es den anderen egal sein mag, so war ich anders. Meine Mutter lehrte mich Empathie und Freundlichkeit. Ich würde keinen Tag länger Elijah dabei beobachten, wie er sich immer weiter von uns abgeschottete. Ich wollte wissen, was er dachte, wie er über sich dachte, wie über uns... wie.. über mich.

Was ging in diesem hübschen Kopf nur vor, aus dessen Haupt dieses wunderbare blonde Haar wuchs, mit dem nur adlige in fernen Ländern beschenkt waren? Was verbarg sich hinter seinen teilnahmslosen, gar kalten Blicken, die er aus seinen einzigartigen Augen sendete? Er warf so viele Fragen auf, doch beantworten konnte er sie nicht - wie denn auch, wenn er mit niemanden sprach und niemanden an sich heran ließ?

Andererseits, wer würde sich auch Leuten öffnen, die einen verspotteten, auslachten, beleidigten oder gar töten wollten? Außer mir schien er keinen Freund hier zu haben, wobei ich auch kein wirklicher Freund war. Freunde setzen sich füreinander ein, halfen sich und schauen nicht nur zu, wenn der andere gerade wieder einmal verhauen wird.

"Was schaust du so?", die kühle Stimme jagte mir einen Schauer über meinen Rücken. Ich realisierte erstmals wieder meine Umgebung. Da waren sie, diese wundervollen Augen. Das rechte war blau, wie der Himmel an einem klaren Tag - das linke hingegen dunkelbraun, wie das eines Rehs. Dieser Kontrast brachte mich jedes mal ins schwanken und meine Gedanken driften, wie so oft wieder einmal ab. Er war wunderschön, doch leider war ich der einzige, der das so sah. "Ich habe dich was gefragt du Schwachkopf.", schnaubte er und seine Hand packte meinen Kragen. Seine feinen Augenbrauen zogen sich zusammen und sein Blick wurde zornig. Ich schätze, ich sollte ihm antworten, bevor das hier eskaliert.

"Ich habe mich gefragt, an was du denkst." antwortete ich ihm ehrlich und ruhig. Ich hatte keine Angst vor ihm, nur davor, dass er Ärger bekommt, wenn er mich bedroht. Seine Hand ließ mich los, und ich wünschte sie mir augenblicklich zurück. Ich mochte es wenn er mich berührte, doch dies war eines der Dinge, die niemand erfahren durfte.

Wir beide waren Jungs. Es war unnatürlich an so etwas überhaupt zu denken. Sie würden mich als Freak oder Dämon hinstellen, und ihn gleich mit, auch wenn nur ich so fühlte. Es war eine harte Zeit in der wir lebten.

"Dieser Schwachsinn also schon wieder.", kommentierte er mit einem abwertenden Zunge schnalzen. "Ich finde, es ist kein Schwachsinn Elijah. Ich mache mir nur Sorgen um dich.", entgegnete ich und biss mir im selben Augenblick auf die Lippe.

Das hätte ich nicht sagen sollen.

Er knurrte einmal und versteifte seine wenigen Muskeln. "Das brauchst du nicht, ich komme sehr gut allein zurecht! Kümmer dich lieber um deine Pfeile und deinen Dolch. Wie willst du Essen für das Dorf jagen, wenn beides nicht gewetzt ist?", schnaufte er und verschränkte seine Arme vor der Brust. Er war jedoch so zierlich, dass es mir schwer fiel ihn ernst zu nehmen. "Keine Sorge meine Waffen sind scharf genug.", beruhigte ich ihn lächelnd. "Hm..", machte er nur, reckte sein Kinn leicht nach vorne und stolzierte davon. Der rote Umhang schleifte leicht über den Boden, er war wohl etwas zu lang für ihn - oder er zu kurz.

Eilig setzte ich mich in Bewegung, um ihm zu folgen. Wie gesagt, ich wollte beginnen mich für ihn einzusetzen und eine Freundschaft aufzubauen. Es wird ihm bestimmt gut tun jemanden zu haben, auf den man sich verlassen kann. "Und warum folgst du mir jetzt schon wieder?", verlangte er zu wissen, ohne sich umzudrehen. "Ich dachte mir, ich bekomme Antworten auf meine Fragen, wenn ich dir folge.", entgegnete ich knapp und holte zu ihm auf. Seine Beine waren kürzer als meine, und dennoch war er ziemlich flott unterwegs.

"Dann solltest du wohl aufhören zu denken, daß scheint dir offensichtlich nicht gut zu tun.", kam es bissig von ihm zurück, während er seinen Kopf kurz zu mir drehte. Aufgrund der Kapuze erkannte ich jedoch leider nicht den Ausdruck auf seinem Gesicht. "Ach.. ein wenig Gesellschaft tut dir bestimmt auch ganz gut.", versuchte ich meine Anwesenheit positiv zu reden. Doch noch ehe er darauf antworten konnte, ertönte das Horn.

Wir beide blieben stehen und drehten uns um, zu dem Ursprung des Geräusches. Selbst ein Fremder würde merken wie sich die Stimmung im Dorf änderte. "Dein Stichwort. Ich denke ich muss wohl alleine pissen gehen.", kam es nur knapp von Elijah, der auch schon seinen Weg fort setze.

Ich sah ihm nur bedrückt hinterher. Jetzt fand ich schon endlich den Mut, und dann werde ich zur Jagd gerufen. Gezwungenermaßen machte ich mich auf den Weg zurück zum Dorfplatz, wo sich bereits andere Jäger sammelten. Wen es wohl diesmal getroffen hatte?

Eine erdrückende Stimmung lag auf dem Dorf, denn jeder wusste, dass das Horn nie etwas Gutes zu bedeuten hatte. Einige neugierige Bewohner kamen aus ihren Hütten, um zu hören, was man zu berichten hatte - wen es diesmal getroffen hat. Welche Arme Sau wurde nun von den Wölfen gefordert?

"Ich schätze ihr könnt euch denken, was los ist." ertönte die Stimme eines kräftigen Mannes. Seiner Kleidung und der Axt in seiner Hand nach zu urteilen, war er ein Holzfäller. Tatsächlich war ich etwas erleichtert, dass es keinen meiner Jägerfreunde getroffen hatte, sondern wie es scheint 'nur' einen Holzfäller. "Es geht um Karlos. Der Junge wagte sich zu tief in den Wald hinaus um eine kräftige Eiche zu fällen. Ich und Tristan sind hinterher um ihn zurück zu holen, doch leider konnten wir nur noch sehen, wie sie ihn in den Wald gezerrt hatten. Er könnte noch leben!", erklärte er uns, wobei sein Blick hoffnungsvoll durch die Runde wanderte. Es geht also um seinen Sohn.. ein hartes Erlebnis. "Nimm es mir nicht übel Micha, aber dein Junge ist bestimmt schon tot.", wagte es ein erfahrener Jäger den Gedanken auszusprechen, der uns allen bereits in den Köpfen spukte.

Ich biss mir auf die Lippe und wagte einen Blick in das Gesicht des Mannes, der wohl seinen Sohn verloren hatte. Trauer füllte seine Züge und er rang nach Fassung. "Nein! Wir hörten noch lange seine Schreie! Er lebt bestimmt noch!", versuchte er und kam verzweifelt ein Stück näher. Während meine Kollegen verhalten langsam nach hinten wichen, blieb ich stehen und stand ihm so am nähsten gegenüber. Ich konnte mich nicht rühren. Es brach mir das Herz ihn so aufgelöst zu sehen.

"Ich bringe ihn dir zurück.", kam es dann über meine Lippen, ohne dass ich es beeinflussen konnte. Sein Blick richtete sich auf mich, Hoffnung flackerte auf und seine kräftigen Hände griffen meine Schultern. "Oh Junge!", schluchzte er voller Freude und zog mich in eine Umarmung. Er roch nach den Fichten, die um unser kleines Dorf wuchsen, nach Holz und Schweiß. Es war kein schlimmer Geruch, denn fast jeder roch hier so. Wir waren daran gewöhnt. Gerade im Winter, wo warmes Wasser selten war und der See zugefroren, gab es hier kaum einen anderen Geruch.

"Komm mein Schatz, wir beten für die Rückkehr beider Jungen.", mischte sich seine Frau ein, die ihn sanft von mir löste. Ich sah ihre Blicke auf mir, genau so erleichtert und dankbar, wie die ihres Mannes. Es war ein schönes Gefühl, welches sich in mir ausbreitete. Ich bereute nicht, diese Entscheidung getroffen zu haben.

He is Mine [BoyxBoy]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt